Kultur

Immer raffiniertere Computerprogramme erlauben es, phantastische Filmwesen zu gestalten und sich bewegen zu lassen, als wären sie reale Geschöpfe. Hier die Hauptfigur Svobodan in „Ein Krötenlied“. Der Kurzfilm ist die Diplomarbeit von Kariem Saleh und Robert Martin an der Filmakademie Baden-Württemberg. In Los Angeles erhielten die beiden dafür jüngst den Siggraph-Hauptpreis. für den Animago Award waren sie in der Kategorie „Bester Charakter“ nominiert, der dann allerdings an den französischen Beitrag „Poilus“ ging. (Foto: Filmakademie Baden-Württemberg)

15.09.2017

Fabelhafte Pixelwesen

Faszinierende neue Bildwelten: Animationsspezialisten trafen sich bei der Animago-Konferenz in München

Ein Schlachtfeld wie am D-Day: Bomben, Gewehrsalven – Soldaten rennen im Zickzack um ihr Leben, kauern in Schützengräben. „Poilu“ hießen die einfachen französischen Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg, vergleichbar den deutschen Landsern – das „Kanonenfutter“. Poilus heißt der französische Filmbeitrag, der einen der Hauptpreise beim Animago Award einheimste – in der Kategorie „bester Charakter“: In den Soldatenuniformen stecken Hasen. Das Entscheidende: Nicht nur die „Schauspieler“, sondern auch das Szenenbild der Verwüstungen mit all den Explosionen und dem Qualm wurden am Bildschirm Pixel um Pixel simuliert.

Filmanimationen boomen. Am PC wird der reale Dreh mit visuellen Effekten aufgemotzt, oder man baut ein komplet- tes Szenenbild aus Algorithmen. In München gibt es drei Weltfirmen für visuelle Effekte. Doch bei der Ausbildung der klassischen Filmschaffenden in Sachen Animation hat die Hochschule für Fernsehen und Film Nachholbedarf.

CGI und VFX sind heute feste Begriffe der Filmbranche: Bilder werden am PC gestaltet (Computer Generated Imagery/CGI), selbst in real gedrehten Filmen geht kaum mehr etwas ohne visuelle Effekte (VFX ist eine sprachliche Verballhornung dafür). Die Vielfalt an CGI-Animationen auf der diesjährigen internationalen Konferenz Animago vergangene Woche im Münchner Gasteig war phänomenal. Es wurden annähernd 1000 Videos aus aller Welt eingereicht, von denen es 33 ins Rennen um einen der elf Preise schafften. In Vorträgen und Filmvorführungen bekam man eine Ahnung von dem immensen Aufwand hinter den Produktionen und von der unabdingbaren Liebe fürs Detail, die die Macher auszeichnet. Modellierung der Charaktere, ihre Animation, das „Compositing“, also das Zusammenfügen all der vielen Einzelteile: Das sind nur drei Schlagworte aus den schier unzählbaren Arbeitsschritten, die zu solch faszinierenden komplexen Bildwelten führen.

Bayern geht leer aus

Dazu braucht es ein Team aus Spezialisten, das können bei großen Produktionen auch schon mal mehrere Hundert sein. Auch Fachleute für Simulation und Datenmanagement wirken mit – wie in anderen Bereichen der IT-Branche sind diese sehr gefragt. Und an denen mangelt es generell auf dem Arbeitsmarkt. Ob das ein Grund dafür ist, dass es gerade mal eine bayerische Produktion in die Riege der Nominierten für den Award schaffte? Nanos, eine Bachelorarbeit der Hochschule Deggendorf, ging letztlich in der Kategorie „beste Visualisierung“ aber leer aus, die Jury entschied sich für den englischen Beitrag Huawei Watch. Dies sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bayern in Deutschland Standort Nummer eins für CGI ist. „Wir erleben derzeit im Bereich digitale Postproduktion beziehungsweise VFX ein deutliches Wachstum“, sagt Ilse Aigner zufrieden. Bayerns Medienministerin ist in Personalunion Wirtschaftsministerin, weshalb sie das Wohlergehen der Branche besonders im Blick hat. „Bislang beläuft sich die Fördersumme aus den Mitteln des FilmFernsehFonds Bayern für 2017 auf rund 1,2 Millionen Euro. Insgesamt stehen uns dafür gut zwei Millionen Euro zur Verfügung. Ab dem kommenden Jahr werden wir die Mittel für die VFX-Förderung sogar auf knapp drei Millionen Euro jährlich erhöhen.“ Nicht zuletzt durch Firmen wie RiseFX (Der dunkle Turm, aktuell im Kino), Scanline (unter anderem Mitwirkung bei Game of Thrones) und Trixter (Spider-Man: Homecoming, derzeit im Kino) hat sich einschlägiges Know-how aus Bayern auch in Hollywood einen Namen gemacht.

