Kultur

Besonders schön gestaltet ist der Adelsbrief (hier ein Ausschnitt, die Gesamtansicht in der Bildergalerie am Ende des Beitrags), den König Ludwig I. 1833 unterzeichnete: Fortan durfte sich der reiche Neubayer Gottlieb Emanuel Strehl „von Brizay“ nennen. Foto: BHSTA

02.06.2017

Brisante Schätze

Das Bayerische Hauptstaatsarchiv zeigt Exponate, die es in den vergangenen Jahren aus Privatbesitz und im Auktionshandel erworben hat

Mehr Krempel als Kunst und Wertvolles findet man auf den Flohmärkten landauf, landab. An den Ständen wird in erster Reihe feilgeboten, was den Anschein des vor allem „schönen Alten“ hat. In Kisten unter die Tische wandert, was kein optischer Verkaufsschlager ist und eher nebenbei verhökert werden soll. Das gilt oft für Schriftgut. Ob genau in einer solchen „Krabbelkiste“ auf dem Flohmarkt in Neukeferloh im Münchner Umland jener Sammler diesen Schatz entdeckte, der jetzt in einer Ausstellungsvitrine liegt? Vermutlich hat der Verkäufer gar nicht gewusst, was er da loswerden wollte – wer kann schon verschnörkelte alte Handschriften entziffern, gar noch, wenn der Text auf Latein abgefasst ist? Und wenn man Ebay durchstöbert, sieht man ohnehin schnell, dass nicht jede Urkunde, nur weil sie alt ist, auch eine Rarität und damit teuer ist: Allein das üppige Angebot an Bestallungsurkunden ehemaliger Beamter! Schon für wenige Euro kann man sie erwerben.

Heißes Diebesgut

Wenn er wusste, was er da aufgestöbert hatte, wird der Sammler bestimmt mit Pokermiene die neun Urkunden dem Neukeferloher Anbieter abgekauft haben – hoch kann die Summe nicht gewesen sein, denn letztlich hat er die Stücke dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv kostenlos überlassen. Allerdings nicht gleich. Er hat schon erst selbst noch sein Glück versucht – über Ebay. Eine der neun Urkunden ging gleich weg – nach Amerika. Auch für das restliche Angebot gab es Interessenten – allerdings waren das Archivexperten und gar Ermittlungsbeamte: Die Urkunden waren nämlich Diebesgut. Nein, der Ebay-Anbieter bekam keine saftige Strafe – die Urkunden waren nämlich schon vor Jahrzehnten gestohlen worden. Die Recherche ergab, dass sie im Zweiten Weltkrieg „Füße bekommen haben“: Zu jener Zeit waren Amtsräume des Hauptstaatsarchivs in der benachbarten Staatsbibliothek an der Münchner Ludwigstraße untergebracht; das Gebäude wurde von Bomben getroffen. Zwar hieß es „Betreten verboten“ – doch gab es Langfinger, die in der Ruine nach Brauchbarem suchten. Und die Urkunden des Domkapitels Passau aus dem 14. Jahrhundert ließen sich bestimmt auch auf dem Schwarzmarkt zu Geld oder Lebensnotwendigem machen. Oder war es die wohlgemeinte Rettungstat eines Kulturbeflissenen, der nur „vergaß“, die Stücke zurückzugeben? Und erst die Erben haben sie beim Ausmisten entdeckt und „das olle Glump“ in den Verkauf gebracht? Es lassen sich viele aufschlussreiche Geschichten allein um die Biografie dieser Urkunden erzählen – bis zu der, wie durch Zufall selbst das nach Amerika verkaufte Stück wieder zurückkehrte. Auch was die anderen Exponate angeht, die das Bayerische Hauptstaatsarchiv unter dem Titel Geborgene Schätze präsentiert: Es brodelt an Brisanz! Allein der letzte Brief von Ludwig II.: Man wusste um ihn, doch erst im vergangenen Sommer tauchte der „Sensationsfund“ auf – nicht durch einen Hehlerdeal, sondern ganz legal aus Wittelsbacher Familienbesitz. Jetzt ist er im Archiv und jedermann kann ihn lesen – und vielleicht sein Bild über die letzten Tage im Leben des „Märchenkönigs“ revidieren: War er wirklich nicht ganz bei Sinnen? Was er da an seinen Vetter in München schrieb, zeigt: Ludwig wusste sehr wohl, wie ernst die Lage war, was man gegen ihn im Schilde führte. Wie fahrig war doch seine Schrift! Er entschuldigt sich selbst dafür. Jeder andere würde in einer emotionalen Ausnahmesituation bestimmt genauso „schmieren“ – das Gekrakel als Beweis von geistiger Umnachtung zu interpretieren erscheint da unseriös.

