Politik

Wie Flügel von Windrädern auf inneren Verschleiß untersucht werden können, erforscht die Universität Erlangen. (Foto: dpa)

31.01.2014

Lukrative Aufträge vom Verteidigungsministerium

Rüstungsforschung an bayerischen Hochschulen: Warum die Unis kein Problem damit haben, welche Projekte dabei entstehen und wer davon profitiert

Viele deutsche Universitäten lassen Rüstungsforschung vom US-Pentagon finanzieren. Das sorgte Ende vergangenen Jahres für Empörung. Die Staatszeitung hat mit vier bayerischen Professoren gesprochen, die mit Fördermitteln vom deutschen und amerikanischen Verteidigungsministerium forschen. Es entsteht der Eindruck: Die Rüstungsforschung dient auch dazu, Finanzlöcher der bayerischen Unis zu stopfen. Ohne das amerikanische Verteidigungsministerium würde Thomas Klapötke, Chemieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität, in Finanzierungsnöten stecken. Ganze zwei Drittel seines Etats stammen aus verschiedenen militärischen Forschungseinrichtungen in den USA. Mit dem Geld bezahlt Klapötke Gehälter von Doktoranden, Materialien für Versuche und Forschungsgeräte, teilweise auch für Kollegen. Als kürzlich zum Beispiel ein neues Kernspinspektrometer für den Campus in München-Großhadern gebraucht wurde, fehlten der Universität 65 000 Euro. Klapötke schoss den Betrag von seinen jüngsten Fördermitteln aus dem Militärhaushalt der USA zu.
Dass der Chemieprofessor mit Geld aus Töpfen des US-Verteidigungsministeriums forscht, ist nach einem Blick in sein Portfolio schnell nachvollziehbar: Sein Spezialgebiet ist die Herstellung von neuen energetischen Materialen, 90 Prozent seiner Projekte sind wehrtechnisch nutzbar. Er forscht zu Sprengstoffen, zu Stoffen zum Zünden von Sprengstoffen und zu Raketentreibstoffen.

Die wenigsten Unis forschen für Kriegszwecke


Aktuell entwickelt sein Team eine neue Generation von Sprengstoff. Er soll sicherer sein als seine Vorgänger – beispielsweise nicht explodieren, wenn der Stoff aus Versehen Feuer fängt – weniger giftig für Umwelt und Menschen und im besten Fall auch noch leistungsstärker. „Es ist nicht anders als bei Autos: Wenn das Elektroauto langsam fährt, kauft es keiner – auch wenn es umweltfreundlicher ist“, erklärt Klapötke. „Genauso wenig interessiert die Rüstungsindustrie und das Militär ein umweltfreundlicher Sprengstoff, wenn er weniger leistungsstark ist als der marktübliche.“
Für Klapötke ist es selbstverständlich, bei seiner Forschung für seine besonderen Auftraggeber mitzudenken. Seit er 1997 die Chemie-Professur an der LMU annahm, stammt der Großteil seiner Drittmittel von Verteidigungsministerien und Rüstungsfirmen. Die meisten anderen Lehrstuhlinhaber in Bayern, die mit Geldern von militärischen Geldgebern arbeiten, haben weniger Erfahrung als Klapötke.
Und die wenigsten forschen unmittelbar für den Krieg. „Unser Projekt fördern das US-Verteidigungsministerium, die Deutsche Forschungsgesellschaft und die EU – es geht um Grundlagenforschung, Anwendungsgebiete sind noch nicht ausgewiesen“, erklärt zum Beispiel Laurens Molenkamp, Professor für Experimentalphysik an der Universität Würzburg. Er forscht zu topologischen Isolatoren, Materialen also, die im Inneren elektrisch isoliert sind, aber an ihrer Oberfläche die Bewegung von elektrischen Ladungen erlauben. Molenkamp will gerade herausfinden, wie das Material in Bauelementen verwendet werden kann. Ein Teil der aktuellen Förderung für sein Projekt kommt von der DARPA, der Forschungsagentur des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Mit dem Geld finanziert Molenkamp die Reisen seiner Mitarbeiter zu Forschungspartnern in den USA. „Für mich ist es eine Ehre, von der DARPA gefördert zu werden“, sagt Molenkamp. „Nur wer etwas besser kann als die Kollegen in den USA, bekommt die Förderung.“