Zu wenig Nachwuchs

Die Filmindustrie im Bereich VFX wächst und wächst – aber die Alarmglocken schrillen: Bei den Machern herrscht dringend Nachwuchsbedarf, mahnt Bettina Reitz, die Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München. „Wir laufen Gefahr, den Anschluss an den internationalen Markt zu verlieren und für deutsche Produktionen auf internationales Personal zurückgreifen zu müssen.“ Um im globalen Markt konkurrenzfähig zu sein, reicht künstlerisches Talent alleine nicht aus. „In den Produktionsetagen und bei der Auftragsvergabe der US-Firmen spielen gleichermaßen Zuverlässigkeit, Kulturverständnis, Kosten und, leider sind die sehr wichtig geworden, Förderzuwendungen eine Rolle“ sagt Michael Coldewey. „Leider deshalb, weil bekanntermaßen England, Belgien, Kanada oder Australien (alle mit gleichen Kulturverständnissen und Talenten) bessere Förderungen anbieten können.“ Michael Coldewey ist der Gründer des Animationsspezialisten Trixter und hat vor zwei Jahren den neu geschaffenen Lehrstuhl VFX an der HFF München übernommen. Ob es sich um kleine Retuschen in der Nachbearbeitung eines Films handelt (zum Beispiel Verkehrsschilder aus dem Bild verschwinden lassen) oder um epische Visualisierungen von Explosionen und Unwetterkatastrophen: Das ist heute so gut wie Standard der Filmgestaltung und Michael Coldeweys Ansicht nach gehört VFX deshalb unausweichlich zum Pflichtkanon eines jeden Filmstudenten. Er präzisiert: „Die Studierenden der derzeitigen Fachrichtungen müssen neben ihrem Studium selbstverständlich nicht auch noch all die Software lernen, um selber VFX machen zu können. Sie müssen aber lernen, wie man jemanden fragen kann, oder was möglich ist, wenn man zum Beispiel die Münchner Freiheit von 1945 im Film darstellen muss. Sie müssen die Chancen bekommen, mehr als nur über die Schulter der VFX Artists hinweg, zu erleben, wie das gedrehte Material weiter bearbeitet wird, oder gar ganz am Rechner entsteht. Wie muss ich mein Drehbuch nach möglichen VFX durchforsten, wie das kalkulieren, wie dann den Dreh planen und entsprechend die Nachbearbeitung anpassen. Die VFX zieht sich durch alle Studiengänge hindurch.“ Indes: Die VFX-Professur an der HFF ist derzeit nur eine halbe Stelle. Entsprechend eingeschränkt sind Möglichkeiten. HFF-Präsidentin Bettina Reitz spricht von einer „beratenden Instanz“. Michael Coldewey skizziert: „Ich verbringe die meiste Zeit damit, Studierenden Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wie sie ihre Ideen umsetzen können. Natürlich versuche ich immer, zunächst aufwendige VFX-Arbeiten abzuwenden, da die technischen Möglichkeiten und vor allem der Personalmangel mich dazu zwingen. Es gibt Lösungen mit Partnern oder Freelancern, die dann die Arbeiten übernehmen können. Richtig etwas bewegen könnte ich aber nur, wenn es einen eigenen VFX-Studiengang gäbe an der HFF.“ Bettina Reitz: „Ein Vollstudium digitaler Bildgestaltung wird auch von den Filmfirmen und der Industrie am Standort München und Bayern verstärkt an uns herangetragen.“

