Kultur

Kirill Petrenkon bei der Arbeit. (Foto: Wilfried Hösl)

19.09.2017

Ein vertrauensvolles Miteinander

Mit Kirill Petrenko und der Bayerischen Staatsoper in Japan

Er ist ein Phantom. Mit Kirill Petrenko ein Gespräch zu führen, ist nicht möglich, weil er seit Jahren keine Interviews mehr gibt. Eine Ausnahme macht er nicht, auch nicht für die Journalisten in Fernost. Dabei scheint derzeit ganz Japan regelrecht scharf auf Petrenko zu sein. Jedenfalls war jetzt der „Hype“ um seine Person hier ganz besonders groß, denn: Zum allerersten Mal ist Petrenko gegenwärtig in Japan auf Besuch. Für dieses Debüt gastiert Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester und der Bayerischen Staatsoper in Tokio. Zuletzt weilte die Staatsoper 2011 in Japan. Damals war das Land kurz zuvor von einer verheerenden Katastrophe heimgesucht worden. Auf ein Erdbeben folgte ein Tsunami und ein Atomunglück. Und weil das jetzige Japan-Debüt von Petrenko eben ein ganz großer Hammer ist, nicht zuletzt für den japanischen Veranstalter, wurde immerhin eine Pressekonferenz mit dem Dirigenten einberufen. Auf ihr musste Petrenko prompt erklären, warum er keine Interviews gibt. „Diese Entscheidung ist schon sehr lange gefallen“, erwiderte er. „Es gibt viele Gründe. Für mich ist das Wichtigste, dass ich so wenig wie möglich über meine Arbeit sprechen möchte. Es sollte noch etwas von einem Geheimnis vorhanden sein. Man sollte als Dirigent auf dem Podium umso mehr sagen können und müssen.“ Auf dem Podium hat Petrenko ziemlich viel zu sagen. Davon konnten sich die Japaner selbst überzeugen, als im Saal Bunka Kaikan ein sinfonisches Konzert gegeben wurde. Dafür hatte Petrenko seine absolute Spezialität mit im Gepäck, nämlich: Gustav Mahler. In diesem Repertoire ist München derzeit besonders verwöhnt. Auch Mariss Jansons bildet mit den benachbarten BR-Symphonikern ein starkes „Mahler-Dreamteam“. In Tokio dirigierte Petrenko nun die fünfte Sinfonie und was da erwuchs, war ein Hörkrimi allererster Güte. Mit einnehmender Energie, aber ohne hohle Effekthascherei oder billige Larmoyanz wurde das Drama seziert. Ein Trompeten-Solo markiert den Anfang. Nicht selten wird diese Schlüsselstelle im Konzert hoffnungslos verbockt, mit fatalen Folgen für das ganze Werk. Nicht so Andreas Öttl: Bei ihm erwuchs eine unheilvolle Fanfare, die bis auf das Mark erschütterte.

Diesem Beispiel folgte Johannes Dengler im dritten Satz: Sein überirdisch schönes Horn-Solo sehnte sich nach befriedender Idylle, um alsbald jäh vom Horror des Lebens zertrümmert zu werden. Dazwischen bewies Petrenko im zweiten Satz, dass das „Stürmisch bewegt“ keineswegs ein hysterisch rasendes Tempo meint. Ein klar strukturiertes, inneres Beben wurde hörbar, das Form und Fraktur hellhörig durchleuchtete. Das berühmte Adagietto zerdehnte Petrenko wiederum nicht, sondern nahm es wohltuend fließend. Er hat ein stupendes Gespür für das richtige Zeitmaß, bei Mahler absolut entscheidend. Noch dazu räumte Petrenko mit dem weitverbreiteten Klischee auf, dass Mahlers Musik freie Veränderungen des Tempos, also Rubati, benötige. Das Gegenteil ist der Fall, weil damit die abrupten, collagehaften Wechsel von Ausdrücken konterkariert werden. Eine Glanzleistung wurde überdies die Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester von Sergei Rachmaninow. Mit dem Solisten Igor Levit ist ein vielschichtiges Porträt des „Teufelsgeigers“ herausgekommen: unerhört klangsinnlich, ganz ohne virtuosen Überdruck. Levit ist ein Farbenmagier, und mit Petrenko und den Musikern des Bayerischen Staatsorchesters fühlt er sich ganz besonders wohl. „Ich vertraue ihm, und ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit“, verriet Levit nach dem Konzert auf Nachfrage. Schon vor zwei Jahren hatte Levit unter Petrenko musiziert, in Israel. Auch zu anderen Dirigenten und Orchestern habe er ein besonderes Verhältnis, aber: „Die Partnerschaft mit dieser Gruppe von Musikern und mit ihm, das ist schon sehr singulär für mich.“ Levit spricht von einem „ganz großen Miteinander“. Genau dies ist die grundsätzliche Haltung von Petrenko als Dirigent. „Am besten erzielt man in den Proben mit dem Orchester so viel Einigkeit, dass im Konzert der Dirigent nur noch der Vermittler ist: zwischen Musik, den Ausführenden und dem Publikum“. Das bekannte er auf der Pressekonferenz in Tokio. Jetzt wird es in Tokio richtig spannend, wenn Wagners Tannhäuser gezeigt wird. In München wurde diese Neuproduktion kontrovers diskutiert. Wie wird wohl das japanische Publikum reagieren? (Marco Frei) (Petrenko dirigiert und Igor Levit spielt auf dem Flügel - Foto: Wilfried Hösl)

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