Man muss besser sein als die US-Professoren


„Wer der Geldgeber ist, ist für uns irrelevant, wenn das Projekt interessant ist“, sagt hingegen Jan Schür vom Lehrstuhl für Hochfrequenztechnik an der Universität Erlangen, wo auch mit Mitteln des deutschen Verteidigungsministerium geforscht wird. „Wichtig ist für uns, dass wir unsere Mitarbeiter und neue Geräte bezahlen können.“
Einer von Schürs Doktoranden soll für das Verteidigungsministerium herausfinden, wie bestimmte Materialen, zum Beispiel Glasfaserverbundwerkstoffe, am besten auf Fehler oder Verschleiß im Inneren untersucht werden können, ohne dabei aufgeschnitten werden zu müssen. Aus Glasfaserverbundwerkstoffen sind zum Beispiel Türen von Flugzeugen und die Flügel von Windkraftanlagen.
Weil herkömmliche Scan-Methoden wie Röntgen oder Ultraschall entweder zu gefährlich oder zu ungenau sind, prüft Schürs Doktorand, wie sich die Bestrahlung mit Höchstfrequenz-Radarwellen anwenden lässt. „Aus der Wirtschaft, zum Beispiel von Herstellern von Windkraftanlagen, gab es schon öfter Anfragen nach solchen neuen Prüfmethoden“, sagt Schür. „Aber weil wir in absehbarer Zukunft keine Geräte präsentieren können, die beim Preis mit klassischen Prüfverfahren konkurrieren können, sind die Firmen immer wieder abgesprungen.“
„Weil wir Grundlagenforschung betreiben, ist es schwierig, Drittmittel aus der Wirtschaft zu akquirieren“, sagt auch Thomas Eibert, Professor für Hochfrequenztechnik an der Technischen Universität München. „Da auch die Deutsche Forschungsgesellschaft nur begrenzte Mittel hat, ist es gut, dass auch das Verteidigungsministerium in die Forschung investiert.“ Schon länger wollte er herausfinden, wie man Objekte vor sehr kurzen elektrischen Impulsen mit sehr hoher Leistung schützen kann, zum Beispiel vor Blitzeinschlägen oder vor künstlich erzeugten Impulsen, wie sie zum Beispiel von Terroristen einfach ausgelöst werden können. Aber es fehlte die Finanzierung. Er freute sich deshalb, als das wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien ihn genau mit einem solchen Projekt beauftragte.
Das Institut ist eine von zwei Forschungseinrichtungen des Bundesamts für Wehrtechnik und Beschaffung, das dem Verteidigungsministerium unterstellt ist. Mit dem Geld bezahlt er das Gehalt eines Doktoranden, der versucht, Algorithmen zu entwickeln, mit denen die Wirkung von elektromagnetischen Impulsen auf empfindliche Objekte untersucht werden kann. In einem zweiten Schritt sollen aus diesen Beobachtungen Maßnahmen zum Schutz der Objekte abgeleitet werden. „Ich finde es gut, dass Deutschland an seiner Verteidigungsstrategie arbeitet. Und ich finde es gut, dass wir daran teilhaben“, sagt Eibert. (Veronica Frenzel) Info: Rüstungsforschung - was die Unis dürfen Welche Hochschulen im Freistaat forschen für das Militär?
In Bayern sind mit der Technischen Universität (TU), der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Universität der Bundeswehr München die drei großen Universitäten der Landeshauptstadt betroffen. Doch auch die Universitäten Augsburg, Erlangen-Nürnberg, Würzburg und Bayreuth erhielten zum Teil erhebliche Drittmittel für militärische Forschungsprojekte. Betroffen sind ebenfalls die Hochschulen Hof, Deggendorf und Ingolstadt.

Wer finanziert die Rüstungsforschung?
In erster Linie das US-Verteidigungsministerium. Es unterstützte seit dem Jahr 2000 bundesweit 25 Hochschulen mit umgerechnet 7,4 Millionen Euro. Davon flossen allein über 2,3 Millionen Euro an die Universität Würzburg. Hinzu kommt die Europäische Union. Sie verteilte im Rahmen des siebten Europäischen Forschungsrahmenprogramms (FP7) 1,4 Milliarden Euro an Universitäten für Sicherheitsforschung. Das Nachfolgeprojekt „Horizon 2020“ soll im Laufe des Jahres starten. Ein weiterer Förderer ist das deutsche Verteidigungsministerium: In den letzten Jahren vergab es durchschnittlich 10 Millionen Euro an Universitäten – davon profitierte mit 1,7 Millionen Euro jährlich insbesondere die Münchner Bundeswehruniversität. Nicht zuletzt sind Rüstungsfirmen Auftraggeber. So beteiligt sich zum Beispiel die Militärflugzeugfirma Premium Aerotec am Bau des Innovationsparks der Universität Augsburg, und die EADS-Töchter Eurocopter sowie Cassidian finanzierten einen Lehrstuhl an der TU beziehungsweise der Hochschule Ingolstadt.