HFF-Lehrstuhl ausbauen

Tatsächlich geschieht etwas im Hintergrund: „Es gibt Überlegungen, diesen Bereich weiter auszubauen, damit die HFF für den Zukunftsbereich Digitalisierung noch besser aufgestellt ist und die Synergien mit der Branche am Filmstandort München weiter intensiviert werden können. Die Konzepte hierfür sind noch nicht abgeschlossen. Die Hochschule hat für das Ziel einer weiteren Vertiefung des Bereichs und die Ausarbeitung entsprechender Strategien die grundsätzliche Unterstützung des Ministeriums“, sagt Ludwig Spaenle. Konkret festlegen möchte sich der Kultusminister derzeit noch nicht, er verweist auf Verhandlungen im Doppelhaushalt 2019/2020. Derweil arbeitet man an der HFF bereits an einem Konzept zur Gründung eines Instituts für digitale Bildgestaltung, verrät Bettina Reitz. Dort soll das Lehrangebot auch die reine Animation, Visual Effects und Game Development umfassen.

Quereinsteiger sind typisch

Freilich rekrutiert sich das Heer der Macher von Animationsproduktionen nicht allein aus den Universitäten. Zum Beispiel bietet die Hochschule Kempten einen kompletten Studiengang Game Engineering und Visual Computing an, die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm bildet in den Bereichen Medieninformatik und Animation aus. Hinzu kommen private Einrichtungen (mit hohen Studiengebühren).
„Ein Studium ist aber nicht der einzige Weg, der hier zum Ziel führt. Es gibt auch etliche Ausbildungsberufe, die einen guten Einstieg in dieses Berufsfeld ermöglichen“, sagt Medienministerin Ilse Aigner und verweist auf die vielen Quereinsteiger, die für die Branche typisch sind. Die maßgeblichen Firmen fühlen sich ebenfalls dem Nachwuchs verpflichtet. Michael Coldewey: „Es zeichnet gute Unternehmen aus, wenn sie die Weitsicht besitzen, die Regisseurinnen oder Kameramänner von morgen jetzt schon mit ihren Möglichkeiten zu umwerben. So hofft die lokale VFX-Industrie darauf, dass dann später sich die Produktionen für die Auftragsvergabe nach München entscheiden. Gemäß dem Motto ,Man kennt sich!’“ Vom Allrounder mit einem gewissen Grundverständnis für CGI und VFX zum Spezialisten werde man erst in der Praxis, sagt Scanline-Chef Thomas Zauner. Leise Kritik kann er sich nicht verkneifen: Von den Hochschulen komme niemand, um überhaupt einmal nachzufragen, welche Arbeitsprofile die Firmen bräuchten. Wie rasant die Anforderungen an Spezialisten in CGI und VFX gestiegen sind, kann man an den technisch raffinierten Beiträgen verfolgen, die alljährlich bei der Animago zu sehen sind (die Veranstaltung wechselte 2016 von Berlin nach München). Realität und virtuelle Welten sind im Film kaum mehr zu unterscheiden.
Bei der Animago geht es auch um Neues rund um die technischen Tools – während der zweitägigen Veranstaltung präsentieren sich Softwarehersteller mit ihren einschlägigen Werkzeugen. Viele technische Innovationen ermöglichen CGI auch für kleinere Produktionen, studentischem Nachwuchs werden oft günstige Lizenzen gewährt. CGI und VFX sind keineswegs auf Spielfilme beschränkt: Die boomende Games-Branche rückt zunehmend in den Vordergrund – im ersten Halbjahr 2017 stieg der Umsatz mit Computer-, Konsolen- und Smartphone-Spielen in Deutschland auf über eine Milliarde Euro (elf Prozent mehr als 2016). Es ergeben sich manch interessante Schnittstellen zu anderen Wirtschaftsbereichen: VR-Brillen beispielsweise, mit denen der Spieler in virtuelle Welten eintauchen kann, werden anderswo zur Kostenreduktion erprobt. Meetings in der Industrie etwa: VR-Brillenträger können an Konferenzen teilnehmen, unabhängig vom Standort.