Den Kernbestand ergänzen

Fast zwei Dutzend Exponate zeigt das Hauptstaatsarchiv – es sind alles Neuerwerbungen der vergangenen Jahre. Und obendrein Stücke, die sich vom Gros des Archivguts, das von staatlichen Behörden und Gerichten regelmäßig überstellt wird, gehörig unterscheiden: Diese Stücke stammen aus Privatbesitz. Etwa sieben Prozent machen die Privatbestände im Hauptstaatsarchiv aus, schätzt Bernhard Grau; er ist stellvertretender Leiter der Generaldirektion der staatlichen Archive Bayerns und einer der beiden Ausstellungskuratoren. „Bei privatem Archivgut handelt es sich meist um Nachlässe von Politikern, Militärs und hohen Beamten. Manchmal sind es auch Einzelstücke und Sammlungen, die wir aber nur erwerben, um unsere Kernbestände zu ergänzen oder abzurunden.“ Das gilt zum Beispiel für einen prächtigen Adels- und Wappenbrief, den das Archiv bei Ebay ersteigerte. Aus der Zeit König Ludwigs I. besitzt es ausgesprochen wenige solcher Adelsbriefe. Im Fall des Schweizers Gottlieb Emanuel Strehl zeigte sich der König gnädig – für 100 000 Gulden. Die hatte der reiche Neubayer zuvor in bayerischen Staatspapieren angelegt. Als Anerkennung erhielt er eine schön gestaltete Urkunde und durfte sich fortan „von Brizay“ nennen. Im Gegensatz zu den wenigen Adelsbriefen von Ludwig I. verwahrt das Hauptstaatsarchiv eine sehr große Sammlung von Mandaten – das waren schriftliche Anordnungen „von oben“, die an alle relevanten Amtsträger im Land weiterverteilt wurden. Dort sammelte man sie, legte sie ab, schlug hin und wieder nach – und entsorgte sie nicht selten, wenn ihr Inhalt überholt war. Trotzdem haben sich solche Mandate zahlreich erhalten, sie waren einst Massenware. Wenn das Hauptstaatsarchiv trotzdem gezielt hinter solchen Mandaten her ist, dann deshalb, weil man die zentrale Mandatssammlung vervollständigen möchte: „Die ergänzen wir peu à peu. Geordnet werden die Mandate nach Datum. Für die Forschung ist es sehr praktisch, wenn man an einem Ort alle Mandate einsehen kann“, sagt Bernhard Grau. In der Ausstellungsvitrine hängen beispielhaft zwei Mandate von 1552 und 1682, die man in einem englischen Antiquariat beziehungsweise auf einer Auktion erwerben konnte: Einmal geht es um die Beschränkung des Pferdehandels im Herzogtum Bayern, das andere Mal um das Verbot, minderwertige Münzen in den Umlauf zu bringen.

Geringer Etat für Ankäufe

Solche Käufe aus dem Auktionshandel kann sich das Archiv allerdings nur bedingt leisten: Der Erwerbungsetat für alle staatlichen Archive Bayerns macht gut 40 000 Euro jährlich aus. Spektakuläre Ankäufe sind nicht drin – auch von Stiftungen sind so gut wie keine Finanzspritzen mehr zu erwarten: „Dort hat man bei der Förderpolitik inzwischen vornehmlich Soziales im Fokus“, so Bernhard Grau. Den Archiven geht daher oft genug etwas durch die Lappen: Noch eher kann man sich mit Antiquaren oder Privatleuten auf annehmbare Preise einigen – „wenn Raritäten erst einmal in den Auktionshandel kommen und sich Händler dafür interessieren, haben wir meist keine Chance mehr“, bedauert Grau. Sein Diktum „Archivgut ist keine Handelsware“ entpuppt sich zunehmend als Wunschgedanke: „Immer mehr Auktionshäuser, die eigentlich mit Kunst handeln, nehmen auch Schriftstücke in ihr Portfolio auf, die in Archive gehören.“ Die Archivwürdigkeit ist besonders Autografensammlern gänzlich egal, sie sind dem Experten ein besonderer Dorn im Auge: „Sie machen Jagd auf die Schriftstücke nur der Unterschriften wegen, der Inhalt interessiert sie herzlich wenig. Oft könnten solche Dokumente aber in den Archivbeständen wichtige Lücken im Sinnzusammenhang schließen.“ Rechtliche Möglichkeiten, gegen das Veräußern von Archivgut vorzugehen, haben Archive nur in sehr beschränktem Maß. Wenn Dokumente im Handel auftauchen, die eindeutig aus staatlichem Besitz stammen, sich also auf ehemaliges Verwaltungshandeln beziehen, „dann weiß man, dass sie wahrscheinlich nicht auf legalem Weg in private Hand gekommen sind.“ Dann wird gegebenenfalls die Ermittlungsbehörde eingeschaltet. Geschützt ist ferner, was als „national wertvolles Kulturgut“ offiziell eingetragen ist. „Das gilt in Bayern vor allem für die wichtigsten Adelsarchive. Das sind zum Beispiel die der Fürstenhäuser Oettingen und Thurn und Taxis.“

Auktionskataloge wälzen

Ein grundlegendes Problem ist freilich, dass das Archiv nicht systematisch den gesamten Handel beobachten kann – „wir machen das eher nebenbei, sind auf Hinweise von außen angewiesen.“ Manche Antiquare pflegen durchaus engere Kontakte zu Archiven, Auktionshäuser rühren sich allerdings nicht. „Da müssen wir schon von uns aus ständig die Kataloge wälzen. Normalerweise finden wir in jeder Auktion ein oder mehrere Lose, die wir uns genauer anschauen.“ Manchmal passieren aber auch kleine Wunder – wie im Fall einer der mittelalterlichen Urkunden vom Neukeferloher Flohmarkt, die einen amerikanischen Käufer fand. Der meldete sich nämlich von sich aus: Vom Staatsarchiv Nürnberg wollte er mehr über seinen ersteigerten Schatz wissen. Am Ende überließ er dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv die Urkunde – ohne zu wuchern, genau zu dem Preis, den er selbst gezahlt hatte. (Karin Dütsch) Information: „Geborgene Schätze“, bis 30. Juni. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Schönfeldstraße 5, 80539 München. Mo. bis Do. 8.30-18 Uhr, Fr. 8.30-13.30 Uhr. www.gda.bayern.de

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