Ganze 70 Prozent! Das muss ihr erst mal einer nachmachen. Man kann es einen Wahlsieg nennen, den Susanna Tausendfreund bei der Stichwahl für das Amt des Bürgermeisters am 30. März 2014 eingefahren hat; „Triumph“ wäre aber vielleicht die passendere Vokabel. Dieter Reiter kam am selben Tag in München auf knapp 57 Prozent – und das als Sozialdemokrat in einer traditionell roten Stadt. Tausendfreund allerdings ist Grüne und ihre Gemeinde Pullach seit Jahrzehnten von der CSU dominiert.
Seit gut zwei Jahren regiert Tausendfreund nun in der 10 000-Einwohner-Gemeinde vor den Toren Münchens. Das Rathaus ist ein schmuckloser Funktionsbau an einer unscheinbaren Kreuzung, der zentrale Kirchplatz liegt ein paar hundert Meter entfernt. Aber Tausendfreund macht sich nicht viel aus Äußerlichkeiten. So hat sich auch in ihrem Amtszimmer nicht viel geändert, seit der Vorgänger ausgezogen ist. Noch immer blickt dort von zwei alten Gemälden das Ehepaar Höllriegel, das im 19. Jahrhundert den Ortsteil Höllriegelskreuth gegründet hat, etwas finster auf die Besucher herab. „Der Job hier taugt mir viel mehr als dieses manchmal aufgesetzte Hickhack im Landtag“ , erzählt Tausendfreund, „wo’s immer nur da drum geht, wer den Antrag gestellt hat, wer sich wie in der Öffentlichkeit präsentiert. Hier kann ich tatsächlich mit der Verwaltung zusammen die Sachen voranbringen.“
Tausendfreund ist als Grüne ein typisches Kind ihrer Generation. Waldsterben, Kernenergie, Nato-Doppelbeschluss – das waren die Themen, die sie als Gymnasiastin Ende der Siebziger politisiert haben. 1982 gründete sie mit Freunden einen Grünen-Ortsverband in Pullach, 1983 hat sie Abitur gemacht, 1984 ließ sie sich in den Gemeinde- und Kreistag wählen. Einer ihrer ersten politischen Erfolge: die Abschaffung des Badekappenzwangs im Hallenbad. Dann Jura-Studium, Arbeit als Anwältin und schließlich der Einzug in den Landtag 1998. Dort blieb sie zunächst für eine Legislaturperiode, 2008 schaffte sie es dann noch einmal.
Im Wahlkampf steckt das gesamte Übergangsgeld
Doch dann die Landtagswahl 2013. Tausendfreund hatte sich noch einmal aufstellen lassen. Anfangs hatte die Opposition noch mit dem beliebten SPD-Spitzenkandidaten Christian Ude Morgenluft gewittert, doch dann sanken die Umfragewerte. Und sanken. Am Ende fehlen der Grünen rund 400 Stimmen.
Tausendfreund rappelt sich schnell wieder auf und steckt ihr gesamtes Übergangsgeld in den Wahlkampf. Tausendfreund ist bekannt, beliebt und kann ihre politische Erfahrung in die Waagschale werfen. Aber sie hat auch Glück: Der Amtsinhaber geht in Ruhestand, über die Nachfolgefrage hat sich die CSU heillos zerstritten, es entsteht sogar eine neue Wählergruppierung. Der offizielle Kandidat der CSU hat am Ende keine Chance. Tausendfreund wird Bürgermeisterin – eines von 15 grünen Gemeinde-Oberhäuptern in Bayern.
Der Alltag von Susanna Tausendfreund sieht inzwischen natürlich anders aus als damals im Landtag. Statt um Gesetzesvorlagen und Untersuchungsausschüsse geht es nun beispielsweise um Babys. Ein Mittwochnachmittag im Sommer 2016: Susanna Tausendfreund hat zum Empfang ins Sportheim des SV Pullach geladen. Eingeladen sind alle Pullacher, die in den vergangenen zwölf Monaten auf die Welt gekommen sind. Samt elterlicher Begleitung, versteht sich.
