Die jüngsten Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden lassen Microsoft nicht gut aussehen. So soll der Software-Hersteller mit dem amerikanischen Geheimdienst kooperiert und absichtlich Sicherheitslücken in das Betriebssystem Windows eingebaut haben. Glück für München: Die Stadt hat im Dezember letzten Jahres die Computer an rund 12 000 Arbeitsplätzen auf das kostenlose Betriebssystem Linux umgestellt. „In Hinblick auf die NSA-Affäre sind wir froh, überwiegend auf Linux und freie Software gesetzt zu haben“, sagt der ehemalige LiMux-Leiter Peter Hofmann der Staatszeitung. Beim Start des Projekts sei dies aber noch nicht absehbar gewesen.
2003 begründete der Stadtrat die Umstellung noch mit einer größeren Herstellerunabhängigkeit in der IT-Infrastruktur. „Außerdem setzt München damit ein klares Zeichen für mehr Wettbewerb im Software-Markt“, erklärte Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) damals. Das stärkste Argument dürften aber die Kosten gewesen sein: Die Open-Source-Programme kommen den Stadtsäckel ein Viertel günstiger als die insgesamt 40 Millionen Euro teure Windows-Installation.
Mit Open Source gegen Industriespionage
Entwickelt wurde das lizenzfreie Betriebssystem Linux von idealistischen Softwareentwicklern auf der ganzen Welt. Es kann anstelle von Windows auf beliebig vielen Laptops, Mobiltelefonen oder Routern verwendet werden. Anschließend lässt sich darauf weitere kostenfreie Open-Source-Software wie zum Beispiel das Office-Paket „Open Office“, der Webbrowser „Firefox“ oder der E-Mail-Client „Thunderbird“ installieren.
Bei dieser freien Software ist der Quellcode, der Programmiersprache in Maschinensprache übersetzt und normalerweise zum Betriebsgeheimnis der Hersteller gehört, öffentlich einsehbar. Dadurch kann die Software kontinuierlich von Programmierern verbessert und Sicherheitslücken können schnell behoben werden. Das macht das Geschäft für Hacker uninteressant – die Folge sind weniger Viren. Außerdem müssen sich Anwender keine Sorgen machen, dass alte Software nicht mehr mit dem neuen Rechner kompatibel ist oder wie jetzt bei Windows XP die Update-Unterstützung für ihr erworbenes Produkt eingestellt wird.
Animiert durch die erfolgreiche Betriebssystem-Migration der Landeshauptstadt, haben die ÖDP München und die Regionale Wirtschaftsgemeinschaft jetzt sogar eine Anleitung „Linux-Installation als Ersatz für Windows XP“ im Internet bereitgestellt. „Für den Endanwender privat oder in der Firma gibt es seit einigen Jahren in Bezug auf die reine Bedienung keinen Grund mehr, auf Linux zu verzichten“, glaubt ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff. Wenn sich IT-Verantwortliche dennoch weigerten, liege das hauptsächlich daran, dass sie sich für die Benutzung eines „Industriestandards“ nicht rechtfertigen müssten – für den Umstieg auf eine Minderheitenlösung aber schon. Der ÖDP-IT-Beauftragte Martin Kraus hält die Umstellung allein schon wegen der zunehmenden Industriespionage für das Gebot der Stunde. „Das technische Wissen vieler Leute ist aber stark auf Microsoft zentriert“, klagt er.
Inzwischen nutzen laut einer Umfrage der Universität Maastricht bereits 49 Prozent aller öffentlichen Verwaltungen in Europa freie Software – allerdings wie der deutsche Bundestag meist nur auf Serverebene für das interne Netzwerk, weil dort individuelle Lösungen gefragt sind. An Arbeitsplätzen installiert ist sie im Freistaat neben München in der mittelfränkischen Stadt Treuchtlingen, auf Landkreisebene in zahlreichen Landratsämtern und bei den Selbstinformationsplätzen der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Zudem hat das bayerische Finanzministerium in den Vermessungsämtern der Vermessungsverwaltung „sehr gute Erfahrungen“ mit der Wirtschaftlichkeit selbst programmierter Software gemacht. Sogar die bayerischen Universitäten nutzen sie im Rahmen der „Virtuellen Hochschule“. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Studenten für die Belegung eines Online-Kurses nicht extra Lizenz-Produkte kaufen müssen.
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. So streben zum Beispiel weder der Landtag noch die Staatskanzlei eine Umstellung von Windows auf Linux an. „Wir sehen darin keinen Kostenvorteil“, erläutert Regierungssprecherin Daniela Philippi. Gleiches gilt für das Innenministerium. Dort sind ebenfalls die Kosten der Grund: „Die Umstellung wird durch den Folgeaufwand wie Mitarbeiterschulungen sündhaft teuer“, betont ein Sprecher von Joachim Herrmann (CSU). Außerdem müssten die Betriebssysteme bei der Polizei stabil und sicher sein. „Wir sehen daher keinen Grund, alles umzukrempeln.“
Die kommunalen Spitzenverbände weisen darüber hinaus noch auf das Problem der Fachanwendungen wie die Straßenausbau- oder Personalausweis-Software hin: Diese seien unter Linux nicht lauffähig, andere Gemeinde-Programme wiederum hätten Schnittstellen zu Microsoft-Produkten. „Eine Einführung sollte daher verwaltungsintern gründlich geprüft werden“, rät Bernd Buckenhofer vom bayerischen Städtetag. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen möchte auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik keine Empfehlung aussprechen, obwohl es das LiMux-Projekt als Partner unterstützt hat.
Microsoft selber verweist darauf, dass Open-Source-Betriebssysteme ebenfalls Updates mit erheblichen Folgekosten unterworfen und nur aufgrund der vielen Mitprogrammierer nicht automatisch sicherer seien. „Kommerzielle Hacker sind aber die Bedrohung im Alltag – nicht die Geheimdienste“, betont Microsoft-Sprecher Thomas Baumgärtner.
Die Stadt München habe zudem die Fachanwendungen und Schulungskosten für ihr Personal nicht ausreichend berücksichtigt. Deswegen habe sie nicht gespart, sondern – wie eine von Microsoft beauftragte Studie von Hewlett Packard ergab – 44 Millionen Euro zu viel gezahlt. Alles Glaubenssache also?
Der Direktor des Leibniz Rechenzentrums und des Instituts für Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität vertraut jedenfalls eher den Zahlen der Stadt. „Planzahlen wie die von Microsoft sind oft weit weg von der Realität“, versichert Dieter Kranzlmüller. Dass Windows sicherer und stabiler sein soll, löst bei ihm sogar schallendes Gelächter aus: „Das halte ich für an den Haaren herbeigezogen.“ (David Lohmann)
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