Woran wurde geforscht?
Die vom Militär finanzierten Projekte sind vielfältig. So wurde beispielsweise an der LMU im Bereich der Medizin untersucht, wie Stammzellen nach einem Giftgasanschlag die Heilung der Haut beschleunigen können. Die TU befasste sich mit der Frage, wie Elektronikbauteile radioaktive Strahlung überstehen und ganz allgemein mit der Verbesserung von Navigationsverfahren, Raketenantrieben oder Drohnen.
An der Universität Nürnberg-Erlangen wurde die Materialforschung mittels Kurzwellen vorangetrieben, um zum Beispiel Haarrisse in Flugzeugflügeln aufzuspüren. An der Bundeswehruni war das Ziel, die Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft von Soldaten zu steigern.
In Würzburg arbeitet man an Quantencomputern, die leistungsfähiger und abhörsicherer sind. In Deggendorf wurden Laserentfernungsmesser entwickelt, im Münchberger Ableger der Hochschule Hof das Färben von Spezialgarnen untersucht und in Bayreuth Biomaterialien wie Spinnenseide für schusssichere Westen erprobt. Über die Ergebnisse ist meist nichts bekannt: Sie sind geheim und werden nicht veröffentlicht.
Dürfen Unis überhaupt Rüstungsforschung betreiben?

Ja, im Grundgesetz steht „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“. Grenzen setzt lediglich das Kriegswaffenkontrollgesetz. Allerdings haben sich aktuell bundesweit 14 Hochschulen freiwillig eine so genannte Zivilklausel auferlegt. Sie soll sicherstellen, dass Forschung immer friedlichen Zwecken dient.
In Bayern existiert diese Selbstverpflichtung an keiner der Universitäten. Ob sie die Kriegsforschung tatsächlich beenden würde, erscheint allerdings fraglich. Viele Projekte haben einen „Dual Use“: Sie können im zivilen und im militärischen Bereich genutzt werden. Beispiele hierfür sind Medizinforschung, Internet oder Navigationssysteme. Oder Drohnen: Die unbemannten Flugobjekte können sowohl als Kampfmaschinen als auch für die Klimaforschung genutzt werden. Eine Zivilklausel könnte somit ebenso die zivile Forschung einschränken.

Was sagen die Betroffenen?

Die LMU betont, dass die militärischen Forschungsmittel im Jahr 2012 weniger als ein Prozent der jährlich insgesamt rund 135 Millionen Euro Drittmittel ausmachen. Die TU gibt an, sie bewerbe sich nicht aktiv um Militärforschung. In Nürnberg verweist man auf die ständige Veröffentlichung aller Forschungsergebnisse, die Hochschule Ingolstadt hebt die zivilen Nutzungsmöglichkeiten ihrer Forschung hervor, und in Würzburg beruft man sich auf reine Grundlagenforschung. Das Verteidigungsministerium findet Forschung für den Schutz von Soldaten in Bundeswehr und Nato grundsätzlich überhaupt nicht verwerflich.
Die Hochschulrektorenkonferenz hält gar jedes Dual Use-Forschungsprojekt für gerechtfertigt. Eine Zivilklausel lehnt sie daher genauso wie die CSU ab. Das bayerische Wissenschaftsministerium unterstreicht, die Drittmittelakquise beim Militär werde weder gefördert noch gefordert. Das Bundesforschungsministerium hält die bisherigen Transparenz-Regelungen bei den Drittmitteln für ausreichend.


Was sagen die Kritiker?

Für die Grünen im Landtag führt die ständig wachsende Abhängigkeit von Drittmitteln zu ethisch fragwürdigen Forschungsprojekten. Sie fordern eine höhere staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen und eine bessere Informationspolitik im Landtag. Studentenvertreter und Gewerkschaften wünschen sich ebenfalls mehr Transparenz bei der Auftragsvergabe, um die Unabhängigkeit der Wissenschaft sicherzustellen. Inzwischen hat sich sogar ein landesweites „Bündnis für zivile Bildung und Wissenschaft“ gegründet. Die Jusos und die Grüne Jugend in Bayern fordern einen Verzicht der Hochschulen auf Drittmittel. Sonst würde mit Verweis auf Dual Use immer öfter Kriegsrelevantes als Friedenssicherung ausgegeben.
(David Lohmann)

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