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Trotz der Appelle gegen Gewalt kam es nach dem Christopher Street Day 2015 in München zu Übergriffen gegen Homosexuelle. (Foto: dpa)

22.12.2017

Homosexuelle und Transgender in Angst

In Bayern haben die Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung zugenommen – einen Aktionsplan lehnt die Staatsregierung dennoch ab

Immer wieder kommt es in Bayern zu Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung des Opfers. Im Münchner Glockenbachviertel, einem bekannten Ausgehviertel für Homosexuelle, wurde heuer ein Mann krankenhausreif geprügelt. Auch nach dem Christopher Street Day ist es in den letzten Jahren zu Übergriffen gekommen. So verwundert es nicht, wenn die Zahl der Straftaten gegen Schwule und Lesben 2016 bundesweit deutlich angestiegen ist. In den ersten drei Quartalen 2016 gab es bundesweit 205 Straftaten im Bereich „Hasskriminalität aufgrund sexueller Orientierung“. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann wollte daher von der Staatsregierung wissen, wie viele Anzeigen es in Bayern gab und welche Maßnahmen die Staatsregierung gegen einen weiteren Anstieg unternimmt.

Laut Innenministerium haben auch in Bayern die Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung zugenommen. Während es 2007 nur vier waren, stieg die Zahl 2009 auf 15, 2013 auf 23 und 2014 sogar auf 49 Straftaten. In den Polizeiakten heißt es beispielsweise: „Der Täter bedrohte die Opfer mit einer Schreckschusswaffe und schoss damit in den Boden“ oder „Die Täterinnen verletzten das Opfer körperlich und beleidigten es.“ 2015 und 2016 sind die Straftaten leicht auf 32 beziehungsweise 21 zurückgegangen. Insgesamt gab es in den letzten zehn Jahren 16 Opfer von explizit homo- beziehungsweise transfeindlich motivierten Gewalttaten. Wie viele Verfahren eingeleitet und wie viele Täter verurteilt wurden, kann das Ministerium nicht sagen.

Eine eigene Ansprechstelle für Homosexuelle und Transgender bei der Polizei? Das führt zu Stigmatisierung, meint die Staatsregierung

Um sicherzustellen, dass die Polizeibeamten zum Thema „Politisch motivierte Kriminalität“ entsprechend geschult sind, gibt es laut Innenministerium „konsequente Aus- und Fortbildungsmaßnahmen“. Der Themenkreis „homo- und transfeindlich motivierte Straftaten beziehungsweise Hasskriminalität aufgrund sexueller Orientierung“ sei dabei nur im Rahmen allgemeiner Gewaltphänomene enthalten. „Eine spezielle Schwerpunksetzung würde den Blick auf das gesamte Spektrum polizeilicher Aufgaben verengen“, heißt es in der Antwort der Staatsregierung. Allerdings habe im Rahmen der Ausbildung für Polizeivollzugsbeamte in der zweiten Qualifikationsebene ein Referent vom „Verein lesbischer und homosexueller Polizeibediensteter in Bayern“ gewonnen werden können.

Einen von Experten geforderten Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit will die Staatsregierung nicht einführen. Es werde bereits jetzt auf allen fachlichen Ebenen für die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen gearbeitet. Das Ressort von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verweist zum Beispiel auf die Leitstelle für Gleichstellung von Frauen und Männern im Sozialministerium und auf die sieben Beratungsstellen für Betroffene im Freistaat. Auch eine spezielle Ansprechstelle für Opfer homophober Gewalt bei der bayerischen Polizei hält das Ministerium für unnötig. „Bei allen Polizeipräsidien in Bayern stehen die Beauftragten der Polizei für Kriminalitätsopfer als Ansprechpartnerinnen für Gewaltopfer und damit auch allen transsexuell beziehungsweise homosexuell orientierten Personen zur Verfügung.“ Eine eigene Ansprechstelle für diese Gruppe würde nur zur Stigmatisierung führen.

Grünen-Fraktionschef Hartmann sieht das anders: Er fordert Opferberatungsstellen bei Polizei oder Staatsanwaltschaft wie in anderen Bundesländern, einen landesweiten Aktionsplan für Antidiskriminierung, Gleichstellung und Akzeptanz sexueller Vielfalt sowie die Überarbeitung der polizeilichen Tatanalyse und -zuordnung bei potenziellen homo- und transfeindlichen Straftaten. „Die Präventions- und Beratungsarbeit der CSU-Regierung gegen Homo- und Transfeindlichkeit“, klagt er, „ist nicht existent.“ (David Lohmann)

INFO: US-Studie zur sexuellen Orientierung von Schülern
Die US-Regierung führt an Schulen alle zwei Jahre den Youth Risk Behavior Survey (YRBS) durch. Seit 2015 wurden zwei Fragen zu Sexualkontakten und der sexuellen Orientierung aufgenommen.

Auf die Frage nach der sexuellen Orientierung gaben 88,8 Prozent der Schüler an, heterosexuell zu sein. Bisexuell sind 6,0 Prozent, unsicher 3,2 Prozent und schwul oder lesbisch 2,0 Prozent. Die Staatsregierung hält die Studie allerdings wegen methodischer Probleme für nicht aussagekräftig.

Die SPD-Fraktion in Bayern sieht das anders. Sie geht von 39 000 bisexuellen, 21 000 ihrer sexuellen Orientierung unsicheren und 13 000 schwulen Schülern beziehungsweise lesbischen Schülerinnen aus. Die Staatsregierung hält diese Zahlen für zu hochgegriffen.

Der YRBS ergab für schwule, lesbische oder bisexuelle US-Schüler eine zwei- bis dreifach erhöhte Prävalenz von Missbrauch- und Gewalterfahrungen sowie eine zwei- bis vierfach erhöhte Prävalenz von Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, Selbstmordgedanken und Selbstmordversuchen. Diese Ergebnisse hält die Staatsregierung für nachvollziehbar und konsistent mit anderen internationalen Erhebungen.

Die Staatsregierung plant keine eigene Untersuchung zum Thema sexuelle Orientierung. Die Richtlinien an Schulen zur Familien- und Sexualerziehung mit dem Kapitel „Prävention von sexueller Gewalt“ und entsprechende Fortbildungen trügen ausreichend dazu bei, Missbrauch und Gewalt zukünftig zu verhindern, so das Kultusministerium. (loh)

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