Politik

200 bis 300 Obdachlose leben zurzeit allein in Regensburg, schätzt ein Caritas-Berater. (Fotos: dpa)

12.08.2016

Immer mehr Obdachlose im reichen Bayern

Die Zahl der Menschen ohne Wohnung hat sich in Großstädten teilweise verdoppelt – nicht nur wegen der Flüchtlinge

Wenn Wolfgang Krinner beginnt, über das Thema Wohnungsmarkt und Obdachlose zu reden, dann hört er so schnell nicht mehr auf. Es gibt vieles, was dem Referenten für besondere Lebenslagen bei der Caritas Regensburg auf der Seele liegt, und das muss raus. „Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren extrem zugespitzt“, klagt er. Und warnt: „Hier liegt jede Menge Sprengkraft.“

Regensburg ist seit einigen Jahren eine ausgewiesene Boom-Region mit allen Vor-, aber auch allen Nachteilen. Letztere machen sich vor allem auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar. Durch den stetigen Zuzug wird der Wohnraum knapp und immer teurer. „Viele können sich die angebotenen Wohnungen nicht mehr leisten“, sagt Krinner. „Sie werden wohnungslos, im schlimmsten Fall sogar obdachlos.“
200 bis 300 Obdachlose leben zurzeit in Regensburg, schätzt der Caritas-Berater. Dazu kommt laut Krinner eine wachsende Dunkelziffer von Wohnungslosen, für die es in Regensburg kaum noch Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Krinner sagt: „Wir stehen kurz vor dem Kollaps.“ Es ist eine Entwicklung, die sich seit Langem abzeichnet, nicht nur in Regensburg.

Gerade in den wirtschaftlich starken Regionen und Städten Bayerns wächst die Zahl derer, die nicht mehr genug Geld haben für ein Dach überm Kopf. In Nürnberg ist die Zahl der Wohnungslosen in den vergangenen fünf Jahren um 25 Prozent auf 2000 Menschen gestiegen, in Augsburg hat sich die Zahl der Obdachlosen auf 200 Menschen verdoppelt. Wie viele Wohnungslose es in der Stadt gibt, ist nicht bekannt. „Unsere Möglichkeiten der Unterbringung sind jetzt ausgeschöpft“, sagt der Dritte Bürgermeister von Augsburg, Stefan Kiefer (SPD).

Besonders prekär ist die Situation in München. Hier, in der teuersten Stadt der Bundesrepublik, registrieren die Behörden bereits mehr als 5500 Wohnungslose. Das sind doppelt so viele wie noch vor acht Jahren. Die Mehrheit von ihnen ist in Heimen oder Pensionen untergebracht. Rund 650 jedoch übernachten im Freien.

36 000 Menschen in Bayern stehen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung

Es gibt in Bayern keine amtliche Statistik darüber, wie viele Menschen keine Wohnung haben. Nach einer vier Jahre alten Schätzung des bayerischen Sozialministeriums sind es bis zu 25 000. Diese Zahl dürfte jedoch längst überholt sein. Das hat vor allem zwei Gründe.

Der eine ist die Armutswanderung aus den ost- und südeuropäischen Ländern, die seit einigen Jahren unvermindert anhält. Es sind Menschen, die nach Deutschland kommen, um hier ihr Glück zu machen. Eine reguläre Arbeit und ausreichend Geld haben die wenigsten, sie sind deshalb auf die Obdach- und Wohnungslosenhilfe der Kommunen angewiesen.

Der zweite Grund ist der große Zustrom der Flüchtlinge seit dem vergangenen Jahr. Tausende von ihnen sind in Bayern bereits als Asylberechtigte anerkannt, weitere Tausende werden in diesem Jahr noch folgen. Auf dem freien Wohnungsmarkt haben auch sie kaum eine Chance. Was sie brauchen, ist bezahlbarer respektive geförderter Wohnraum. „Vor allem in diesem Segment werden Konkurrenz und Verteilungskämpfe größer“, sagt Krinner.

