Bauen

Die Neue Maxburg in München. (Foto: Voss)

23.02.2018

Vielfältig und zuweilen zwiespältig

Kleine bayerische Baustilkunde: Die Architektur des Wiederaufbaus

Ein wenig fällt sie aus der sonst den Lenbachplatz und die Umgebung des Stachus prägenden und eher traditionellen Bebauung heraus: Die Neue Maxburg. Ihr Name erinnert an alte Zeiten, als sich hier die Herzog-Max-Burg, ein Bau der Renaissance aus dem 16. Jahrhundert befand. Vor uns steht ein klar gegliedertes und modernes Ensemble, das soeben einer Architekturzeitung der 1950er Jahre entsprungen zu sein scheint, ein Musterbeispiel für den kompromisslosen Wiederaufbau der Stadt München nach dem Zweiten Weltkrieg. Die weißen, unterschiedlich hohen Baukörper mit ihren flachen Dächern vereinen ein Justizgebäude mit Amtsgericht und Landgericht München, Erzbischöfliches Ordinariat sowie weitere Büro- und Geschäftsräume. Sie umschließen einen weiträumigen Grünbereich, der mit modernen Kunstwerken, darunter dem Moses-Brunnen (1955) von Josef Henselmann, und Blumenkübeln ausgestattet ist. Die Einzelbauten des Ensembles sind durch Gelenke, in Form von Treppenhäusern und Zugängen, miteinander verbunden. Diese gläsernen Verbindungsbauten strahlen Leichtigkeit und Transparenz aus. Gesteigert wird ihre elegante Wirkung durch geschwungene Treppengeländer, typisch für die „Swinging Fifties“. Der Giebel des Justizgebäudes, das gleichzeitig der höchste Bau des Komplexes ist, wurde als großzügige Glasfront konzipiert. Den Eingang markiert ein stützenloses und somit kühn schwebendes Vordach. Die Fenstergröße im Justizgebäude wird durch die Größe der hell-dunklen Putzflächen und Fenster im Fassadenraster des noch vorhandenen Turms der alten Maxburg an der Pacellistraße bestimmt.

Ruf prägte den modernen Wiederaufbau in München

Die aufrecht stehenden Fenster mit ihrer immer gleichen Breite und die zugehörigen Verschattungselemente sind eine wesentliche gestalterische Idee an der Neuen Maxburg. Unwillkürlich denkt man an Bauten von Le Corbusier, an seine Wohnhausfassaden, die genau wie hier, durch ein graphisches Spiel mit gleichartigen Elementen beeindrucken. Die Architekten des von 1953 bis 1957 entstandenen Ensembles, das seit 1999 unter Denkmalschutz steht, sind jedoch die Münchner Architekten Sep Ruf und Theo Pabst. Sep Ruf prägte den modernen Wiederaufbau in München bereits an anderer Stelle – 1951 mit dem Bau des Wohn- und Geschäftshauses an der Theresien-/Ecke Türkenstraße. Mit französischen Fenstern, die bis zum Boden reichen, und einer weißen Fassade ist auch dieses Bauwerk typisches Beispiel für die lichte und moderne Architektur jener Zeit. Sogar die „gläserne Ecke“, als Merkmal der Klassischen Moderne, wird von Ruf zitiert: als dicht an die Hausecke gesetztes Fenster. Für die Maxvorstadt gab es auch Nachkriegspläne von Robert Vorhoelzer, die einen Wandel der Quartiersstruktur von der Blockrandbebauung zum Zeilenbau vorsahen, um dadurch größere Grünbereiche zu ermöglichen.
Nach Kriegsende ist Deutschland ein Trümmerfeld, die Zerstörungen haben unterschiedlich große Ausmaße, besonders betroffen sind die Großstädte und Ballungsräume. Überall geht es um den Aufbruch in eine neue Gesellschaft – um Neuanfang oder Verdrängung der Geschichte. Schon 1947 gab es einen Aufruf von Mitgliedern des Deutschen Werkbunds, der von 48 Künstlern, Designern und Kunsthistorikern, darunter Otto Bartning und Wilhelm Wagenfeld unterzeichnet wurde.
Der Aufruf an „alle, die guten Willens sind“, umfasste Forderungen nach der Gliederung der neuen Städte in überschaubare Stadtteile, nach der Schaffung lebendiger Einheiten aus Altbau und Neubau und der Forderung nach dem „Einfachen und Gültigen“. Er fordert auch: „Das zerstörte Erbe darf nicht rekonstruiert werden, es kann nur für neue Aufgaben in neuer Form stehen.“ Doch nicht alle Architekten stehen hinter diesen radikalen Überlegungen, für viele ist es undenkbar, keine historischen – und wenn auch nur historisch anmutenden – Altstädte zu haben. Sowohl der Wiederaufbau der Münchner Residenz unter Einsatz von historischen Handwerkstechniken, als auch der vereinfachte und veränderte Wiederaufbau von Münchner Kunstmuseen wie Glyptothek und Alter Pinakothek fallen auch in die 1950er Jahre. Die Bauten von Sep Ruf, das Hauptgebäude der TU München von Robert Vorhoelzer, die Siemenssiedlung von Emil Freymuth an der Boschetsrieder Straße, die Kirchen des Gustav Gsaenger oder auch die nüchternen Planungen für den Marienplatz stehen als Beispiel dafür, wie eine radikale Modernisierung der Stadt München hätte aussehen können. Doch man geht den sogenannten Münchner Weg, behutsam sowie wiederaufbauend und bewahrt zu großen Teilen das historische Stadtbild in der Altstadt. Der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger formuliert es im Zusammenhang mit der Ausstellung „Architektur der Wunderkinder – Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945-60“ folgendermaßen: „So wie in der westdeutschen Gesellschaft nach 1945 Modernisierung und Restauration ineinander greifen, so zeigt auch die Architektur der fünfziger Jahre ein vielfältiges, zuweilen zwiespältiges Gesicht (…) Das Spektrum spannt sich von einer programmatischen Moderne, für die Namen wie Sep Ruf, Werner Wirsing oder Hans Maurer stehen, über jene Architekten, die ein ‚pragmatisches’, an Nutzen und Quantität orientiertes Bauen vertraten, bis zu denjenigen, die sich mit Ruinen schöpferisch auseinandersetzten, oder den Konservativen, die versuchten, an Tradition und Geschichte anzuknüpfen.“

