Landtag

Oft wird erst beim Rundgang festgestellt, dass ein Bewohner verstorben ist – diese Zeit gilt dann als Todeszeit. (Foto: dpa)

13.11.2015

Eine Pflegekraft für 90 Bewohner

Gesundheitsausschuss: Nur 60 Prozent der Pflegeeinrichtungen halten sich an den neuen Nachtwachenschlüssel

Die meisten Menschen sterben in der Nacht. Warum, darüber rätselten schon die Philosophen in der Antike. Wissenschaftler vermuten, durch die Reduzierung der Vitalfunktionen beim Schlaf werde das „Hinübergleiten“ in den Tod vereinfacht. Außerdem ereignen sich Herzinfarkte und Schlaganfälle häufiger in Ruhephasen. Ein weiterer Faktor für die hohe nächtliche Sterblichkeit ist allerdings auch die schlechtere Betreuungssituation in der Nacht in Pflegeheimen.

Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) hat aus diesem Grund zu Beginn dieses Jahres eine Verwaltungsvorschrift erlassen, die seit Juni vorschreibt, „dass als Nachtwache mindestens eine Pflegekraft für 30 bis maximal 40 Bewohner anwesend ist“. Bislang wurde die Quote laut einer Untersuchung durch die Fachstellen für Pflege- und Behinderteneinrichtungen - Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) lediglich bei rund 60 Prozent der Pflegeeinrichtungen im Freistaat eingehalten. „In zwei Einrichtungen war sogar nur eine Pflegekraft für mehr als 90 Bewohner in der Nacht verantwortlich“, erklärte Ministerialrätin Swantje Reiserer dem Gesundheitsausschuss.

Wie hoch der Betreuungsschlüssel für die jeweilige Einrichtung sein muss, hängt von fünf Indikatoren ab: Die Anzahl der Bewohner mit Mobilitätseinschränkung, Unruhezuständen, der Pflegestufen zwei und drei sowie die Anzahl der Gebäude oder Geschosse. Allerdings sind „konzeptbezogene Änderungen“ möglich, wie Reiserer erläuterte. „Dazu gehören Maßnahmen, die einen vergleichbaren Schutz ermöglichen.“ In diesem Fall sei auch ein höherer Schlüssel möglich. Außerdem wurde die Nachtzeit definiert – sie dauert jetzt von 22 bis 6 Uhr.

Flächendeckend überprüft wird die Einhaltung des nächtlichen Betreuungsschlüssels erst ab 1. Januar 2016. Juristische Auseinandersetzungen kann die Ministeriumsvertreterin danach nicht ausschließen. Das seien höchstens Einzelfallfragen vor Ort. Ebenso wenig kann sie negative Auswirkungen auf die Tagesschicht ausschließen. Es sei die Entscheidung des Trägers, wie er den Nachtschlüssel umsetzt. „Eine Notwendigkeit für einen Tagschlüssel sehe ich nicht“, erläutert Reiserer. Ansonsten sei keine Flexibilität der Arbeitsabläufe mehr möglich.

Ausnahmen sind möglich

Bei der Finanzierung des zusätzlichen Personals sind die Pflegeeinrichtungen bisher auf sich allein gestellt. „Die Kostenträger vergüten keine gesonderten Schlüssel für Nachtdienste“, erklärt Reiserer. Die zuständige Landespflegesatzkommission habe allerdings zu diesem Thema eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Ob sich die Pflegeplatzheimkosten folglich erhöhen, kann die Ministerialrätin nicht sagen: „Nachtdienstschlüssel können, müssen aber kein Faktor sein.“

Jürgen Baumgärtner (CSU) lobte Gesundheitsministerin Humls „mutigen und wichtigen“ Schritt. „Sie hat dafür viel Kritik erfahren“, unterstrich er. Er forderte jedoch, „konzeptbedingte Abweichungen“ zu unterbinden und die Träger „enger an die Leine“ zu nehmen. Sein Parteikollege Hermann Imhof verlangte, trotz der zusätzlichen Kosten für eine qualitative Pflege den Schlüssel stetig weiter zu verbessern. Gleichzeitig betonte er, dass Bayern den besten Personalschlüssel im Vergleich zu anderen Bundesländern habe.

„Darauf können wir stolz sein, das entlastet uns aber nicht“, warnte Peter Bauer (Freie Wähler). Er lobte zwar die neue Definition der Nachtzeit, pochte aber auf eine differenzierte Betrachtung statt starrer Regeln – beispielsweise müsse berücksichtigt werden, ob viele Heimbewohner an Demenz leiden. Außerdem mahnte Bauer „dringenden Handlungsbedarf“ an, weil sich aktuell 40 Prozent der Einrichtungen nicht an den Betreuungsschlüssel hielten.

„Das liegt daran, weil es zu wenig qualifiziertes Pflegepersonal gibt“, glaubt Ulrich Leiner (Grüne). Den Bericht bezeichnete er als „aufschlussreich“ – „vor allem wegen der Ausnahmeregelungen“. Viele Einrichtungen sähen sich diskreditiert, weil sie bereits einen guten Nachtdienst hätten. Leiner plädierte ebenfalls dafür, die unterschiedliche Pflegebedürftigkeit stärker zu berücksichtigen.

Doris Rauscher (SPD) wünschte sich einheitliche Regelungen für ganz Bayern. Gleiche Träger führten in verschiedenen Landkreisen unterschiedliche Maßnahmen durch. „Außerdem kann ich nicht glauben, dass sich die Kosten für den Nachtdienstschlüssel nicht auf die Bewohner auswirken“, sagte sie. Manche Einrichtungen fingen jetzt schon um 4.30 Uhr mit der Morgenwäsche an, weil der Tagesdienst nicht mehr hinterherkomme. (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Zitrone am 15.11.2015
    Letztlich scheitert es wohl am ausreichenden Nachwuchs und damit am Geld. Solange Altenpflege, Krankenpflege, Kinderpflege nicht genauso hoch geschätzt und bezahlt wird wie im Finanzwesen oder bei den Energieversorgern, wird weiter Personal fehlen.

    Von der Nächstenliebe allein - ungeachtet ihrer Bedeutung - kann kein Pfleger eine Familie ernähren.
Die Frage der Woche

Soll man das neue Bundestagswahlrecht wieder ändern?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

BR Player
Bayerischer Landtag
Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.