Ein riesiger Scherbenhaufen wird das gewesen sein inmitten der Trümmer, als das 37 Quadratmeter große Prachtfenster im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität zerborsten war. Spreng- und Brandbomben des Zweiten Weltkriegs legten alle Kunst am Bau in Schutt und Asche. Beim Wiederaufbau galt es, den Studenten erst einmal ein sicheres Dach über den Köpfen zu bieten, an die ästhetische Zier war da nicht zu denken. Schlichtes, farbloses Glas schloss das riesige halbrunde Loch in der Westwand.
Erst in jüngerer Zeit hat man sich überlegt, nach der notwendigen baulichen Ertüchtigung der Raumschale in den Jahren 2012/13 auch das einstige Raumkunstwerk Lichthof zu rekonstruieren – wenigstens zitatweise. Den Anfang machten 2014 die beiden markanten großen Laternen an den Treppenaufgängen.
Teil zwei des mehrstufigen Rekonstruktionsprogramms wird soeben abgeschlossen: Wer jetzt die Uni am Geschwister-Scholl-Platz betritt, den begrüßt mit frontalem Blick wieder die Madonna mit dem segnenden Jesuskind auf dem Schoß – es ist das Motiv, mit dem die Uni seit ihrer Gründung 1472 siegelt.
Freilich mutet die künstlerische Auslegung moderner und geradezu volkstümlicher an als die gotisierend-göttliche Darstellung auf dem Siegel: Der Entwurf stammt von Paul Neu (1881 bis 1940), einem vor allem wegen seiner Gebrauchskunst vielbeschäftigten Gestalter und Illustrator. Er war einer der zahlreichen Künstler, die Architekt German Bestelmeyer (1874 bis 1942) für seine Umgestaltung und Erweiterung des alten Unigebäudes in den Jahren 1906 bis 1909 um sich scharte. Die Baumaßnahmen waren notwendig geworden, weil der Friedrich-von-Gärtner-Bau aus den Jahren 1835 bis 1840 längst aus allen Nähten platzte: Die Zahl der Studenten hatte sich in den wenigen Jahrzehnten ungefähr verdreifacht.
Aufwendige Recherche
Eine der grundlegenden Veränderungen betraf das Entrée des Hauptgebäudes: An das Treppenhaus wurde ein schmucker Lichthof mit rundem Kuppelfenster und halbrundem Fenster an der Westwand angebaut. In dieses Fenster war eine Kunstverglasung integriert – eben die Bilder von Maria mit Kind samt umgebenden Wappendarstellungen der drei Unistandorte Ingolstadt, Landshut und München. 1,84 mal 1,70 Meter maß dieses „Bild“, 400 Mark kostete es. Das geht aus den Firmenunterlagen der Bayerischen Hofglasmalerei Gustav van Treeck hervor. In diesem Schwabinger Unternehmen (1887 gegründet) wurde das Fenster gefertigt.
Eben dort wurde beinahe 110 Jahre später auch die Rekonstruktion des Fensters bewerkstelligt. Besondere Tüftelei und Recherche waren dazu nötig: Denn wie das Originalfenster ausgesehen haben mag, weiß man nur von einer Fotografie, die die Kunsthistorikerin Elgin Vaassen-van Treeck eher zufällig im Münchner Stadtarchiv entdeckte. Allerdings war das eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Dennoch war sie eine wertvolle Grundlage für die Rekonstruktion.
Neben dem maßstabgerechten „Hochzoomen“ auf die gegebene Raumgröße hat man Grauwerte in Farben „übersetzt“: Rot zum Beispiel erscheint meist schwarz. Eine gehörige Portion Vergleichsarbeit mit anderen Glasarbeiten der Zeit (vor allem jenen nach Paul-Neu-Entwürfen), manches Spekulieren, gepaart mit dem Gefühl für Nuancen, waren nötig, bis sich die Experten in der Werkstatt auf eine sehr wahrscheinliche Farbkombination geeinigt hatten.
Ätzen oder pinseln?
Dann war noch die Frage des Materials zu klären: War das Rot eine aufgemalte Glasfarbe und auch das Muster darauf mit Schwarzlot gepinselt – oder war es ein Stück Überfangglas, aus dem die Muster rausgeätzt waren? Welche leicht getönten Stücke waren durchgefärbt, auf welche wurde Schwarzlot aufgetragen und dann mit dem Handballen wieder bis auf einen unmerklichen Rest weggewischt? Welche Teile dieses zusammengelöteten Glaspuzzles waren aus edlem mundgeblasenem Antikglas, das mit seinen feinen Schlieren eine so plastische Lichtwirkung entfaltet?
