Kalt pfeift der Wind durch die offenen Hallen. Sanft fällt das Licht durch die hohen Decken. Hinter Gestrüpp im Süden Nürnbergs verstecken sich die historischen Bahnhallen, in denen einst Güter im großen Stil von einem auf den anderen Zug umgeladen worden sind. Schon bald sollen die alten Umladehallen einem neuen Stadtteil weichen. Gegen das Vergessen im Süden wendet sich die gleichnamige Ausstellung im Museum für Industriekultur in Nürnberg.
Verschiedene Vereine und Initiativen, die sich der Wahrung des Stadtbilds gewidmet haben, wollen diese „Kathedralen der Technik“ erhalten. Brigitte Sesselmann, Elmar Hönekopp und Wolf Hergert sind sich sicher, dass die ehemalige Arbeiterstadt schon zu viele ihrer hervorragenden Industriebauten verloren hat. Gemeinsam wollen die Ausstellungsmacher verhindern, dass die imposanten Umladehallen am ehemaligen Südbahnhof sang- und klanglos aus dem Stadtbild verschwinden. „Wir wollen eine Debatte um die Zukunft der Hallen entfachen“, sagt Wolf Hergert vom Verein „Geschichte für Alle“. Der geplante Abriss der Hallen sei ein Jammer.
Alternativer Entwurf
Die bevorstehende Neubebauung des rund 90 Hektar großen Geländes mit einem „Retorten-Stadtteil“ halten die Aktivisten für die falsche Entscheidung. Ins Zentrum der Ausstellung rückt deshalb ein Gegenentwurf, mit dem die ehemaligen Bahngüterhallen reaktiviert werden könnten. In seiner Diplomarbeit hat Jan Müller, ein junger Architekt aus Nürnberg, Vorschläge zum Erhalt der historischen Hallenarchitektur gemacht.
Unter der Überschrift „Urbane Ressourcen“ schlägt Müller vor, die alten Bahnhallen wiederzubeleben und aus den imposanten Anlagen mit Kunst, Kultur und Lifestyle eine Attraktion für den neuen Stadtteil zu schaffen. Anhand von Plänen und Modellen zeigt Müller seine Zukunftsvision für die vom Abriss bedrohten Güterhallen. „Meiner Meinung nach ist es wichtig, Industriebauten als bedeutende urbane Ressourcen zu sehen, um mit der Substanz und der Geschichte nachhaltig umzugehen“, schreibt er in seiner Studienarbeit und schwärmt von der unverwechselbaren Hallenkonstruktion mit ihrer besonderen Atmosphäre und dem einzigartigen Raumgefühl. Müller verweist auf Beispiele in anderen Städten wie Paris oder Oslo, wo aus alten Hallen moderne Treffpunkte entstanden sind.
Apropos Treffpunkt: Seit der Stilllegung der überdachten Gleisanlagen im Jahr 1998 haben zahlreiche Künstler die verwaisten „Industriekathedralen“ für sich entdeckt. Davon zeugen zahlreiche bunte Graffiti an den Wänden. Besonders angezogen fühlten sich auch die Fotografen, die zwischen dem Gestrüpp die vor sich hin rostende Bahngeschichte mit der Kamera dokumentierten. Auch von dieser Geschichte erzählt die Ausstellung in großformatigen Bildern der Fotografen Martin Kopp und Georg Lang eindrucksvoll. Die Ausstellungsbesucher können sich auch ein Musikvideo ansehen, das in den Hallen des Schienengüterverkehrs entstanden ist.
Der Besucher erfährt auch alles über die Entstehungsgeschichte und die wirtschaftliche Bedeutung des Rangierbahnhofs als strategisches Logistikzentrum in Süddeutschland, das nicht zuletzt deshalb während des Zweiten Weltkriegs massiv bombardiert worden ist.
Sogar Bahnfreunde werden mit Details über den Gefällebahnhof mit seinen zuletzt elf Gleisen beglückt, der seinerzeit zu den weltweit größten und leistungsfähigsten Güterbahnhöfen zählte.
Dabei ist es den Ausstellungsmachern wichtig zu betonen, dass es sich bei den filigranen Bauwerken nicht um NS-Bauten handelt.
Nicht denkmalgeschützt
Die Schau im Industriemuseum tritt schlussendlich unmissverständlich dafür ein, die Hallen vor der Abrissbirne zu retten. Doch die Chancen dafür erscheinen denkbar schlecht. Der Eigentümer des Areals, ein Immobilienunternehmen, will den neuen Stadtteil ohne die alten Umladehallen aus dem Boden der Industriebrache stampfen. „Ein Erhalt der Hallen würde eine Vielzahl von Problemen aufwerfen“, sagt eine Firmensprecherin auf Anfrage. Bislang gebe es außerdem „keinen tragfähigen und zu Ende gedachten Vorschlag“. Auch der Denkmalschutz hätte kein Interesse an den Hallen.
Gegen den Abriss auf die Barrikaden gehen wollen die Ausstellungsmacher übrigens nicht. Denn einen Hoffnungsschimmer haben die Freunde der Bahnhallen noch. Mit dem geplanten Bau einer Universität an der Brunecker Straße könnten die alten Hallen neu ins Blickfeld geraten.
Bereits gelungen ist den Ausstellungsmachern jedenfalls, eine Debatte über die Sinnhaftigkeit der Abrissbirnenpolitik in Nürnberg entfacht zu haben. (
Nikolas Pelke)
Information: Bis 22. April. Museum Industriekultur, Äußere Sulzbacher Str. 62, 90491 Nürnberg. Di. bis Fr. 9-17 Uhr, Sa./So. 10-18 Uhr.
museen.nuernberg.de/museum-industriekultur. Der Eigentümer des Geländes stellt seine Pläne für den neuen Stadtteil „Lichtenreuth“ unter www.lichtenreuth.de im Internet vor.
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