Ein bisschen widersprüchlich ist das schon: Der Freistaat ist neben dem Saarland das einzige Bundesland, das im Bereich Prostitution eine Kondompflicht für Freier erlassen hat. Wenn aber bayerische Gefängnisinsassen Kondome haben wollen, müssen sie beim ärztlichen, sozialen oder psychologischen Dienst einen Meldeschein mit ihrem Anliegen einreichen. „Häftlinge müssen sich also indirekt als schwul outen“, erklärt Martin Jautz von der Münchner Aids-Hilfe der Staatszeitung. Davor scheuen viele Gefangene zurück. Weshalb Jautz nicht verwundert ist darüber, dass zwischen 2005 und 2007 nur 43 Präservative an die bayernweit 13 000 Gefangenen ausgegeben wurden. „Durch das Vorenthalten wirksamer Präventionsmittel wird eine Infektionsweitergabe billigend in Kauf genommen“, klagt Jautz. Dabei hätten Justizvollzugsanstalten doch einen Resozialisierungsauftrag, zu dem auch die Gesundheitsfürsorge gehört.
Die Münchner Aids-Hilfe darf in Haftanstalten dennoch seit 25 Jahren keine Kondome verteilen. „Das ist nun mal ein Knast und kein Freudenhaus“, begründet ein Gefängnisdirektor seine ablehnende Haltung. Und verweist auf das bayerische Strafvollzugsgesetz, in dem „Verhaltensweisen, die mit einem besonderen Infektionsrisiko verbunden sind (insbesondere homosexueller Verkehr unter Männern […]) in den Anstalten unterbleiben“ sollen. „Dass Kondome ausgegeben werden dürfen, steht dagegen nirgends“, verdeutlicht Jautz. Erst kürzlich wurde deshalb einem seiner Klienten die Präservativausgabe vom Anstaltsarzt verweigert. Ob der Mann noch an Verhütungsmittel kommt, wird aktuell im Justizministerium diskutiert.
„Bayerns Haltung ist sehr restriktiv“, bestätigt auch Bärbel Knorr vom Bereich „Menschen in Haft“ der Deutschen AIDS-Hilfe. „Ich wüsste nicht, in welchen Bundesländern das sonst noch so ist.“ In Nordrhein-Westfalen habe es beispielsweise bereits vor 15 Jahren einen Kondomerlass gegeben, der Kondome und Gleitmittel für jeden Insassen anonym zugänglich gemacht hat. In der Präventionsstrategie der Staatsregierung hingegen sind Kondomautomaten, Apotheken oder Hausläden im Knast nach wie vor nicht vorgesehen. Die Folge: Während weltweit 0,8 Prozent und in Deutschland nur noch 0,05 Prozent der Menschen mit HIV infiziert sind, liegt die Rate in bayerischen Gefängnissen nach Angaben des Justizministeriums derzeit bei Frauen bei knapp 1,0 und bei Männern bei 1,5 Prozent. Das bedeutet: In Bayern sind 30 Mal so viele Männer mit HIV infiziert wie im Bundesdurchschnitt.
Nur die CSU blockt hier ab
Und die Zahlen werden nicht sinken. Eine Studie über „Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland“ des Robert Koch-Instituts ergab: Je länger Menschen inhaftiert sind, desto größer ist die Gefahr mit HIV und Hepatitis infiziert zu werden. Genaue Werte existieren nicht, weil bei Haftentlassung keine Abschlussuntersuchung durchgeführt wird.
Trotzdem hält das Justizministerium eine Regeländerung bei der Präservativausgabe für unnötig: „Nur durch eine Anbindung an die Krankenabteilung kann zuverlässig gewährleistet werden, dass die erforderliche Aufklärung über Ansteckungsrisiken bei der Verwendung von Kondomen und die Möglichkeit der Risikominimierung von kompetenter Seite erfolgt“, glaubt eine Sprecherin von Justizminister Winfried Bausback (CSU). Diese Verfahrensweise habe sich bewährt und werde von den Justizvollzugsanstalten regelmäßig als „völlig ausreichend“ beschrieben. Probleme oder Neuinfektionen wegen der schwierigen Kondomausgabe seien dem Ressort nicht bekannt geworden.
Das ist erstaunlich, werden Sträflinge doch erst „bei der Aushändigung von Kondomen über Ansteckungsrisiken und Präventionsmaßnahmen“ aufgeklärt. Gegen das Aufstellen von Kondomautomaten spricht sich auch die stellvertretende Chefin des Rechtsausschusses im Landtag, Petra Guttenberger (CSU) aus. „Natürlich darf man nicht so tun, als hätten Gefangene keine sexuellen Bedürfnisse“, räumt sie im Gespräch mit der Staatszeitung ein. Verhütungsmittel kostenfrei über den Arzt zu bekommen sei allerdings die bessere Lösung, weil beim Ziehen aus dem Spendenautomat jeder beobachtet werden könne. „Das Risiko, dabei geoutet zu werden, ist wesentlich größer als beim zur Verschwiegenheit verpflichteten Arzt.“ Außerdem könnten Automaten auch zum Drogenschmuggel genutzt werden.
Für die Chefin des Landtags-Gesundheitsausschusses, Kathrin Sonnenholzner (SPD), sind das lediglich „ideologisch begründete Vorbehalte“. Sie fordert die anonyme und kostenlose Abgabe von Kondomen an Häftlinge. Angesichts der steigenden Zahlen von HIV-Infektionen in Bayern und zur Prophylaxe von Hepatitis müsse die „erschreckend niedrige“ Kondomausgabe durch die Anstaltsärzte ein Ende haben. Auch der Gesundheitspolitiker der Freien Wähler, der Mediziner Karl Vetter, setzt sich für eine Lockerung der bisherigen Regelung ein. „Zur Vermeidung der Übertragung von Infektions- und Geschlechtskrankheiten sollten Kondome in Justizvollzugsanstalten anonym, kostenlos und leicht zugänglich abgegeben werden“, fordert er. Wenigstens aber sollten Pariser in Gefängnissen unbeobachtet und preiswert gekauft werden können.
Gleiches fordert die grüne Landtagsabgeordnete Claudia Stamm: „Die medizinische und gesundheitliche Versorgung Gefangener muss im gleichen Maße gewährleistet sein wie die von Menschen außerhalb von Gefängnissen.“ Kondome an Risikogruppen zu verteilen, wie es die Stadt München über die Münchner Aids-Hilfe letztes Jahr mit insgesamt 30 000 Stück gemacht hat, sei ein wichtiger Bestandteil der HIV-Prävention. „Wenn nur 43 Kondome in bayerischen Haftanstalten in den Jahren 2005 bis 2007 ausgegeben werden“, so die Grüne empört, „ dann läuft etwas falsch.“ (David Lohmann)
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