Als gejagter und myadenhaft getöteter Plagegeist in der hohen Literaturgeschichte gleich ein ganzes Genrekapitel zu schreiben – das muss man erst einmal schaffen: Ja, es gibt sie, die „Flohliteratur“. Grimmelshausen, Goethe, E.T.A. Hoffmann, Wilhelm Busch – lauter Koryphäen, die das Insekt – auch wenn ihm die Adelung eines poetischen Namens verweigert ist – nicht nur im Nebensatz behandelten. Klein, aber oho ist er – blitzschnell, witzig, intelligent, eloquent, ja auch wollüstig.
Es menschelt ganz gehörig – was wunder, ist der Floh ja geradezu ein alltägliches Haustier geworden, noch dazu eines, mit dem man ein recht intimes Verhältnis pflegt: Er geht einem an die Wäsche, fühlt sich wohl, wo es schön warm und bisschen feucht ist.
Flöhe unterm Rock
Nicolas Lemery, ein französischer Chemiker und Mediziner schrieb 1721 über einen Besuch bei einer Mademoiselle Cusson, diese habe ihren Floh immer in einem Sack bei sich getragen, nett gebettet in einem samtgefütterten Büchslein. Sie kümmerte sich um ihn (sie hielt ihn ja als kleinen Zirkusartisten, der Mini-Kanonen herumzog) und „setzte ihn alle Tage eine halbe viertelstunde auf den Arm, daraus saugete der Floh etliche Tropfen Blut, ohne dass sie dasselbe sehr empfunden.“
Die Glückliche! Andere Damen trugen vielleicht auch ein (meist eiförmiges) Kästchen mit Flöhen darin unter ihrem Rock – das war dann aber eine (kunstvoll aus Knochen oder Coquilla-Nuss geschnitzte und mit Lockstoff präparierte) Flohfalle, um den ungebetenen Untermieter einzufangen und ins Jenseits zu befördern.
Normalerweise setzt der Parasit seinem Wirt nämlich ganz schön zu: Von Flohstichen übersäte Beine sind das normale Bild – Szenen, in denen vor allem Frauen die Röcke raffen und sich auf die Suche nach ihren Peiningern machen, gibt es zuhauf in Bildern und gerne auch als Porzellanfigürchen. So unter die Röcke und zu mancher Tabuzone zu kriechen wie ein Floh – ja das heizte die voyeuristische Phantasie an. Flöhesuchende Männerdarstellungen sind sehr selten: Spitzwegs Armer Poet ist eine berühmte Ausnahme: Nein, der Genius fuchtelt da nicht hochtrabende Reime deklamierend mit der Hand herum, nein, er hat auch gerade einen Floh erwischt.
Irgendwie juckt es einen schon bei all den Exponaten in der aktuellen Ausstellung im Medizinhistorischen Museum Ingolstadt. Wenn man dem Floh begegnet, der in Natur nur 1,5 bis 4 mm groß ist, wie er da gleich in gigantischer Vergrößerung einem gegenübertritt, kann man sich glatt einbilden, ihn husten zu hören.
Begnadeter Mini-Herkules
Trotzdem: Es ist ein wunderbar interdisziplinär aufbereitete Kapitel „Medizin unter der Lupe“, das da (um- und ausbaubedingt) auf wenig Raum aufgeschlagen ist: Es geht um den Floh in der Medizin, in Zoologie und Botanik, Literatur und Kunstgeschichte, seine Bedeutung fürs Kürschnerhandwerk ebenso wie für Nippes-Produzenten. Es ist auch Showtime angesagt: Der Flohzirkus von Robert Birk gastiert mehrmals in der Alten Anatomie.
Dann kann man selbst den „Meister Floh“ als begnadeten Artisten und beneidenswerten Kraftprotz beobachten: Aus dem Stand kann er 31 Zentimeter weit springen; und wenn er sich ins anständig ins winzige Zaumzeug legt, zieht er ein Gewicht von 32 Gramm. Wollten wir es mit dem kleinen Gesellen aufnehmen, müssten wir es in sieben Sprüngen um den Globus schaffen und einen veritabeln Güterzug hinter und herziehen.
Das Geheimnis der Floh-Anatomie, solche Rekorde ermöglicht, enthüllt natürlich die Ausstellung: Resilin heißt das Zauberwort, es ist ein Eiweißmolekül das den „Schleuderapparat“ in den Flohbeinen extrem elastisch und robust macht.
Was frühere Forscher, kaum dass sie Mikroskope (die man anfangs sogar einfach „Flohgläser“ nannte) zur Hand hatten, allerdings mehr interessiert hat, war: Wie pflanzt sich der Floh fort? Hatten die Aristoteles-Apologeten Recht, dass auch eine „Spontanzeugung“ aus unbelebter Materie möglich war, was vor allem für Insekten gelten sollte? Oder ihre Gegner die sich sicher waren, dass alles Leben aus einem Ei entsteht?
Phantastisch sind einige dazu ausgestellte Illustrationen: Da ist die überhaupt erste mikroskopische Abbildung eines Flohs; sie stammt von dem Engländer Robert Hooke aus dem Jahr 1667. Er beschreibt die Stärke und Schönheit dieses kleinen und „fleißigen“ Geschöpfes, und bewundert dessen „wunderbar polierte dunkle Rüstung“ mit vielen scharfen Nadeln.
Antoni van Leeuwenhock aus dem niederländischen Delft garnierte 1695 einen ausklappbaren Kupferstich über die Entwicklungsstadien vom Ei zum erwachsenen Floh mit lauter Detailansichten, zum Beispiel von den Geschlechtsteilen. Illustrationen seiner Experimente zur Flohvermehrung publizierte 1749 auch August Johann Rösel von Rosenhof in Nürnberg; aufgrund seiner Beobachtung riet er, vor allem im Sommer Holzböden, in deren Ritzen gerne die Larven lauerten, einmal monatlich mit siedend heißem Wasser zu reinigen.
Ein anderer Nürnberger auf den Spuren der Flöhe war Martin Frobenius Ledermüller. Interessant ist eine Illustration von ihm aus dem Jahr 1763: Sein Blick durchs Mikroskop ließ ihn die Mundwerkzeuge des Flohs doch anders darstellen, als dies andere Forscher der Zeit taten. Zum Vergleich und als Diskussionsgrundlage platzierte er deren Interpretationen in den Ecken.
Wenn’s zu sehr piesackt
Heute sagt man, so erfährt der Ausstellungsbesucher, dass der Floh einen „Zwei-Kanal-Stechapparat“ hat. Mit einem Kanal saugt er Blut ein, durch den anderen pumpt er Speichel in den Stichkanal, damit das Blut flüssig bleibt. Diese gerinnungshemmenden Stoffe setzen dem Menschen so zu.
Wenn an diesem Punkt der Ausstellung das eingebildete Krabbeln und Piesacken mit den Besucher ähnlich wie in Wilhelm Buschs Der Floh durchzugehen droht: Die wohldosierten Ausstellungstexte und der kleine Katalog bieten kurierende Erlösung: Die einstmals grassierende Menschenfloh-Plage gibt es in Deutschland längst nicht mehr. Lediglich Haus- und Hundefloh können sich noch beim Sprung ans richtige Bein vertun. (Karin Dütsch)
Bis 13. September. Deutsches Medizinhistorisches Museum, Anatomiestraße 18 - 20, 85049 Ingolstadt. Di. bis So. 10 – 17 Uhr. www.dnm-ingolstadt.de
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