Politik

05.01.2012

Da stelln wer uns mal janz dumm

Tino Brandt: Die Vorgeschichte des Zwickauer Mördertrios in Regensburg

Seit zwei Monaten rätselt die Republik, wie es möglich war, dass eine nationalsozialistische Terrorbande über zwölf Jahre hinweg von den staatlichen Behörden völlig unbehindert mindestens zehn Personen regelrecht hinrichtete, mindestens zwei Sprengstoffanschläge mit Dutzenden Verletzten und, quasi nebenbei, mindestens 14 Banküberfälle beging. Seit zwei Monaten wird über das Zwickauer Mördertrio viel geredet und wenig gesagt. Dabei gäbe es durchaus Anhaltspunkte, die erklären, wie aus drei rechtsradikalen Dumpfbacken (wie es sie zuhauf gibt) nationalsozialistische Serienkiller wurden.
Eine Spur führt nach Bayern. Indizien zur Genese dieser in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartigen Mordserie finden sich in den Akten eines Strafverfahrens, das im Februar 1994 vor dem Regensburger Amtsgericht stattfand. Angeklagt wegen übler Nachrede sind zwei linke Studenten, Nebenkläger ist der 19-jährige Tino Brandt. Die Angeklagten sollen am Arbeitsplatz des Tino Brandt, einem Supermarkt, Flugblätter hinterlegt haben, auf denen dieser als gefährlicher Rechtsextremist dargestellt wird. Das Regensburger Amtsgericht erklärt diese Warnung für völlig haltlos und verleumderisch, verurteilt die beiden Angeklagten zu einer Geldstrafe und stellt dem Nebenkläger Tino Brandt damit indirekt einen Persilschein aus.
Brandt hat Regensburg zu dem Zeitpunkt bereits wieder verlassen. In seiner Heimat Thüringen wirft er sich zum Chef eines „Heimatschutzes“ auf, aus dem wenige Jahre später der „Nationalsozialistische Untergrund“ des Zwickauer Mördertrios hervorgeht. Nebenbei betätigt sich Brandt als V-Mann des Verfassungsschutzes und kassiert dafür gut 200 000 Mark, die er nach eigenen Angaben umgehend in seine nationalsozialistische Propaganda investiert. Auch das Mördertrio wird durch ihn mit Steuergeldern bedacht (die BSZ berichtete).
Zurück zu den Flugblättern vor dem Regensburger Amtsgericht. Konkret werden auf ihnen anonyme Anrufe bei einer türkischen Familie angeführt, eine jugendliche männliche Stimme hat den Regensburger Türken mit einem Brandanschlag gedroht. Auf den Flugblättern wird die Frage aufgeworfen, ob Tino Brandt mit diesen Drohanrufen etwas zu tun hat. Brandanschläge auf von Ausländern bewohnte Häuser finden zu der Zeit im wiedervereinigten Deutschland fast jede Nacht statt, in Ost und West.
Vor dem Regensburger Amtsgericht spricht der 19-jährige Nationalsozialist Tino Brandt am 23.2.1994 nach den Anschlägen in Solingen und Mölln von „Hysterie“. Auf Nachfrage, was er damit meine, erklärt er: „Die Hetze, die gegen alle nationalbewussten Leute danach einsetzte. Mölln und so, das wurde alles von der Presse hochgeschaukelt. Es ist noch gar nicht bewiesen, dass das Rechte waren.“ Richter Werner Gierl hält ebenfalls so manches für nicht bewiesen. Die Staatsanwaltschaft Bochum hat der Regensburger Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass sie gegen Tino Brandt wegen Aufstachelung zum Rassenhass ermittelt. Brandt hat bei einem Naziversand Propagandamaterial bestellt, unter anderem Aufkleber, auf denen Nichtdeutsche als Parasiten bezeichnet und „jüdische“ und „arische“ Gesichtsprofile einander gegenübergestellt werden.
Es hilft nichts. Richter Werner Gierl geht nach der Devise vor: Da stelln wer uns mal janz dumm. In seiner Urteilsbegründung ist von „Schriftstücken möglicherweise rechtsextremistischer Provenienz“ die Rede. Möglicherweise. Gierl wie auch Staatsanwalt Johann Piendl wollen es nicht so genau wissen. Gierl: „Die allgemeine politische Landschaft interessiert mich nicht.“
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Gerichtsakte: Die linken Studenten werden von Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter nach dem Motto „Wehret den Anfängen“ als potenzielle Terroristen angesehen, der bekennende Nationalsozialist Tino Brandt hingegen wird als unbescholtener Ehrenmann behandelt, dem der uneingeschränkte Beistand der staatlichen Behörden zusteht. (Florian Sendtner)

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