„Papst Benedikt hat uns eingeladen, verstärkt den Blick zu schärfen für die Zeichen der Zeit!“ In seiner Eröffnungspredigt zur Frühjahrs-Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz appellierte der Vorsitzende des Gremiums, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, an seine Kollegen wie auch an die Gläubigen im vollbesetzten Regensburger Dom: „Damit wollen wir gemeinsam in die Sehschule Jesu gehen!“ Die Katholiken sollten nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren offen haben für die Not ihrer Mitmenschen: „Der Aufbruch beginnt mit dem Hören.“
Schöne Worte. Dumm nur, dass sich die 67 Bischöfe und Weihbischöfe der 27 deutschen Diözesen außer bei ihren festlichen öffentlichen Gottesdiensten vier Tage lang hinter den dicken Mauern des Regensburger Priesterseminars verschanzten und dort nur zu sehen und zu hören bekamen, was ihnen vertraut ist.
Selbst bei der Akkreditierung der Journalisten sorgte man mit einer absurd frühen Anmeldefrist dafür, dass nur die üblichen Verdächtigen Zutritt hatten. Gerade so, als ob es Platzprobleme gäbe – allein der Tagungsort, das Priesterseminar und einstige Schottenkloster St. Jakob ist ein endloser Komplex, in dem jederzeit tausend Personen Platz hätten. Ganz abgesehen davon, dass die katholische Kirche über weite Teile der Regensburger Altstadt verfügt. Doch man wollte offensichtlich unter sich bleiben und nicht von unbequemen Fragen gestört werden.
Rasender Stillstand
Davon gäbe es mehr als genug. Während die Hochwürdigsten Eminenzen und Exzellenzen etwa über die Lage der 20 katholisch-theologischen Fakultäten an deutschen Hochschulen debattierten und dabei erfahren mussten, dass die Zahl der Studenten im theologischen Vollstudium in den letzten fünf Jahren auf die Hälfte zurückgegangen ist - währenddessen blieben die Ursachen für die Misere außen vor. Die endlose Enthüllungswelle klerikaler Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die vor zwei Jahren über die Kirche hereinbrach, sie war höchstens indirekt ein Thema. Robert Zollitsch sieht den damals, im Herbst 2010, eröffneten „Reformdialog“ mit den Laien „auf einem guten Weg“, räumt allerdings „unterschiedliche Geschwindigkeiten“ ein.
Rasender Stillstand scheint in der Gastgeberdiözese angesagt. Während sich Zollitsch selber auf die Schulter klopfte dafür, „dass die Opfer eine finanzielle Anerkennung bekommen für das, was sie erlitten haben“, veröffentlichte das Internetportal regensburg-digital einen Brief des Regensburger Generalvikars, der gleichlautend an mehrere Opfer klerikaler Gewalt verschickt wurde, die um moralische und finanzielle Anerkennung ersucht hatten. Das Schreiben ergeht sich zunächst weitschweifig in allgemeinen Betroffenheitsbekundungen, um dann abrupt festzustellen: „Auch mit Ihren Schilderungen haben wir uns intensiv auseinandergesetzt und sind vielen weiteren Quellen nachgegangen. Wir konnten dabei Ihre Aussagen zur Frage eines sexuellen Missbrauchs nicht nachvollziehen. Eine Leistung in Anerkennung von erlittenem Leid erscheint auf diesem Hintergrund deshalb nicht gerechtfertigt.“
Der missbrauchte Domspatz
Einer, der mit diesem Schrieb aus dem Ordinariat abgefertigt wurde, ist der 63-jährige Musikpädagoge, Sänger und Schauspieler Udo Kaiser. Zwischen 1956 und 1968 erlitt er bei den Regensburger Domspatzen diverse Formen handfester physischer und sexueller Gewalt. Als er sich vor zwei Jahren mit der Missbrauchsbeauftragten der Diözese und einem Domkapitular traf und den beiden seine Erlebnisse schilderte, zeigten die sich erschüttert. Kaiser schöpfte Hoffnung. Doch dann hieß es warten. Bis schließlich, fast zwei Jahre später, die Mitteilung kam, dass man Udo Kaisers Tortur unter der Fuchtel der berüchtigten Domspatzenpräfekten nicht für glaubhaft halte. „Ich werde zum Lügner abgestempelt“, so Kaiser gegenüber regensburg-digital: „Das hat mich völlig zurückgeworfen. Ich habe mich wieder gefühlt wie der kleine Junge von damals.“
Ein 61jähriger, der ebenfalls bei den Domspatzen die Hölle erlebte, erhielt das gleiche ablehnende Schreiben des Regensburger Generalvikars. Zusammen mit der Missbrauchsbeauftragten hatte er einen seiner einstigen Peiniger im Altersheim aufgesucht. Der hatte ihn, nach anfänglichem Leugnen, schließlich unter Tränen um Verzeihung gebeten. Nichtsdestotrotz befand die Diözese nun, da sei nie etwas gewesen. Jedenfalls nichts von Belang. Der derart Verhöhnte ist nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren. Stellvertretend hat seine Schwester einen Brief an Stephan Ackermann geschrieben. Der Bischof von Trier ist der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Bischofskonferenz. Der erbitterte Brief endet mit der Ankündigung des Kirchenaustritts - und mit einem Bibelzitat: „Im Neuen Testament steht, dass Jesus sagte: ‚Wer einem von diesen Kleinen etwas Böses tut, dem soll man einen Mühlstein an den Hals hängen und ihn in den tiefsten Tiefen des Meeres versenken.‘ Was würde er zu seinen Nachfolgern, den Bischöfen und Priestern sagen, die Menschen, denen als Kind in der Obhut der katholischen Kirche dieses Böse angetan wurde, mit einem Massenbrief abfertigen?“
Was soll's?
Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller hatte erst vor drei Wochen einen „Missbrauchskomplex“ abgestritten und von „Einzelfällen“ gesprochen, „verteilt über Jahrzehnte“. Seine Frage: „Was soll man tun?“ klang fast wie: „Was soll’s?“ Es ist nicht überraschend, dass gerade in seiner Diözese die Opfer klerikaler Gewalt nun ein zweites Mal niedergebügelt werden. Ob sein Kollege Zollitsch davon unterrichtet ist, ist nicht bekannt. Zollitsch gab in Regensburg seiner Hoffnung Ausdruck, die Kirche werde zur Heilung der Opfer beitragen. Sein Wort in Gottes Ohr.(Florian Sendtner)
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