Kultur

Katharina Friedl als Linda und Martin Herse als Paul. (Foto: Angelika Relin)

12.08.2016

Bitterböses Demaskieren

„Wir sind keine Barbaren" in Sommerhausen thematisiert die Asyldebatte

Philipp Löhles Stück Wir sind keine Barbaren geht einer naheliegenden Frage auf den Grund: Was passiert, wenn ein Mitteleuropäer einen Flüchtling bei sich zu Hause aufnimmt, der die Sprache des Gastgebers nicht spricht und von dem selbst Name und Herkunft unbekannt sind? Löhle zeigt zwei Pärchen, die in Nachbarschaft leben, sich selbst irre gut finden, aber in ihrer Moderne-Welt-Lifestyle-Propaganda eigentlich nur irrsinnig spießig sind. Und dann taucht eines Nachts einer auf, der um Asyl bittet und bei einem der beiden Pärchen eingelassen wird. Von da ab geht’s rund. Beziehungsweise: unrund. Kann die Betreuung von Asylsuchenden Aufgabe von Privatleuten sein? Kann das gutgehen?

Unsichtbare Hauptperson

Löhles Trick: Der Flüchtling selbst taucht nicht auf – er ist nur präsent im Sprechen über ihn. Schnell türmen sich da die Wolken der giftig-konträren Meinungen auf über jenen Mann, seien sie nun für oder gegen seine Präsenz im Hause. Schnell wird klar: Es geht nicht um den Flüchtling selbst und sein individuelles Schicksal – es geht nut um Haltungen. So wird auch das Publikum motiviert, in diesem Sturm der Urteile, Vorurteile und Verurteilungen Position zu beziehen – und diese vielleicht gleich wieder zu hinterfragen. Dazu gibt es ist einen Chor, der beiseite steht und die Dinge kommentiert. In diesem Fall bedient sich der Chor vor allem nationalistischer Floskeln und der Selbstverteidigung. Das verstärkt den Eindruck, dass da weniger argumentiert, mehr halluziniert wird. Das Stück demaskiert. Ercan Karacayli hat es jetzt auf die Bühne Torturmtheater Sommerhausen gebracht. Vor allem die komödiantischen Aspekte dieser bitterbösen Satire über Asyldebatten bekommen er und seine Spieler knackig und sehenswert hin. Michaela Weingartner als Empathieträgerin Barbara, die von ihrem Sendungsbewusstsein regelrecht fortgerissen wird, Norbert Ortner als deren Mann Mario, lustig-tapsig wie ein harmloser Ehemann-Bärchi, Katharina Friedl als meinungsstarkes Fitness-Geschoss Linda voll blankstem Egoismus, Martin Herse als Paul, ein leicht prolliger Gemütsregulator seiner Angetrauten: Die Figurenzeichnung funktioniert bunt und munter, auch weil durch Löhles Dialoge das Personal schnell herrlich vertraut wird. Sehr unterhaltsam kommt das Stück daher, und dass die vier Darsteller zugleich auch den Chor übernehmen, macht ihre Rollen nur leicht unscharf.

Feine schwarze Komödie

Einen sachten Durchhänger gibt es zuletzt: Löhles Stück nimmt noch einmal eine abrupte Wendung, die vorher im Personal aber eigentlich nicht so richtig angelegt ist. In Sommerhausen kommt das Ende deshalb eher als schrilles Crescendo denn als logischer Schlusspunkt daher. Aber das ist nur ein kleiner Schwachpunkt in einer fein gestrickten schwarzen Komödie, die jegliches Schwarz-Weiß-Denken voll grinsender Bosheit entlarvt. Sie macht außerdem klar, dass kein Einzelner die Kernaufgaben der Gemeinschaft, also des Staates, erfüllen kann: Wer die Aufnahme von Flüchtlingen befürwortet, muss das nicht selbst tun. (Christian Muggenthaler)

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