Donata Friederici hat ein Restsehvermögen von zwei Prozent. Um einzelne Buchstaben zu erkennen, muss sie ihren Kopf wie einen Scheibenwischer hin und her bewegen. Die Blindenschrift beherrscht sie noch nicht. Friederici ist eine von 5518 hochgradig sehbehinderten Menschen in Bayern, die aufgrund verschiedener Krankheiten
(siehe Info) erst im Laufe ihres Lebens einen Großteil ihres Augenlichts verloren. Doch trotz des hohen Assistenz- und Hilfebedarfs, haben sie alle keinen Anspruch auf einen staatlichen Nachteilsausgleich: Bisher steht nur vollständig erblindeten oder taubblinden Menschen ein Blindengeld nach dem bayerischen Blindengeldgesetz zu.
„Autofahren ist nicht mehr drin“, erzählt Friederici, die auch Vertreterin der hochgradig Sehbehinderten beim bayerischen Blinden- und Sehbehindertenverbund (BBSB) ist. Die öffentlichen Verkehrsmittel kann sie ebenfalls nicht nutzen, da sie die Anzeigetafeln nicht lesen kann – so bleibt ihr nur das teure Taxi. Im Haushalt ist Friederici ebenso auf fremde Hilfe beim Kochen oder Putzen angewiesen. Das alles kostet sie über 200 Euro pro Monat, obwohl sie zusätzlich viel kostenlose Unterstützung von Freunden und Bekannten bekommt. Da sie noch Umrisse erkennt, bemerkten viele ihre Krankheit nicht auf Anhieb. Bei der Bitte um Hilfe würden sich daher viele fragen: „Was will die eigentlich?“
Der BBSB-Landesgeschäftsführer Steffen Erzgraber fordert seit Jahren, auch in Bayern die Einführung eines abgestuften Blindengelds für hochgradig sehbehinderte Menschen in Höhe von 30 Prozent des blinden Menschen gewährten Blindengelds zu ermöglichen – das wären aktuell rund 163 Euro pro Monat. „Doch von der Staatsregierung ist außer schönen Worten bisher nichts gekommen“, kritisiert Erzberger. Dabei erhalten Sehbehinderte in vielen anderen Bundesländern einen Nachteilsausgleich. Auch im Bundesversorgungsgesetz wird die besondere Situation dieser Menschen berücksichtigt.
„Die bestehende, eklatante Versorgungslücke muss endlich geschlossen werden“, verlangt auch die sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Kerstin Celina. Ihre Fraktion habe schon in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit der SPD einen Gesetzesentwurf zur Einführung eines Taubblindengelds und eines abgestuften Blindengelds vorgelegt – dieser wurde jedoch aus Kostengründen von CSU und FDP abgelehnt. „Das ist ein Armutszeugnis für die bayerische Behindertenpolitik“, schimpft Celina. Vor allem, weil die Zahl der hochgradig sehbehinderten Menschen geringer sei als bislang angenommen.
Laut des beim Sozialministerium angesiedelten Zentrums Bayern Familie und Soziales haben nur rund 2750 Menschen Anspruch auf die monatlich 163 Euro. Nach Berechnungen der Grünen summieren sich die Kosten für das abgestufte Blindengeld daher lediglich auf 8,32 Millionen Euro jährlich – die Staatsregierung rechnet mit 11,5 Millionen Euro. Doch selbst wenn: Der Freistaat spart sich laut Celina durch die Kürzung des Blindengelds im Jahr 2004 auf 85 Prozent zwölf Millionen Euro und durch die wegen des medizinischen Fortschritts seit 1992 um 4000 Personen gesunkene Zahl der Blindengeldempfänger noch mal 20 Millionen Euro.
Doch Celinas Forderung, wenigstens einen Teil der eingesparten Mittel für die Beseitigung der Versorgungslücken zu verwenden, wurde im Sozialausschuss mit den Stimmen der CSU abgelehnt. Die Fraktion möchte abwarten, ob sich durch das Bundesteilhabegesetz eine bundesweit einheitliche Blindengeldlösung finden lässt. „Wir dürfen hier nicht einen Schritt vor dem anderen machen“, warnt der Ausschussvorsitzende Joachim Unterländer (CSU). „Es wird wohl frühestens kurz vor der nächsten Wahl etwas passieren“, sagt Celina enttäuscht der Staatszeitung. „Oder 2023, wenn Bayern barrierefrei sein soll.“
(David Lohmann)
INFO: Leben mit Sehbehinderung
Laut Gesetz ist ein Mensch sehbehindert, wenn er auf dem besser sehenden Auge trotz Brille oder Kontaktlinse nicht mehr als 30 Prozent eines Menschen mit gesunden Augen erkennt. Zumindest Radfahren ist dann unter Umständen noch erlaubt. Wer weniger als 5 Prozent sieht, gilt als hochgradig behindert, ab weniger als zwei Prozent als blind.
Die häufigsten Erkrankungen in Deutschland sind die Linsentrübung „Grauer Star“, die mit einem Verlust der Sehschärfe einhergehende „Altersabhängige Makula-Degeneration“, der zur Erblindung führende „Grüner Star“, die „Diabetische Netzhauterkrankung“ infolge eines Diabetes, die erbliche Netzhauterkrankung „Retinitis Pigmentosa“ und die Farbfehlsichtigkeit wie die Farbenblindheit.
Für sehbehinderte Menschen gibt es Schulungen von Rehabilitationslehrern für „Lebenspraktische Fähigkeiten“ und zur „Orientierung und Mobilität“. Dazu gehören Tipps für sicheres Gehen, Einkaufen, Körperpflege und den Haushalt. Außerdem wird der Umgang mit Hilfsmitteln wie Lupen, Lupenbrillen, Fernrohrlupen, Fernrohrbrillen, Monokularen, Kantenfiltergläsern und Bildschirmlesegeräten trainiert.
Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen hängt vom Sehvermögen ab.
Wer sich trotz erheblicher körperlicher Beeinträchtigung im Straßenverkehr bewegt, ist zu einer Kennzeichnung durch Armbinden, Blindenstock oder Blindenhund verpflichtet – das betrifft auch sehbehinderte Fußgänger. Ansonsten sind sie bei einem eventuellen Unfall mitschuldig. Mehr unter
www.bbsb.de.
(LOH)
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