Kulturelle
Umwidmung

Die Frage, wie der Aufbau von Deutschland, als Wiederaufbau oder als Neuaufbau, vonstatten gehen soll, war in den 1950er Jahren eine zentrale. In Bayern als amerikanischer Besatzungszone, legten die Amerikaner pragmatisch fest, wie mit dem baulichen Erbe des Nationalsozialismus zu verfahren ist, zum Beispiel mit den beiden monumentalen Bauten von Paul Ludwig Troost am Münchner Königsplatz. Es erfolgte eine kulturelle Umwidmung, als Central-Art-Collecting-Points und „US-Information-Center“, einem provisorisch untergebrachten Amerika-Haus. 1955/1956 entsteht am Münchner Karolinenplatz der Neubau des Amerika-Hauses durch Karl Fischer und Franz Simm. Es ist ein kubischer Baukörper, gemäßigt modern und an der klassizistischen Platzgestaltung orientiert. Für beinahe alle Regionen ähnlich waren aber die zentralen und völlig unideologischen Probleme wie Wohnungsnot, Hungersnot und dadurch grassierende Krankheiten. Trotzdem nimmt man sich Zeit für die Diskussion um den Wiederaufbau, zahlreiche Bauausstellungen finden in der jungen Bundesrepublik statt: 1949 in Köln eine Werkbundausstellung zum Thema „Neues Wohnen und Deutsche Architektur“, 1949 in Nürnberg die Deutsche Bauausstellung, 1952 in München eine große Frank-Lloyd-Wright-Ausstellung und schließlich 1957 in Westberlin die „Interbau“ im Hansaviertel an der namhafte Architekten wie Walter Gropius, Oscar Niemeyer, Alvar Aalto und auch Sep Ruf teilnahmen. Auch bei der „Interbau“ geht es um modernes Wohnen in durchgrünten Stadtvierteln. Die großen Kriegszerstörungen machen ein neu denken von städtebaulichen Strukturen möglich. Im bayerischen Oberland wird auf einem Rüstungswerk des Zweiten Weltkriegs eine ganze Stadt neu gebaut – Geretsried. Als erster Geretsrieder Stadtarchitekt gilt Fritz Noppes senior, der um 1950 visionäre Pläne zeichnet. Er entwirft eine Siedlung für rund 6000 Heimatvertriebene, die hier ihr neues Zuhause finden. Architekt Noppes plant Wohnhäuser, Sportplätze und Kirchen, sieht ein Strandbad an der Isar vor. Eine harmonische „Idealstadt“ soll Geretsried werden, so beschreibt er seine Planstadt in einem Aufsatz. Die rechtliche Stadterhebung erfolgte 1970. Heute ist Geretsried die jüngste und mit gut 24 000 Einwohnern auch die größte Stadt im Landkreis Bad Tölz – Wolfratshausen. Der Lenggrieser Ortsteil Fall wird aus anderen Gründen neu gebaut. Hintergrund ist die Errichtung des Sylvensteinspeichers. Er soll München vor Hochwasser schützen. Der alte Ort muss weichen, die Bewohner werden zwangsumgesiedelt, an einen höher gelegenen Ort in Richtung Vorderriß. Wohnhäuser und die katholische Kirche Maria Königin werden in einheitlichen und modernen Bauformen der 1950er Jahre errichtet. Die achteckige schindelgedeckte Kirche, die Teile der Ausstattung der alten Kirche beinhaltet, ist heute das einzige denkmalgeschützte Gebäude im neuen Ort Fall. (Kaija Voss) (Die Kirche im Lenggrieser Ortsteil Fall - Foto: Voss)

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