Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA genießt unter deutschen Kommunen einen denkbar schlechten Ruf. Die Städte und Gemeinden bangen um diverse Errungenschaften ihrer Selbstverwaltung. In den Rathäusern geht die Angst um, bei ureigenen Aufgaben der Daseinsvorsorge – wie beispielsweise der Trinkwasserversorgung, der Müllentsorgung oder dem Betrieb von Bus- und Bahnlinien im öffentlichen Nahverkehr – von privaten Anbietern ausgebootet zu werden. Mitverhandeln dürfen ihre Interessenvertreter in Brüssel – anders als wirtschaftliche Lobbygruppen – nämlich nicht mit hinter den verschlossenen Türen. Für die Eurokraten gelten der Deutsche Städte- und Gemeindebund oder der Deutsche Landkreistag nämlich als so genannte Nicht-Regierungsorganisationen (NGO). Immer öfter verabschieden deshalb auch in Bayern Lokalparlamente Resolutionen gegen TTIP: zuletzt unter anderem die Stadträte von Traunstein und Lichtenfels und der Bezirkstag von Oberbayern.
Im Deutschen Bundestag, wo sich das Abkommen – zumindest in den Reihen der schwarz-roten Regierungskoalition – einer großen Zustimmung erfreut, gefällt die kommunale Unbotmäßigkeit nicht jedem. Abgeordnete von Union und SPD haben deshalb, unterstützt vom in dieser Frage bei den Verhandlungen federführenden Bundeswirtschaftsministerium, den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags gebeten, ein Gutachten zu erstellen, ob sich die Kommunen überhaupt mit diesem Thema beschäftigen dürfen.
Die Experten des Parlaments kommen in ihrer schriftlichen Einschätzung zu einem eindeutigen Ergebnis, dass ihre Auftraggeber sicher freut: Stadt- und Gemeinde dürfen sich weder mit den derzeit diskutierten Handelsabkommen wie CETA, TTIP und TiSA befassen, noch entsprechende Entschließungen zu diesem Thema verabschieden. Grund: Es handele sich dabei um so genannte allgemeinpolitische Angelegenheiten. Im Klartext: Bürgermeister und Gemeinderäte: Finger weg von der großen Politik, das geht euch nichts an! Grundsätzlich hieße das, ein Bürgermeister als kommunaler Wahlbeamter – und in dieser Eigenschaft gegenüber dem Staat zur Loyalität verpflichtet – dürfte nicht nur selbst keinen solchen Antrag formulieren, sondern er müsste diesen sogar umgehend von der Tagesordnung nehmen, wenn ihn ein Gemeinderat dort platziert.
Unterstützung durchs bayerische Innenministerium
und das Bundesverwaltungsgericht
Diese Sicht der Dinge wiederum erbost Hans Jürgen Fahn, den europapolitischen Sprecher der Freie Wähler-Fraktion im bayerischen Landtag. Er ruft sogar dazu auf, den Widerstand an der Basis auszuweiten: „Wir ermutigen weitere Kommunen, dem Beispiel zu folgen und Resolutionen gegen TTIP zu verabschieden.“ Der Abgeordnete ist überzeugt: „Nur durch eine intensive Diskussion vor Ort wird es gelingen, die negativen Folgen des Abkommens möglicherweise noch zu verhindern.“
Bestärkt sehen sich die Freien Wähler durch eine Antwort des bayerischen Innenministeriums auf ihre Anfrage im Plenum des Landtags, wie es denn die Kommunen im Freistaat nun halten dürften mit dem Protest. „Im Rahmen ihrer Aufgaben“, so die Sicht des Ministeriums, sei es den Gemeinden erlaubt, Beschlüsse zu fassen – demzufolge auch mit solchen, die sich mit einer etwaigen Beschränkung ihrer Aufgaben beziehungsweise einer Einschränkung ihrer Aufgabenerfüllung befassen.“ Lediglich für allgemeinpolitische Fragen bestehe keine „Befassungskompetenz“, dafür hätten die Gemeinderäte kein Mandat. Allerdings schränken die Juristen von Ressortchef Joachim Herrmann (CSU) ein, es sei immer der konkrete Einzelfall zu prüfen. Grundsätzlich aber werde die Sicht des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags von Bayern „nicht geteilt“.
Auch der Deutsche Landkreistag hat seine Experten prüfen lassen und kommt „zumindest mit Blick auf die kommunale Organisationshoheit bei der Daseinsvorsorge, aber auch vergaberechtliche Auswirkungen im Rettungsdienst und bei der Wasserversorgung, zu einem überörtlichen bzw. örtlichen kommunalen Bezug.“ Eine „derart pauschale Verneinung der Befassungs- und Beschlusskompetenz von Kommunalvertretungen“ lehne man entschieden ab, heißt es.
Auf die Seite der Kommunen schlägt sich schließlich auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und mahnt, dass „ein örtlicher bzw. mit Blick auf die Kreise überörtlicher Bezug bereits dann gegeben ist, wenn eine Kommune sich lediglich vorsorglich und ohne unmittelbaren Anlass mit der entsprechenden Frage befasst.“
Vielleicht sollten die Juristen des Bundestags den Sachverhalt besser noch mal genau nachlesen. (André Paul)
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