Besorgt äußert sich auch der Bayerische Städtetag. Am Wohnungsmarkt sei die Gefahr der Entsolidarisierung zwischen den Menschen am größten, warnte der Vorsitzende und Nürnberger OB Ulrich Maly (SPD).

In München rechnet man bis Ende des Jahres mit 2400 anerkannten Asylbewerbern. „Da der Verbleib in Gemeinschaftsunterkünften nur eine begrenzte Zeit möglich ist und die Nachfrage nach gefördertem Wohnraum deutlich höher ist als das Angebot, müssen anerkannte Asylberechtigte im System der ,Münchner Wohnungslosenhilfe’ untergebracht werden“, sagt Frank Booß, Sprecher des Münchner Sozialreferats. 3000 Plätze sollen bis Ende des Jahres geschaffen werden.

Noch wohnen viele auch anerkannte Flüchtlinge in Sammelunterkünften, weil sie keine Wohnung finden. Sie sind sogenannte Fehlbeleger. Insgesamt liegt ihre Zahl bereits bei zehn Prozent aller Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber.

Wohnraum schaffen, geförderten Wohnraum schaffen, Hilfesysteme schaffen, das sind nach Bürgermeister Kiefer die derzeit wichtigsten Aufgaben von Städten und Kommunen.
Und die größten Herausforderungen. Städten wie München oder Fürth, die dicht besiedelt sind, fehlen schlichtweg die Flächen. München will dieses Problem unter anderem mit Nachverdichtung lösen und mit Bauprojekten wie am Dantebad, wo der Parkplatz mit 120 Wohnungen überbaut wird. In Fürth gibt es Überlegungen, bestehende Wohnhäuser aufzustocken. Nachverdichtung, heißt das im Beamtendeutsch.

Gleichzeitig sollen jetzt wieder mehr Sozialwohnungen in den bayerischen Städten und Gemeinden entstehen. Denn dass die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist, wie sie ist, hängt auch damit zusammen, dass der Sozialwohnungsbau jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Innerhalb von 15 Jahren hat sich der Bestand geförderter Wohnungen in Bayern halbiert, von 250 000 im Jahr 1999 auf 130 000 im Jahr 2014. Groß ist hingegen die Not im Jahr 2016: Auf den Wartelisten für eine Sozialwohnung stehen in Bayern rund 35 000 Menschen.

Vielerorts wird der Sozialwohnungsbau jetzt wieder angekurbelt, auch mit der Unterstützung des Freistaats. Mit dem 2,6 Milliarden Euro-„Wohnungspakt Bayern“ will Bayern bis 2019 den Bau von 28 000 Sozialwohnungen bewerkstelligen. Allerdings fallen im gleichen Zeitraum rund 25 000 Wohnungen aus ihrer Sozialbindung. Bleiben unterm Strich 3000 Sozialwohnungen.

„Es muss schnell etwas passieren, bevor die Stimmung kippt“, sagt der Regensburger Caritas-Berater Krinner. Einheimische und Flüchtlinge dürften bei der Obdach- und Wohnungslosenhilfe nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Niemand darf sich benachteiligt fühlen“, erklärt Augsburgs Dritter Bürgermeister Kiefer. Und ergänzt: „Das ist eine große Aufgabe.“ (Beatrice Ossberger)

Kommentare (1)

  1. otto regensbacher am 12.08.2016
    Unter diesen Wohnungslosen kann es Menschen geben, die sich mit diesem Leben abgefunden haben. Dennoch, die meisten Betroffenen hoffen, irgendwann wieder in einer normalen Wohnung wohnen zu können. Wenn Deutsche auf der Straße leben müssen, junge Migranten aus arabischen und afrikanischen Ländern "umsorgt" in Heimen wohnen, dann stimmt etwas nicht in unserem Staate!
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