Politik

„Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?“, heißt es auf dem 400-Meter-langen Schriftzug in Berlin. Im Juni 2016 haben damit Befürworter für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens geworben. (Foto: dpa)

27.01.2017

Der alte Traum: Geld verdienen ohne Arbeit

Experten streiten über Fluch und Segen eines bedingungslosen Grundeinkommens

Der vielbeschworene demografische Wandel: Die Menschen bleiben länger gesund, werden immer älter und arbeiten teils lieber kürzer. Gleichzeitig werden weniger Kinder in Deutschland geboren, sodass in Zukunft immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner finanzieren müssen. Und wäre das noch nicht dräuend genug: Digitalisierung und Robotisierung werden wahrscheinlich künftig noch eine Menge mehr Jobs überflüssig machen, als wir uns das heute vorstellen können.

Wie sollen wir das alles bezahlen? „Bis 2030 ist alles supi“, hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) jüngst mit Blick auf die deutsche Sozialpolitik gesagt. Danach will sie das System mit ein paar „Haltelinien“ stabilisieren. Ökonomen wie der Schweizer Thomas Straubhaar, ehemals Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, fordern radikalere Lösungen – zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen: „Statt die Welt von morgen dem Sozialstaat von vorgestern anpassen zu wollen, wäre es klüger, heute einen Sozialstaat für die Welt von morgen zu schaffen“, sagt Straubhaar. Vom bedingungslosen Grundeinkommen verspricht er sich „garantierte Teilhabe und eine Ermächtigung aller – im Voraus“.

Befürworter wie Straubhaar sehen im bedingungslosen Grundeinkommen nicht nur ein grundlegend neues Konzept der Armutsbekämpfung, das den Menschen mehr Freiheit verschafft. Sondern auch die Chance, den Arbeitsbegriff ganz neu zu denken, die Logik von Leistung und Gegenleistung auszuhebeln.

Bleiben dann alle auf dem Sofa liegen?

Kritiker sind skeptisch. Und sie stellen in den im Bundestag vertretenen Parteien die Mehrheit. Wem der Staat genügend Geld gibt, um auf der faulen Haut zu liegen und dennoch Miete bezahlen und den Kühlschrank füllen zu können, der bleibe doch dann auf dem Sofa. Denen, die Unterstützung brauchen, helfe das nicht, sagt Kathrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag: „Denn die findet man dann ab mit einem Geldbetrag. Und von dem Moment an kümmert sich niemand mehr um sie.“ Bei den Linken wirbt eine Arbeitsgemeinschaft dafür, 1080 Euro im Monat an alle zu zahlen. Dies würde fast eine Billion Euro kosten, also an die 1000 Milliarden Euro im Jahr. Zum Vergleich: Derzeit beträgt der Bundeshaushalt im Jahr etwas über 317 Milliarden Euro.

Der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs weist auch auf die geringeren Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge hin, wenn weniger Menschen arbeiten. „Das würde ein teures Spiel.“ Auch SPD und Gewerkschaften sehen das bedingungslose Grundeinkommen mit Argwohn. Für den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel spielt „das Thema Arbeit, sowohl ehrenamtliche als auch bezahlte Arbeit, eine zentrale Rolle. Und da kann ich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wenig anfangen.“

Befürworter des bezahlten Nichtstuns versprechen sich eine Entlastung großer Bevölkerungskreise von ökonomischen Zwängen. Das klingt auf den ersten Blick äußerst sympathisch. Allerdings ist es mit großen Umsetzungsproblemen verbunden. Zum einen auf der philosophischen Ebene. „Die Arbeit hält drei große Übel fern: die Langeweile, das Laster und die Not“, hat der weise Voltaire aufgeschrieben. Tut man der Gesellschaft und dem Einzelnen einen Gefallen, wenn man ökonomische Grundprinzipien ausklammert? Zum anderen: Würde es überhaupt funktionieren?

Versuch in Finnland: 560 Euro ohne jede Bedingung

Die Schweiz hat im vergangenen Sommer über ein bedingungsloses Grundeinkommen von umgerechnet rund 2300 Euro im Monat abgestimmt. Mit negativem Ergebnis, nur 20 Prozent der Schweizer haben sich dafür ausgesprochen. Kritiker hatten argumentiert, von 2300 Euro allein könne man in der teuren Schweiz kaum leben. Deshalb würden sich die Grundeinkommensempfänger schlecht bezahlte Nebenjobs suchen – was zu einem generellen Druck auf die Löhne führt. Ein Praxisbeispiel gibt es dafür bereits. Im sogenannten Speenhamland-System in England Ende des 18. Jahrhunderts erhielten arme Landarbeiter einen bedingungslosen Betrag, der sich am Brotpreis orientierte. Dies endete allerdings darin, dass die Löhne sanken – sodass die Betroffenen trotz Grundeinkommen nicht genügend Geld zum Leben hatten.

In Finnland will man der Grundeinkommensthese jetzt dennoch eine neue Chance geben. Seit Anfang des Jahres zahlt der Staat zufällig ausgewählten Arbeitslosen 560 Euro im Monat für zwei Jahre ohne jede Bedingung. Die Probanden sind frei, sich Jobs zu suchen und Geld dazuzuverdienen. Abzüge gibt es nicht. So ließe sich einerseits Bürokratie in den Arbeitsagenturen abbauen, argumentiert die finnische Regierung. Andererseits soll das Grundeinkommen mehr Menschen motivieren, überhaupt legal zu arbeiten und so Steuern zu zahlen. „Wir denken, das könnte ein großer Anreiz sein, wenigstens einen Halbtagsjob anzunehmen“, sagt Marjukka Turunen vom finnischen Sozialversicherungsinstitut Kela.

In zwei Jahren wird man in Finnland ein bisschen schlauer sein, wenn es um die Frage geht, wie sehr sich Menschen tatsächlich nach bezahlter Arbeit sehnen. Aber egal, wie es dort ausgeht: Die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen ist noch lange nicht zu Ende. (Jan Dermietzel)

Kommentare (3)

  1. Frau Sorge am 04.02.2017
    Ich unterstütze die zutiefst humane Haltung im Hinblick auf eine bedingungslose Existenzsicherung, denn
    "Das Recht auf Leben ist bedingungslos, also auch das Recht auf „Lebensmittel“: Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Menschenrecht. Es stärkt gewerkschaftliche Kämpfe und sichert individuelle Freiheit. Wie aus dem Grundeinkommen auch eine tragfähige gesellschaftliche Perspektive wird, dazu im Folgenden":
    http://www.streifzuege.org/2010/antikapitalismus-mit-2-beinen-solidarische-oekonomie-grundeinkommen
  2. Fleißiger am 30.01.2017
    Besser hätte ich es nicht formulieren können! Danke!
  3. Faulpelz am 27.01.2017
    Die Leute hören zu arbeiten auf, wenn die Miete bezahlt und der Kühlschrank voll ist. Ach ja? Mir konnte noch niemand erklären, weshalb die Leute dann nicht schon jetzt zu arbeiten aufhören, sobald sie 1000 Euro auf dem Konto haben. Die Miete ist dann schließlich bezahlt und der Kühlschrank voll.
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