Laut Auftrag von 1908 sollte die große Fläche um die Kunstverglasung herum aus undurchsichtigem, patiniertem, eingebranntem und getöntem Antikglas sein – es sollte zu grelles Tageslicht ein wenig dämpfen. In der Rekonstruktion hat man sich für Kathedralglas mit seiner markanten, lichtbrechenden Oberflächenstruktur entschieden. Haben die Rekonstrukteure auch den richtigen Farbton getroffen, so wie man ihn sich zumindest heute vorstellt?
„Ich habe befürchtet, dass eine zu dunkle Tönung der Verglasung vielleicht zu viel Tageslicht nimmt“, räumte Alexander Schweitzer, Architekt im Staatlichen Bauamt München 2, vergangene Woche beim spannenden Showdown ein, als die Kunstverglasung eingesetzt wurde. Ein Blick durch
die Halle widerlegt die Befürchtung. Raphaela Knein, Glasmalerin und eine der beiden Geschäftsführerinnen der Hofglasmalerei, klettert vom Gerüst, lenkt die Blicke der staunenden Zuschauer erklärend auf ein Detail: „Sehen Sie, wie sich das weißsichtige Glas der Schriftbänder subtil von der Umgebung abhebt?“
Zweifelsohne unterstützt diese warme Abtönung der umgebenden Glasfläche die Farbigkeit des Glasbildes, die subtil edel und nicht aufdringlich bunt leuchtet. Hausverwalter Michael Strauch überlegt direkt in Vorfreude: „Welches Lichtspiel mag das Glasfenster in den Raum werfen, wenn die Nachmittagssonne durchscheint? Oder bei Abendrot?“
Noch werfen Gerüststangen ihr Schattenbild brachial über das Glasfenster – Ende November sollen sie verschwunden sein. Bis dahin werden Feinarbeiten erledigt: Der Kitt muss trocknen, das feine metallene „Skelett“ des riesigen Glasfensters wird weiß gestrichen – es handelt sich dabei um die Schlosserarbeiten der Nachkriegszeit, die als Auflage des Denkmalschutzes erhalten werden mussten.
Rund 94 000 Euro waren für das Fenster samt Gerüst- und Einbaukosten notwendig, „die Rekonstruktion der Kunstverglasung mit unserem Universitätsmotiv konnten wir aus einer Spende bewerkstelligen“, erzählt Liegenschaftsverwalter Matthias Fahrmeir.
Stumme Fürbitte
Sein Blick geht nach oben, er überlegt: „Von der Decke hing einst ein auffallender großer Leuchter. Den könnte man eigentlich auch rekonstruieren.“ Hausverwalter Strauch schiebt nach: „Und es gäbe einige weitere Glasfenster, die sich als Rekonstruktionen wieder gut an ihren alten Stellen machen würden.“
Was ist eigentlich mit dem Fenster vor der Aula? Ist das nicht auch von Paul Neu gewesen? Wo könnte man Fotos und Pläne finden? In Nullkommanichts ist die Runde am Diskutieren. Fast möchte man Fahrmeirs Blick hinauf zur Muttergottes im Glasfenster als stumme Fürbitte interpretieren: „Hilf, dass für all die Wünsche ein gewaltiger Geldsegen über uns hereinbricht.“ (
Karin Dütsch)
Abbildungen:Noch verdecken Gerüststangen den Blick auf das gesamte Glasbild mit der Madonna, dem segnenden Jesuskind und den Wappenbildern der drei Universitätsstandorte: unten das Münchner Kindl, links der Ingolstädter Panther, rechts die drei Helme Landshuts. (Foto: Karin Dütsch)
Im Gegenlicht sieht man gut die lebendige Struktur des getönten Kathedralglases, das die Kunstverglasung umrahmt. (Foto: Karin Dütsch)
Jetzt muss der Kitt noch trocknen. (Foto: Michael Strauch)
In der Januar-Ausgabe der BSZ-Beilage UNSER BAYERN lesen Sie einen ausführlichen Hintergrundbericht zum Universitätsfenster, seiner Rekonstruktion und über die Bayerische Hofglasmalerei Gustav van Treeck. Das Heft liegt der BSZ Nr. 3 am 19. Januar bei.
Lesen Sie mehr über die Mariendarstellung auf dem Siegel der Ludwig-Maximilians-Universität München:
http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/unser-bayern/detailansicht-unser-bayern/artikel/corporate-identity-mit-der-gottesmutter.html
http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/insignien-anno-dazumal-und-heute.html
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!