Automatisiert generieren

Der wirtschaftliche Aspekt, die Optimierung von Arbeitsabläufen: Darum drehten sich auch die Trends auf der Animago. So wurden neue Funktionen und Tools vorgestellt, die mithilfe von Machine Learning die Filmgestalter unterstützen. Wer Städte modelliert, muss das nicht mehr zeitaufwendig Pixel um Pixel von Hand am Rechner tun: Intelligente Programme generieren automatisiert ganze Städte – das interessiert auch die Architekten und Planer. Die Stuttgarter Luxx Studios haben mithilfe intelligenter Algorithmen ganze Vogelschwärme für ihren Animationsspielfilm Manou the Swift generiert. Wo früher jede Feder einzeln und je nach Flugverhalten per Hand simuliert werden musste, tun das Programme heute selbstständig und in viel kürzerer Zeit. Und doch: Wenn es um die kreative Arbeit an einem animierten Film geht, pocht Michael Coldewey auf den Unterschied: „Es sind die Menschen, die Künstler, die Talente, die die Inhalte erfinden. Soft- und Hardware sind Werkzeuge. Wie Pinsel und Leinwand – austauschbar beziehungsweise nicht nachhaltig. Technik ist nicht inhaltlich getrieben. Ein Auto kann von jedem gefahren werden. Aber Geschichten transportieren Inhalte, die prägen unsere Kultur, die sich verbreiten kann. Filme und Serien werden ihrer Inhalte wegen angeschaut. Nicht wegen ihrer technischen Herstellung.“

Technisch raffiniert verpackt

Natürlich haben viele der zum Animago Award eingereichten Beiträge berührende Geschichten: Nicht nur die der Hasensoldaten in Poilus gehen unter die Haut, auch im dänischen Beitrag Less Than Human (Sieger in der Kategorie „Beste Nachwuchs-Produktion“), in dem es um Zombies und ihre Alltagsdepressionen geht, ist einem mal zum Lachen, dann zum Gruseln und letztlich gar zu Rührseligkeit zumute. Aber gerade in dieser konzentrierten Zusammenschau hochprofessioneller Animationsfilme lässt man sich ebenso begeistern vom Making-of. (Alexandra Rogalli) Information: Teaser der Animago-Award-Preisträger und anderer nominierter Beiträge auf www.animago.com Einige Beiträge sind auch über youtube anzuschauen. Abbildungen:
Der Animago Award in der Kategorie "Bester Charakter" ging an „Poilus“ von Guillaume Auberval, Léa Dozoul, Simon Gomez, Timothé Hek, Hugo Lagrange, Antoine Laroye & David Lashcari (Foto: Isart Digital, Frankreich) Ein stimmungsvolles Foto – von wegen! Es ist komplett aus Pixeln generiert. Marek Denko aus Tschechien bekam dafür den Animago Award fürs „Beste Still“.    (Foto: Denko) Michael Coldewey ist Gründer des Animations-Spezialisten Trixter und VFX-Professor an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Er plädiert für den Ausbau des Studienangebots an der HFF. (Foto: Trixter) Den optisch dramatischen Pistolenschuss im aktuellen Kinostreifen „Der dunkle Turm“ haben VFX-Spezialisten von RiseFX am Bildschirm generiert.   (Foto: Sony Pictures) Von Depressionen im Zombie-Alltag erzählt Steffen Bang Lindholm aus Dänemark in seinem animierten Kurzfilm „Less Than Human“. Er gewann damit den Preis als beste Nachwuchsproduktion.    (Foto: The Animation Workshop)

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