Der Kaffee im Rathaus ist fair, der neue Dienstwagen elektro
Den „Babyempfang“ hat noch Tausendfreunds Vorgänger Jürgen Westenthanner von der CSU eingeführt. Womit die Bürgermeisterin jedoch kein Problem hat. „Ich will ja nicht alles umkrempeln, sondern auf der vorhandenen Basis aufbauen.“ Bei der Veranstaltung erfahren die jungen Eltern bei Kaffee und Kuchen, was für Angebote es in der Gemeinde für sie gibt: Wie sieht es mit Krippenplätzen aus, gibt es Tagesmütter, und was hat es mit dem kommunalen Erziehungsgeld auf sich. Dazu noch ein Gruppenfoto und am Schluss für jedes Baby ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin ein Isartaler“.
Es ist ein klassischer Termin im vollen Kalender der Bürgermeisterin. Vereinsjubiläen, Weihnachtsfeiern, Besuch aus der französischen Partnergemeinde, Bürgersprechstunde, Goldene Hochzeiten, runde Geburtstage, jede Menge interne Besprechungen im Rathaus. Zwischendrin fährt Tausendfreund dann auch mal persönlich einen gespendeten Notarztwagen in die Partnergemeinde in der Ukraine.
Und nebenbei soll ja auch noch Politik gemacht werden: Die Mittelschule und die Grundschule in Pullach platzen aus allen Nähten, es fehlen Sportflächen, das Schwimmbad ist marode, die Ortsmitte muss belebt werden, Flüchtlinge müssen untergebracht werden, der schöne Isarradweg ist unterbrochen, weil sich ein Grundstückseigentümer querstellt. Außerdem steht nach wie vor auch der Umzug des Bundesnachrichtendienstes an. Was wird dann aus den frei werdenden Flächen?
Susanna Tausendfreund ist Grüne, und das merkt man auch. Daran, dass der Kaffee im Rathaus fair und der neue Dienstwagen der Gemeinde elektro ist; an ihrem besonderen Interesse für Radwege oder am ehrenamtlichen Helferkreis für Flüchtlinge und Integration, dessen Gründung sie initiiert hat. „Ich setze manche Akzente anders als meine Vorgänger, aber ich lass meine Parteizugehörigkeit im Amt nicht raushängen.“
Für das liebste Hobby bleibt kaum Zeit: die Magie
Die Grünen-Fraktion im Gemeinderat ist klein, vier von zwanzig. „Da kommt es manchmal vor, dass sich CSU, WiP und FDP zusammentun und mir zeigen, dass sie die Macht haben. Vorgestern in der Haushaltsdebatte zum Beispiel: Da haben sie mich noch einmal vertagt, sagen mir aber nicht, was ich ändern soll.“
Doch trotz kleinerer Rückschläge macht Tausendfreund ihr Job Spaß, eine weitere Kandidatur kann sie sich gut vorstellen. Nur das Privatleben bleibt manchmal auf der Strecke. Ihren Mann, Odilo Helmerich, sieht sie zumindest regelmäßig im Gemeinderat, denn dort sitzt er seit Jahrzehnten für die SPD. Aber für ihr liebstes Hobby, die Zauberei, bleibt kaum noch Zeit. Vier Semester lang hat die Politikerin vor zwanzig Jahren abends eine Zauberschule besucht, sogar als Beste ihres Kurses abgeschnitten. Jetzt kennt sie sich mit Illusionen aus. Ob man eine Münze verschwinden lässt oder einen Elefanten, im Prinzip ist es dasselbe, erklärt Tausendfreund. Nur der Aufwand sei im zweiten Fall etwas höher. Man könne sogar politische Gegner verschwinden lassen. Im Prinzip. (Dominik Baur)
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