Zwei Drittel der Deutschen sind gegen die Rente mit 67 – sie wollen früher aufhören zu arbeiten. Ein paar Menschen aber fürchten den Ruhestand. Sie wollen weitermachen – auch wenn das Gesetz es ihnen verbietet. Der SPD-
Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer ist einer ihrer Vorkämpfer.
Hausarzt Peter Wohlleben ist 72 und will so lange arbeiten, bis sein Körper nicht mehr mitmacht. „Mein ganzes Leben lang habe ich in der Praxis verbracht. Ich weiß gar nicht, was Freizeit ist“, sagt der Mediziner aus Herzogenaurach. „Ich würde krank werden, wenn ich den ganzen Tag Blumen züchten, spazierengehen oder lesen müsste.“ Er spricht aus Erfahrung. Im Januar 2008 musste er in den Zwangsruhestand. Damals galt: Kassenärzte müssen mit 68 ihre Zulassung abgeben. „Jeder soll selbst entscheiden, wann er in den Ruhestand geht“, sagt Wohlleben.
Der bayerische SPD-Politiker Peter Paul Gantzer sieht das genauso. Der 73-jährige Landtagsabgeordnete will alle noch bestehenden Altersgrenzen abschaffen. „Der Grundsatz muss sein, dass man keinem Menschen das Arbeiten verbietet“, sagt Gantzer. Die Zwangsversetzung in den Ruhestand diskriminiere alte Menschen und verstoße gegen mehrere Verfassungsgrundsätze, darunter die Würde des Menschen und das Gebot der Gleichbehandlung.
Derzeit müssen zum Beispiel Feuerwehrmänner und Piloten ihren Beruf aufgeben, sobald sie das offizielle Rentenalter erreicht haben. Der Grund sind Sicherheitsbedenken. Es gilt die Annahme: Alte Menschen könnten andere gefährden, weil sie nicht mehr voll leistungsfähig sind. Auch Beamte und Angestellte des öffentlichen Diensts können den Ruhestand nicht hinauszögern. Hintergrund: Jüngere sollen nachrücken. Eingeführt wurde die Altersgrenze gleichzeitig mit der Rentenversicherung im späten 19. Jahrhundert. Damals sollte garantiert werden, dass Arbeitnehmer den Ruhestand auch genießen können.
Derzeit gehen rund drei Prozent der Deutschen erst nach dem offiziellen Renteneinstiegsalter in den Ruhestand. Ein Drittel arbeitet bis zum offiziellen Termin, die übrigen ziehen sich früher aus dem Berufsleben zurück.
Peter Paul Gantzer ist überzeugt: Altersgrenzen sind nicht mehr zeitgemäß. Er nennt sie ein „gesellschaftspolitisches Problem“. In unserer Leistungsgesellschaft sei die Arbeit ein zentraler sinnstiftender Faktor. „Es zählt nur der Output. Wenn alten Menschen die Möglichkeit zum Arbeiten genommen wird, fühlen sie sich nutzlos.“ Ein Drittel der Deutschen sei über 60, der Jugendwahn funktioniere deshalb einfach nicht mehr.
Die Arbeitsgemeinschaft „60 plus“ der SPD unterstützt Gantzers Kampf. Auch die Grünen sind auf seiner Seite. Der bundespolitische Sprecher für Rentenpolitik, Wolfgang Strengmann-Kuhn, fordert, jegliche Altersgrenzen „auf diskriminierende Wirkungen zu überprüfen.“ „Der Blick auf die Gesellschaft zeigt: Wir werden älter und bleiben gesünder und produktiver. Das chronologische Alter ist deshalb kein adäquater Gradmesser mehr, der zur Einschätzung von Leistungsfähigkeit dient“, sagt Strengmann-Kuhn.
Die Gewerkschaften hingegen finden Altersgrenzen weiterhin sinnvoll. „Die Älteren müssen den Jüngeren Platz machen“, sagt Hans Sterr, Sprecher von Verdi Bayern. „Meistens sind es schließlich Menschen in gefragten Jobs, die ihren Posten nicht räumen, wenn sie das Rentenalter erreicht haben. Von einer Putzfrau, die weiter arbeiten will, habe ich noch nicht gehört.“
Das Bundesverfassungsgericht hat in den vergangenen Jahrzehnten Altersgrenzen regelmäßig bestätigt. Auch Hausarzt Peter Wohlleben aus Herzogenaurauch klagte 2007 vor dem Gericht erfolglos gegen die Altersgreonze in seiner Branche. Wenige Monate nach seinem Zwangsruhestand, im Oktober 2008, wurde die Altersbeschränkung für Ärzte trotzdem aufgehoben – aus praktischen Gründen. Auf dem Land gab es keine jungen Ärzte, die die Alten ersetzen wollten. Peter Wohlleben hat jetzt wieder eine eigene Praxis, in Muggendorf, 50 Kilometer von Herzogenaurach entfernt.
Nach Einschätzung des Münchner Rechtsanwalts Michael Bihler können auch andere arbeitswillige Alte hoffen. Er schreibt im Auftrag von Peter Paul Gantzer ein Rechtsgutachten zum Thema. Die Gleichstellungsrichtlinie der EU habe ein Umdenken an den Gerichten bewirkt. Seitdem gelte das Argument, alte Menschen dürfen nicht diskriminiert werden. Vor wenigen Wochen habe zum Beispiel das Bundesverwaltungsgericht eine eigene frühere Entscheidung korrigiert und die Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige aufgehoben.
Gantzer ficht die erste Schlacht in seinem Kampf gegen die Altersgrenzen für hauptamtliche Kommunalpolitiker. Bislang dürfen die nämlich nur zur Wahl antreten, wenn sie noch keine 65 sind. Der bayerische Landtag beschloss vergangene Woche zwar bereits eine Lockerung der Grenzen, ab der Kommunalwahl 2020 dürfen sich auch 66-Jährige aufstellen lassen. Die Begründung der CSU-Fraktion für das Festhalten an den Grenzen: Hauptamtliche Kommunalpolitiker sind Beamte. Es müssen deshalb dieselben Grundsätze wie für alle anderen Staatsdiener gelten. Gantzer sieht das anders, für ihn ist die Beschränkung schlicht diskriminierend.
Tatsächlich hat Nordrhein-Westfalen zum Beispiel schon vor Jahren die Altersbegrenzung für Kommunalpolitiker aufgehoben. Dasselbe gilt für die meisten europäischen Länder. Mit Unterstützung der SPD-Fraktion im Landtag plant Gantzer deshalb eine Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Ziel ist es, die Altersgrenze für Kommunalpolitiker per Gericht ab sofort für nichtig erklären zu lassen.
Er selbst ist von dieser Regelung übrigens nicht betroffen: Für Abgeordnete und Kabinettsmitglieder gelten keine Grenzen. Auch ein paar CSU-Politiker halten die Altersbeschränkung für Kommunalpolitiker offenbar für nicht zeitgemäß: Neun der 92 CSU-Abgeordneten enthielten sich vergangene Woche bei der Abstimmung im Landtag. (Veronica Frenzel)
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