Seit 43 Jahren schnitzt Holzbildhauer Leonhard Höldrich Heiligenfiguren, vom Vater übernahm er die Werkstatt in Oberammergau. Während viele Kollegen den Beruf längst zum Hobby gemacht haben, gibt er nicht auf. Doch auch ihm verhagelt die Massenware aus Südtirol zunehmend das Geschäft.
Leonhard Höldrich ist ein stämmiger Mann mit sanften Augen und kräftigen Händen. Mit Schlegel und breiten Schnitzeisen treibt er Schlag um Schlag in den geleimten Holzblock. Ein erstes, grobes Profil hat er ihm mit der Kettensäge gegeben. Kantige Späne fallen zu Boden. Das Holz ist weich. Die Linde scheint wie Wachs unter den Händen des geübten Herrgottschnitzers, wie die Holzbildhauer in den Alpenregionen oft genannt werden. Über die Jahrhunderte haben sie vor allem sakrale Figuren geschaffen. Aber was da aus dem Holzblock hervorkommt, ist alles andere als das Leiden Christi. „Das ist so eine Auftragsarbeit“, sagt Höldrich. Ein lokaler Bierbrauer bekommt zur bestandenen
Meisterprüfung den hölzernen Zunft-Genossen. „Wer nach Oberbayern kommt, der kommt eben auch nicht am Bier vorbei.“ Höldrich schmunzelt.
Sein Material ist das Holz und sein Metier eigentlich der Herrgott. Mal duckt der sich unter die schwere Holzdecke eines Wirtshauses. Mal hängt er zwischen Heu und Vogelnest im Stall. Mal wacht er überlebensgroß über einen Dorfplatz. Ganz gleich wo. Sein Schöpfer hat Stunde um Stunde gehämmert, geschabt, gestochen und gefeilt.
Seit 43 Jahren holt Holzschnitzmeister Höldrich die schönsten Figuren aus dem Naturstoff. Schon der Vater war Holzschnitzer – und Cellist. Denn auch am Musizieren kommt in Deutschlands bekanntestem Passionsspielort kaum jemand vorbei. Nach dem Krieg hat er sein Geschäft im eigenen Haus aufgebaut.
Und er, der Sohn, führt es nun fort in zweiter Generation. Zuerst als Meister beim Vater. Später, nach dessen Tod, 1994, hat er sich selbstständig gemacht. Und auch der Sohn ist Absolvent der Schnitzschule, die heute Staatliche Berufsschule für Holzbildhauer heißt und am Rande des Dorfes noch immer den künstlerischen Nachwuchs ausbildet. Der Name ist auch eine Ansage an die Zukunft. Heiligenfiguren sind nur noch ein Teil. Das Gesellenprüfungsstück des Filius, die „Zwei Affen“, steht im Eingang des Ladens. Nicht ganz das traditionelle Genre. „Aber der Kunde sagt, wo es langgeht“, murmelt Höldrich.
Noch sieht der Brauer etwas unbeholfen aus. Zehn Stunden hat Höldrich ihn bereits behauen. An die 70 können es werden. Auf der kleinen Werkbank nahe dem Schaufenster liegen weit filigranere Geschöpfe. Hier kommt der ganze Kosmos von Höldrichs Holzschnitzkunst zusammen: ein Computer, große und kleine Holzstücke, Schnitzmesser und verschieden feine Schnitzeisen, Balleisen, Flacheisen, Hohleisen, Bohrer und Geißfüße. Er hat es sich gemütlich eingerichtet in seinem Laden, in der Dorfstraße 3. Das Meisterstück steht im Schaufenster, der „Heilige Rochus“. Natürlich türmt sich auch bei Höldrich einiges an Massenware. Maschinell gedrechselte Figuren aus Südtirol. Der Holzbildhauer verzieht unmerklich das Gesicht. „Die Leute kaufen das“, sagt er.
Immer weniger Handarbeit, immer mehr Massenware
Draußen fließt der Strom der Touristen vorbei. Hin und wieder spült er einige in Höldrichs kleine Schauwerkstatt. Und als hätte er sie bestellt, kauft eine Amerikanerin ganz verzückt „lovely angels“, für zehn Euro das Stück. Sie sammle seit Jahren, sagt Kelly aus Minnesota, und dass es eine Tradition der Großmutter sei. Jedes Jahr verschenkt sie einen Engel an die Kinder. Gut für Höldrich. Die Ware stamme aber nicht aus der eigenen Werkstatt, erklärt er ihr. Auf den Hinweis legt er Wert. Solche Figuren kosten einen Bruchteil dessen, zu denen der Schnitzmeister seine Handarbeit anbieten kann.
