Kommunales

Bisher galt bei Kommunalwahlen in Bayern für die Umrechnung von abgegebenen Stimmen in Mandate das Verfahren d’Hondt. Begünstigt wurden dadurch vor allem die größeren Parteien. (Foto: DAPD)

05.04.2013

Bessere Chancen für Splitterparteien

Zur Kommunalwahl 2014 werden die Mandate in Bayern erstmals nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren ausgezählt

Es ist seit Jahren ein beliebtes Diskussionsthema auf Tagungen von Politikwissenschaftlern – wenngleich meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Nach welchem Verfahren sollen die Stimmen nach einer Wahl ausgezählt werden – d’Hondt oder Hare-Niemeyer? Was zunächst nach einem abstrakten Thema für Akademiker klingt, kann in der Praxis durchaus relevant sein. Denn: Treten zur Wahl eines Gremiums mehrere Parteien an, ist der proportionale Sitzanteil auf Basis des Stimmenanteils (Idealanspruch) nur in seltenen Fällen ganzzahlig. Daher ist ein Verfahren zur Berechnung einer ganzzahligen Sitzzahl notwendig, die jede Partei in dem Gremium erhält.
Nehmen wir mal an, ein fiktiver Stadtrat umfasst 50 Sitze und eine Partei erhält 15 Prozent der abgegebenen Stimmen. Je nach Auszählungsverfahren kann sie nun sieben oder acht Mandate erringen. Nicht nur wegen der Personalstärke ist das wichtig, manchmal entscheidet auch ein Abgeordneter mehr oder weniger, ob man als richtige Fraktion gilt oder nur als parlamentarische Gruppe. Vor allem in größeren Städten sind damit deutliche Unterschiede bei den Rechten – etwa mit Sitzen in Ausschüssen – und bei der finanziellen Ausstattung verbunden.
In Bayern wurde bei Kommunalwahlen bisher nach einem Verfahren mit dem Namen d’Hondt ausgezählt, benannt nach dem belgischen Rechtswissenschaftler Victor d’Hondt (1841 bis 1901). Davon gibt es zwei Untermethoden. Beim Höchstzahlverfahren werden die Stimmen der Parteien durch 1, 2, 3, ... dividiert und die Sitze in der Reihenfolge der größten sich ergebenen Höchstzahlen zugeteilt. Beim Divisorverfahren werden die Stimmen der Parteien durch einen geeigneten Divisor (Stimmen pro Sitz) dividiert und es wird abgerundet.


Keine Fünf-Prozent-Hürde


Die Methode ist vor allem in England und USA verbreitet. Dort sind Koalitionen unpopulär, der politische Wille geht dahin, der stärksten Partei auch ein Maximum an Mandaten zuzuschanzen, wenn möglich gar die absolute Mehrheit. So kann eine Partei, die nicht die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen hat, trotzdem die absolute Mehrheit im Parlament bekommen. Bei Kommunalwahlen kann das für die erfolgreichste Partei auch deshalb wichtig sein, weil hier, anders als auf Landes- oder Bundesebene, die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt, das heißt, Parteien, die darüber liegen, bekommen keine Stimmen zugeteilt von Parteien, die darunter liegen.
Klarer Verlierer waren dagegen bisher die kleinen Parteien. Denn nach dem d’Hondt-Verfahren kann eine große Partei nicht nur den auf die nächste ganze Zahl nach oben gerundeten Sitzanspruch erhalten, sondern sogar einen oder mehrere Sitze darüber hinaus. Und gerade in Bayern wird dieser Effekt durch die speziellen politischen Verhältnisse sogar noch gefördert. Denn hier gibt es große Unterschiede in den Parteienstärken, durch die immer zahlreicher werden unabhängigen lokalen Wählervereinigungen eine große Zahl konkurrierender Kräfte und vor allem in kleineren Gemeinden nur wenige zu vergebende Sitze.
Auf Landesebene wurde d’Hondt im Freistaat schon abgeschafft. Der Verfassungsgerichtshof hatte diese Form der Auszählung für verfassungswidrig erklärt. Besonders die FDP sah sich benachteiligt. Sie errang 1990 zwar 5,4 Prozent der Stimmen, bekam danach aber nur 3,4 Prozent der Mandate. Im Dezember 2010 erfolgte deshalb auf einstimmigen Beschluss des Landtags auch eine Gesetzesänderung von Artikel 35, Absatz 2 des bayerischen Kommunalwahlgesetzes für den nächsten Urnengang im Jahr 2014. Dann gilt das Hare-Niemeyer-Verfahren, benannt nach dem Rechtsanwalt Thomas Hare und dem Mathematiker Horst F. Niemeyer. Hier werden den Parteien zunächst Sitze in Höhe ihrer abgerundeten Quote zugeteilt. Die noch verbleibenden Restsitze werden in der Reihenfolge der höchsten Reste nach dem Komma der Quoten vergeben. Keine Partei kann hierdurch mehr Sitze erhalten, als es ihrer auf die nächste ganze Zahl aufgerundeten Quote entspricht. Gleichzeitig kann keine Partei weniger Sitze erhalten, als es ihrer auf die nächste ganze Zahl abgerundeten Quote entspricht.
Die kleineren Parteien sind aber auch durch diese neuen Regelungen nicht generell vor Benachteiligung gefeit. Zumindest nicht in den Gemeinden, in denen die Bevölkerung in den nächsten Jahren spürbar wachsen wird, wie etwa im Münchner Umland. Denn laut bayerischer Gemeindeordnung macht eine steigende Einwohnerzahl irgendwann auch eine Erhöhung der Mandate im Gemeinderat notwendig. Dann aber greift womöglich das so genannte Alabama-Paradox, benannt nach dem US-Bundesstaat, wo dieses Phänomen erstmals wissenschaftlich untersucht wurde: Eine Partei kann ein Mandat verlieren, wenn bei gleichem prozentualen Wahlergebnis insgesamt mehr Mandate zu verteilen sind. Dies rührt daher, dass bei Erhöhung der Gesamtmandatszahl der arithmetische Proporz für große Parteien stärker ansteigt als für kleine.
Obendrein wird Hare-Niemeyer die Machtverhältnisse in den Rathäusern nicht stabilisieren, die Lokalparlamente werden bald wohl noch heterogener. Und auch die eine oder andere politische Kraft hätte eine Chance, die bisher draußen bleiben musste. Wäre etwa im Jahr 2008 das Ergebnis in der Landeshauptstadt schon nach dem neuen Verfahren ausgezählt worden, dann säße die rechtsextreme Bewegung Pro München – sie errang 0,9 Prozent der Stimmen – jetzt mit einem Vertreter im Stadtrat. Fazit: Das hundertprozentig gerechte Auszählverfahren wird es wohl auch in Zukunft nicht geben. (André Paul)

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