Die Tauben sind schon davongeflogen – sie lassen sich Ende Juli in Burghausen nieder. Dafür hängen noch an diesem Wochenende 20 000 Schnüre von der Decke der Münchner Heilig-Geist-Kirche am Viktualienmarkt herunter. Schnüre mit Knoten – und wer seine Sorgen, Ängste, Anliegen auch in einen Knoten knüpfen will, der kann das im linken Kirchenschiff tun, anschließend seine Knotenschnur auf den Altar gleich danebenlegen. Sie wird dann mit hineingeknüpft in dieses Kunstwerk ganz da oben im barockisierten gotischen Gewölbe von Heilig-Geist. Maria, „die Knotenlöserin“, hat den Künstler Michael Pendry auf die Idee zu diesen Wolken aus Schnüren gebracht – Clouds heißt diese Installation.
Dass Tauben, wie in seiner Installation Les Colombes, etwas mit dem Heiligen Geist und christlicher Symbolik ganz allgemein zu tun haben, ist geläufig. Ohnehin wäre Pendry kein Mann, für dessen Kunst man eine Gebrauchsanweisung braucht: Als 2013/14 die papiernen Tauben schon einmal in blauem Licht und mit flügelschlagenden Geräuschen in München hingen, kamen 14 000 Besucher; jeder wusste sofort, was gemeint ist. Deshalb fliegen die Tauben nächstens auch nach Jerusalem, San Francisco oder Wien.
Das ist Anschub für weitere Pendry-Projekte: etwa (voraussichtlich ab Herbst 2016) für die fünf Kilometer blutrote Lichtschnur durch Venedigs Kanäle, die im trüben Wasser der Serenissima wie ein Lavastrom wirken soll. „Lebt Venedig oder blutet es aus?“, fragt Pendry – bisschen auch gegen die Kunst-Allmacht „Biennale“ gerichtet.
Großer Mitarbeiterstab
Dass hinter diesen Installationen und Projekten jahrelange Arbeit steckt, betont Pendry, der in London und München lebt und hier auch seine Firma artlab hat, immer wieder: fünf Jahre mindestens für Venedig. Und auch, dass er diese Arbeit nicht ohne einen erheblichen Stab von Mitarbeitern umsetzen kann – „ich bin der Ideenstifter, aber ich habe Programmierer, Lichtdesigner, Musiker, die mit mir zusammenarbeiten, über ganz Deutschland verstreut.“
Dass seine „Werke“ immer eine Art Bühnenbildcharakter, eine szenische Dimension haben, sieht man sofort: Pendry hat Architektur, Bühnenbild, Szenografie studiert, war bei Dieter Dorn in dessen letzten Kammerspiel-Jahren. Da hat er auch den genialen „Beleuchter“ Max Keller kennengelernt: „mein Ziehvater am Theater“. Über das Bühnenlicht kam er zu den Installationen, zum Skulpturalen. Und weil er zudem wissen wollte, was in Menschen vorgeht, kam noch eine Psychotherapeuten-Ausbildung dazu.
Die Clouds waren 2012 für die Münchner Schrannenhalle konzipiert, Les Colombes wurden eigens für die Heilig-Geist-Kirche im Auftrag der Erzdiözese München-Freising geschaffen. Die hat Pentry nie Vorschriften, Vorgaben für die Projekte gemacht: „Freising sieht, dass die Projekte Leute anziehen, die sonst nie in die Kirche gehen“, sagt Michael Pendry. „Ich arbeite mit Bildern, die in Kirchenräumen seit Jahrhunderten Symbolkraft haben.“
Berührungsängste mit einem erzbischöflichen Ordinariat und dessen Kulturmanagement hat Pendry („konfessionslos, aber in der Kirche“) überhaupt nicht: „Die Kirche war immer einer der wichtigsten Auftraggeber für Kunst.“
Internationaler Zuspruch
Je bekannter Pendry wird, umso mehr weltliche Aufträge bekommt er – aus der Gastronomie, von Sammlern: „Hast du nicht auch etwas in Klein?“, fragen die und wollen sich nicht nur mit Postkarten von den „Tauben“ zufrieden geben, sondern Videos und Entwurfszeichnungen haben. Das Licht und der große skulpturale Entwurf muss für Pendry immer Teil seiner Arbeiten sein: Architektur und Bühne sind deren Wurzeln.
Nicht nur das Religiöse beeindruckt besonders die vielen ausländischen Besucher, die in Heilig Geist vorbeischauen. Sie begreifen die Taube als Friedenstaube, als Thema des Vogelzugs. Dieser internationale Zuspruch freut Pentry : „Da gibt es kein Schubladendenken in Sachen Kunst und Kirche. 99 Prozent der Besucher reagieren positiv und sind begeistert.“ Das merkt Pendry, wenn er an seinem Info-Tisch in Heilig-Geist sitzt. Er merkt, wie gerührt viele Besucher sind. Sie wollen, dass er seine Arbeiten auch in ihren Ländern zeigt. Über viele Smartphones sind sie sowieso längst dort angekommen. Und von ihnen selbst gefaltete Tauben, die sie an Pendry schicken können, schickt er mit auf Reisen – nach Burghausen und nächstens in den Hamburger Michel. Auch die Protestanten dort werden wohl das Erlebnis haben, das für Pendry bei Kunst immer das wichtigste ist: „Ich muss Gänsehaut davon kriegen.“ (Uwe Mitsching)
Clouds noch bis zum 2. August in Heilig Geist, Prälat-Miller-Weg 3, 80331 München. Ab 10 Uhr, mit Ton und Licht Donnerstag bis Sonntag von 20.30 bis 23.30 Uhr.
Les Colombes bis 27. September in St. Jakob, Burghausen. Mit Licht und Ton bis 2. August und 18. bis 27. September jeweils 20.30 – 23.30 Uhr.
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!