Natürlich gebe es auch Engel aus seiner Werkstatt, sagt er. Aus einem Block geschnitzt und siebenmal so teuer. „Da müssen zwei Flügel gemacht werden, das Gesichtl, die Geige und der Bogen.“ Die Hände, alles wird einzeln gefertigt. „Filigranste Handarbeit“, erklärt er und dreht die winzige Figur hin und her.
Das Köpfchen ist kaum so groß wie sein Daumennagel. Höldrich ist die Ruhe selbst und jeder Handgriff sitzt. Manchmal aber, sagt er, fluche er auch. Wenn eine Figur partout nicht will wie er. Aber die Linde ist gefällig. Lässt sich gut bearbeiten. Im Gegensatz zur Zirbe oder dem noch viel härteren Ahorn, aus dem heute viel maschinell gefertigt wird.
Anders als seine Kollegen hat er sich aus den versteckten Werkstatträumen heraus ins rechte Licht gesetzt. Unter den Augen der Touristen schabt, bohrt und schnitzt er geduldig vor sich hin. Während sie durch seine Werkstatt schlendern und jeden kleinen Engel herzen. „So cute“ – so süß, hört man. Überhaupt wird in den Läden der Holzbildhauer viel Englisch gesprochen. Auch Norddeutsch. Die wenigsten Kunden kommen aus der Region.
Dabei scheint Herrgottschnitzer zu werden so etwas wie eine Naturgewalt zu sein in Oberammergau. Seit Jahrhunderten schon fertigen die Figurenschnitzer in dem Bergdorf am Fuße des Kofels Christusfiguren, Heilige, Madonnen und Engel, Krippen und das Jesuskind. Und manchmal auch sehr Profanes. Angefangen hatte eigentlich alles mit Holzspielzeug, das in den langen Wintermonaten, wenn die Ernte eingefahren war, in Heimarbeit entstand. Im Frühjahr gaben die Bauern ihre Werke den Händlern mit, die sie in ihren sperrigen Kraxen zu Fuß über die Berge transportierten. Manche bis nach Sankt Petersburg. Das Handwerk der Holzschnitzer ist ein ebenso kunstfertiger wie archaischer Ausdruck vom Leben, von Tod und Elend in den Bergregionen.
Wie filigran er werden kann, zeigt der kleine Engel, dem Höldrich gerade einen letzten Schliff verpasst. „Wahre Künstler schafften im Mittelalter Minikunstwerke“, erzählt Höldrich. Etwa um 1520 herum erwähnt erstmals ein Ettaler Mönch die Oberammergauer Herrgottschnitzer. So „fein und klein“ konnten sie das Leiden Christi schnitzen, dass es in eine Nussschale passte.
Von dieser Kunst leben kann heute kaum noch einer
Das hölzerne Kleinod hängten sich die Menschen um den Hals. Anders als heute war die Nachfrage im Mittelalter kaum zu bewältigen. So führten die Herrgottsschnitzer früh die erste Massenfertigung ein. Eine schlicht geschnitzte Christusfigur für den Stall. Als „Stallherrgott“ ging er in die Geschichte ein. Dazu fertigten sie jede Menge Weg- und Feldkreuze an. Während der Nazizeit wurde aus den Oberammergauer Holz-Christi der Reichsadler. „Das ist die dunkle Seite unserer Geschichte“, sagt Höldrich. Nach dem Krieg besann man sich und schnitzte umso mehr Heilige und Christusstatuen. Einige so groß, dass amerikanische Touristen regelrecht staunen.
Die Begeisterung scheint ungebrochen. Und dennoch haben es Herrgottsschnitzer heute schwer. Über Geld redet Höldrich nicht gerne. Wohl aber darüber, dass die Zunft leidet. Unter der Massenware, die an den Drehbänken in Südtirol vorgearbeitet wird. „Da setzen wir Holzschnitzer nur noch die Akzente.“ Natürlich hat das Auswirkungen auf den Preis. Als Erinnerungsstück aus dem Urlaub in Oberammergau reicht das vielen Touristen. Echte Handwerkskunst aber ist etwas anderes. „Nur leben kann davon heute kaum einer mehr.“ Darüber könnte er tagelang reden. Bei dem Thema kommt er richtig in Rage.
An die 60 Holzschnitzer gibt es noch in Oberammergau. Einst waren es Hunderte. Viele haben den Beruf längst zum Hobby gemacht und verdienen ihr Brot mit anderen Arbeiten. „Übrig geblieben sind wenige Familienbetriebe oder Einzelkämpfer“, sagt er. Auch er ist so einer. Höldrichs Frau ist Fassmalerin. Bemalt und vergoldet auch die Werke ihres Mannes. Wenn es gut geht, dann führt der Sohn irgendwann die Tradition des Vaters weiter. Wenn es gut geht. (
Flora Jädicke)
Bilder (Jädicke):
Leonhard Höldrichs Meisterstück: der heilige Rochus.
Höldrich fertigt auch Minikunstwerke wie diesen kleinen Engel.
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