Kommunales

Die Bildungskarriere steht in Bayern spätestens bei Zehnjährigen endgültig fest. (Foto: DAPD)

07.01.2011

Übertrittsquote als Staatsgeheimnis

Bayerns Eltern dürfen nicht erfahren, auf welcher Grundschule in ihrer Stadt oder Gemeinde die meisten Kindern den Sprung zum Gymnasium schaffen

In Bayern sollen Eltern auch weiterhin nicht wissen, welche Übertrittsquoten zu den weiterführenden Schulen die jeweiligen Grundschulen in ihrer Kommune aufweisen. Pädagogen und Behörden vor unliebsamen Nachfragen zu schützen rangiert beim Kultusministerium eindeutig vor dem Informationsbedürfnis der Eltern.
Es war nur die simple Frage eines neugierigen Vaters, aber sie brachte die Mitarbeiterin des Kreisschulamtes in seinem Landkreis mental aus dem Konzept: „Auf welcher Grundschule im Landkreis erfolgen denn die meisten Übertritte aufs Gymnasium und wo gehen die meisten Kinder später auf die Hauptschule?“, wollte er wissen. Nachdem sie beinahe stotternd drei Mal zu einer Antwort im klassischen Amtsdeutsch Anlauf nahm, zog sie sich schließlich in barscher Resignation auf das Diktum „Das sagen wir nicht!“ zurück.
Man mag von zu frühem Bildungsehrgeiz sprechen. Fest steht aber, dass nirgendwo die Weichen für die Zukunft eines Kindes so früh gestellt werden wie in Deutschland und innerhalb Deutschlands nirgends eher als in Bayern. Hauptschule oder Gymnasium: Das entscheidet sich nicht erst in der 4. Klasse. Wenn die Frage Abitur oder nicht dann fünf Kilometer Fahrt zur nächsten, besseren Grundschule bedeuten, wird der Spritpreis rasch irrelevant.
Nun kann man sich als Vater natürlich die Arbeit machen und die einzelnen Schulen abtelefonieren und um die Zahlen bitten. Doch ein gesundes Misstrauen gegenüber neugierigen Bürgern ist des Beamten zweite Natur. „Wofür brauchen Sie das denn?“, erkundigten sich die Schulleiter. Nachdem sie sich bei der zuständigen Regierung von Oberbayern rückversichert hatten, wurde dem Vater mitgeteilt: „Dort möchte man nicht, dass diese Zahlen verglichen werden.“
Das findet man beim übergeordneten bayerischen Kultusministerium auf Nachfrage auch ganz richtig so. „Die Vergleichsbedingungen sind zu unterschiedlich“, rechtfertigt Ministeriumssprecher Ludwig Unger diese Zugeknöpftheit. Die Rahmenbedingungen seien zu unterschiedlich, das jeweilige Umfeld der Schule müsse berücksichtigt werden, jeder Sachaufwandsträger – das ist die entsprechende Kommune – leiste einen anderen Beitrag. Wenn man ohne Berücksichtigung dieser ganzen Faktoren vergleiche, dann würde dies zu „Verwerfungen führen“, bangt Unger, manche Menschen würden sich „in Schwierigkeiten wiederfinden“. Es bestehe die Gefahr, dass einzelne Schulen oder Schulleiter „gebrandmarkt“ wären.
Das klingt wie ein klares Bekenntnis zur Intransparenz – doch man bedenke, dass das Ministerium bis vor gut einem Jahr noch viel weniger Informationen rausrücken wollte. Erst seit 2009 werden die Vergleichszahlen nach Landkreisen aufgeschlüsselt, davor gab es die entsprechenden Zahlen nur auf Ebene der Bezirke.
Durchschnittlich erreichen im Freistaat 38,9 Prozent der Grundschüler das Gymnasium. Den aktuellsten Angaben vom September 2009 lässt sich entnehmen, dass im Landkreis München die meisten Grundschüler den Sprung aufs Gymnasium schaffen, 61,4 Prozent, gefolgt vom Landkreis Starnberg mit 58 Prozent und der Stadt Erlangen mit 54,2 Prozent. Die wenigsten Gymnasiasten gibt es laut der offiziellen Tabelle im Landkreis Cham mit 27,1 Prozent. Interessant: Nicht überall, wo die Zahl der Gymnasiasten unter dem Durchschnitt liegt, steht dieser ein entsprechend hoher Anteil an Hauptschülern entgegen – wie etwa im Allgäu. Dort sind diese beiden Schultypen gleich weniger nachgefragt, es dominiert der Realschulabschluss – der klassische Schultyp für den anspruchsvollen handwerklichen und industriellen Lehrberuf.
Gleichwohl sieht man im Kultusministerium die Notwendigkeit von Evaluierungen der einzelnen Grundschulen, möchte dabei aber das Heft in der Hand behalten. Derzeit sind nach Angaben des Ministeriumssprechers etwa 90 „Teams“ im Lande unterwegs. Sie bestehen aus drei Lehrkräften plus einem Vertreter der Elternschaft beziehungsweise aus der Wirtschaft. „Ein Stück Vergleichbarkeit“ soll damit geschaffen werden, so Ludwig Unger. Rund 700 Schulen wurden auf diese Weise bereits begutachtet. Welche konkreten Konsequenzen ein womöglich katastrophales Ergebnis für den jeweiligen Schulleiter haben kann, gibt das Ministerium allerdings nicht bekannt.
Etwas transparenter geht man mit dem Sachverhalt im Nachbarland Baden-Württemberg um. Dort werden die Übertrittzahlen der einzelnen Grundschulen zwar grundsätzlich auch innerhalb der Kommune veröffentlicht – allerdings mit einer wesentlichen Einschränkung: Es muss mindestens drei Hauptschulen in der betreffenden Kommune geben. Das ist in der Regel aber nur bei größeren Städten der Fall.
Freiwillig wollte auch die Landesregierung in Stuttgart diese Daten nicht veröffentlichen. Sie wurde nach einer entsprechenden Klage durch das Verwaltungsgericht Stuttgart dazu gezwungen. Prompt legte der Minister Beschwerde ein, die nächste Instanz könnte dieses Urteil also wieder kassieren.
„Gar nichts“ vom Schweigegebot des bayerischen Kultusministeriums hält Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD), Vorsitzender des Bildungsausschusses im bayerischen Landtag. „Entweder die Zeugnisse der Kinder sind objektiv und korrekt, dann kann man die Zahlen der jeweiligen Grundschulen auch bekannt geben – oder man hat etwas zu verbergen.“
Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), so mutmaßt Pfaffmann, wolle gar keine Transparenz. Denn dann könnten viele Faktoren zur Sprache kommen, die nach Ansicht der SPD wesentlich verantwortlich für die teilweise „gewaltigen Unterschiede“ bei den Übertrittsquoten sind, etwa „Einkommen und Bildungshintergrund der Eltern“. Schon die großen Differenzen zwischen den einzelnen Landkreisen seien bedenklich. Komplette Offenheit würde zeigen, dass man mit dem bisherigen System die Kinder „in Schubladen“ stecke. Nach Angaben von Pfaffmann denken SPD und Grüne auch über einen entsprechenden Antrag im Landtag nach, der das Kultusministerium zur Transparenz zwänge. (André Paul)

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