In Bayern gibt es nach Erkenntnissen von Polizei und Verfassungsschutz rund 1700 Personen, die aufgrund „belastbarer Nachweise“ den „Reichsbürgern“ zuzurechnen sind. Bei weiteren 1600 prüfen die Sicherheitsbehörden die Zugehörigkeit noch. Das teilte Innenminister Joachim Herrmann im Innenausschuss mit. Nach Auskunft von Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner ist die „Reichsbürgerbewegung“ auch ein „Phänomen der ländlichen Räume“. Regionale Schwerpunkte seien der Raum Kulmbach, der Landkreis Cham, die Region Dachau und das Chiemgau. Dort hätten sich so genannte Land- oder Heimatgemeinden gebildet, die eine eigene staatliche Ordnung aufbauen wollten.
In zwei Fällen gibt es Verbindungen zur AfD
Der harte Kern der „Reichsbürger“ in Bayern umfasst nach Einschätzung des Verfassungsschutzes 150 bis 200 Personen. Die Bewegung bestehe zu rund 75 Prozent aus Männern, vorwiegend im Alter zwischen 40 und 70 Jahren. Etwa 40 davon seien der rechtsextremen Szene zuzuordnen. Strukturelle Verbindungen gebe es aber kaum, da die „Reichsbürger“ den Rechtsextremen trotz in manchen Punkten ähnlichen Gedankenguts als „Spinner“ und „Querulanten“ gelten, erläuterte Herrmann. Wie Körner ergänzte, gibt es in zwei Fällen Verbindungen aus der „Reichsbürgerszene“ zur AfD. Eine betreffe einen Beisitzer im AfD-Landesvorstand. Nach Körners Einschätzung ist es trotz der hohen Zahl Anhängern noch „verfrüht“ zu sagen, Bayern sei ein Schwerpunkt der „Reichsbürgerbewegung“. Diese läge eher in Ostdeutschland.
Laut Herrmann werden die „Reichsbürger“, die die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches nicht anerkennen und damit auch staatliche Institutionen und die geltende Rechtsordnung ablehnen, zunehmend gewalttätig. Er sprach von einer sich „rasant entwickelnden Gewaltspirale“. Vor allem gegen Polizeibeamte komme es zu „massiven Widerstandshandlungen“. Höhepunkt sei der Mord eines „Reichsbürgers“ an einem SEK-Beamten vergangenen Herbst im mittelfränkischen Georgens-gmünd gewesen. In diesem Fall gibt es nach Auskunft von Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer Indizien, dass der mutmaßliche Täter über den Polizeieinsatz gegen ihn „vorinformiert“ gewesen sei. Die Ermittlungen dazu liefen. Dem Vernehmen nach soll der Schütze von einem den „Reichsbürgern“ nahestehenden Polizisten gewarnt worden sein.
Als Konsequenz aus dem Fall Georgensgmünd geht der Freistaat nun gegen waffenbesitzende „Reichsbürger“ sowie deren Anhänger im öffentlichen Dienst vor. „Waffen und Munition haben in den Händen von Reichsbürgern nichts zu suchen“, betonte Herrmann. Bisher seien 130 Waffenbesitzer der Reichsbürgerszene zugeordnet worden, 33 seien inzwischen entwaffnet. Aktuell seien weitere 240 Fälle in Prüfung. Im öffentlichen Dienst des Freistaats sind laut Herrmann vier Bedienstete als „Reichsbürger“ identifiziert worden, gegen weitere vier bestehe ein Verdacht. Es seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Bei der Polizei richte sich der Verdacht gegen 15 Beamte, 12 aktive und 3 Pensionäre. 6 der 12 aktiven seien bereits vom Dienst suspendiert. „Wir akzeptieren Reichsbürger weder bei der Polizei noch im sonstigen öffentlichen Dienst“, stellte Herrmann klar. Wer das Fortbestehen der Bundesrepublik, die Geltung des Grundgesetzes und die bestehende Rechtsordnung verneine, verletze eine zentrale Dienstpflicht.
Herrmann warnte davor, die Bewegung wegen ihrer für Normalbürger oft „kruden Vorstellungen“ nicht ernst zu nehmen. „Gerade die Aktivisten sind nicht lustig oder nostalgisch gesinnt, sie verfechten ihre Ideologie mit fanatischer Inbrunst“, erklärte Herrmann. Er rief alle Behörden im Freistaat auf, Vorfälle mit „Reichsbürgern“ in jedem Fall der Polizei zu melden. Zur Auswertung sei an jedem Polizeipräsidium eine Zentralstelle eingerichtet worden. Nur so lasse sich ein Überblick über die Szene verschaffen und das weitere Handeln koordinieren.
„Es war falsch, Reichsbürger als Spinner abzutun“
Die Fraktionen im Landtag begrüßten das konsequente Vorgehen des Staates gegen die „Reichsbürger“. Katharina Schulze (Grüne) nannte die Entwicklung „besorgniserregend“. „Das ist keine harmlose Bewegung, diese Leute sind gefährlich“, urteilte Schulze. Dass inzwischen „robust“ gegen die „Reichsbürger“ eingeschritten werde, lobte Florian Ritter (SPD). Er mahnte aber auch, es gebe noch viel aufzuarbeiten. Polizei und Verfassungsschutz hätten die Szene zu lange unterschätzt und eine zentrale Lageerfassung versäumt. Eva Gottstein (Freie Wähler) sagte, es sei falsch gewesen, die „Reichsbürger“ lange Zeit pauschal als „Spinner“ abgetan zu haben. Sie forderte Herrmann auf, Versäumnisse sauber aufzuarbeiten und die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Hans Reichhardt (CSU) nannte das Vorgehen des Freistaats dagegen „vorbildhaft“. (Jürgen Umlauft)
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