Sie ist Europas einzige Piratin, die es als Abgeordnete ins EU-Parlament geschafft hat. Julia Reda über ihre Ziele, eine mögliche Zusammenarbeit mit der Satire-Partei von Martin Sonneborn und das Erstarken der rechten Parteien
Die 27-jährige Hessin hat gerade ihr Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Universität Mainz abgeschlossen. Julia Reda ist seit 2009 bei den Piraten aktiv. Vorher war sie sechs Jahre lang Mitglied der SPD, bis sie im Streit um die Netzsperren austrat. Von 2010 bis 2012 war sie Vorsitzende der Jungen Piraten. Sie ist Gründungsvorsitzende der Young Pirates of Europe und zieht als Spitzenkandidatin der Piratenpartei Deutschland ins Europäische Parlament ein. 1,4 Prozent der Stimmen holten die deutschen Piraten bei der Europawahl am 25. Mai.
BSZ: Frau Reda, Sie haben es als einzige Piratin Europas ins EU-Parlament geschafft, was wollen Sie dort als erstes angehen?
Reda: Das erste große politische Thema wird die europäische Urheberrechtsreform im Internet sein. Die Europäische Kommission hat bereits vor der Wahl signalisiert, dass sie in diesem Bereich tätig werden will. Vergangenen Winter gab es bereits eine Anhörung dazu. Mittels eines Fragenkatalogs wurde erarbeitet, wo es aktuelle Probleme gibt. In Deutschland sind beispielsweise viele YouTube-Videos gesperrt. Wir Piraten haben die Inhalte der Anhörung im Internet aufbereitet, damit sich die Leute leichter an der Diskussion beteiligen können. Und das haben sie getan: über 10 000 haben die Fragen beantwortet. Der Austausch von Kultur und Wissen in der Europäischen Union muss erleichtert werden.
BSZ: Wollen Sie sich einer Fraktion anschließen? Welcher?
Reda: Auf jeden Fall. Direkt nach der Wahl haben mich bereits Abgeordneten der Grünen, der Linken und der Liberalen kontaktiert. Zu den Liberalen bestehen allerdings größere inhaltliche Schwierigkeiten, da sie beispielsweise dem Freihandelsabkommen zwischen EU und USA zustimmen wollen. Für uns Piraten kommt das nicht in Frage. Es wird also auf die Linke- oder die Grünen-Fraktion hinauslaufen. Mit beiden bin ich im Gespräch. Außerdem möchte ich bei dieser Frage auch den Bundesvorstand der Piraten und den Vorstand der europäischen Piratenpartei einbeziehen.
BSZ: Am Freitag treffen Sie sich jedenfalls mit Linken-Chef Gysi und dem Die-Partei-Vorsitzenden Martin Sonneborn.
Reda: Ja, und am Donnerstag habe ich eine Einladung zu einem Treffen mit Katrin Göring-Eckhardt, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. Ich möchte mir ihre Vorstellungen anhören und erfahren, wie sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen. Klar ist aber, dass ich eine eigenständige europäische Partei vertrete. Ausschlaggebend wird deshalb auch sein, in welcher Fraktion ich unsere Themen Netzpolitik und freier Austausch von Kultur am besten bearbeiten kann.
BSZ: Halten Sie eine Zusammenarbeit mit dem Satiriker Sonneborn tatsächlich für möglich?
Reda: Vorstellen könnte ich mich das durchaus. Natürlich kommt es jetzt aber erst einmal darauf an, ob und wie er sein Mandat wahrnehmen will. Sonneborn hat ja bereits ein Rotationsverfahren angekündigt, bei dem er nach nur einen Monat zurücktreten und im monatlichen Wechsel Mitglieder seiner Partei nach Brüssel schicken will. Damit würde es natürlich schwierig werden, inhaltlich zu arbeiten. Grundsätzlich aber halte ich es für legitim, politische Prozesse auch satirisch anzugehen. Ich glaube außerdem, dass Piraten und Die Partei kulturell gar nicht so weit von einander entfernt sind. Im Lübecker Stadtparlament jedenfalls arbeiten wir bereits in einer Fraktion zusammen und das funktioniert relativ gut. Jetzt bin ich ganz gespannt, wie sich Herr Sonneborn die Arbeit im Europaparlament tatsächlich vorstellt.
"Die CSU hat die AfD aufgewertet"
BSZ: Als einzige Piratin in der EU – wie wollen Sie sich dort Gehör für Ihre Themen verschaffen?
Reda: Vor zwei Jahren habe ich für die schwedische Piratin Amelia Andersotter arbeiten können, die damals mit dem Handelsabkommen Acta befasst war. Niemand hatte geglaubt, dass dieses Abkommen gestürzt werden könnte. Aber durch ihr geschicktes Verhandeln hat sie es geschafft mit einzelnen Abgeordneten unterschiedlichster Parteien eine Mehrheit gegen dieses Abkommen aufzubauen. Ganz entscheidend dabei waren auch die Mobilisierung der Bevölkerung und deren Protest auf der Straße. Man kann also auch als Einzelperson Mehrheiten verändern und, weil viele Fraktionen noch nicht die große Expertise bei Internetthemen haben, dort auch die Fraktionslinie verändern.
BSZ: Europaweit haben rechte Parteien stark zugelegt, in Deutschland hat die AfD sieben Prozent der Stimmen geholt. Die NPD hat einen Sitz. Wie erklären Sie sich das?
Reda: Die Parteien der politischen Mitte haben den Fehler gemacht, die Bevölkerung unterschiedlicher Länder gegeneinander auszuspielen. Auch aus unseren Regierungsparteien wurden immer mal wieder Vorurteile gegenüber Griechen laut. Oft hieß es, die Wirtschaftskrise sei allein von den Menschen dort verschuldet. Dabei trägt die deutsche Wirtschaftspolitik eine große Mitverantwortung. Durch unseren starken Exportüberschuss wurden andere Länder runtergewirtschaftet. Ich glaube, dass es aber in der Verantwortung aller Parteien liegt, den Menschen zu vermitteln, dass die gravierenden sozialen Probleme nur durch ein Mehr an gemeinsamen europäischen Lösungen und durch ein Mehr an europäischer Demokratie gelöst werden können. Zum Beispiel durch eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik. Hier dürfen wir uns von den rechten Parteien nicht unter Druck setzen lassen. Man hat doch am Ergebnis der CSU gesehen, dass es ein Fehler war, zu versuchen, nach rechts zu rücken und damit der AfD Wähler abspenstig zu machen. Das Gegenteil hat sie erreicht: Die CSU hat diese Partei dadurch noch aufgewertet.
BSZ: Warum haben die Piraten nicht mehr Stimmen geholt?
Reda: Ich hatte gehofft, dass es noch mindestens für einen zweiten Sitz für uns reicht. Wir haben an den Infoständen viel Zuspruch erhalten, gerade auch für unsere konsequente Ablehnung des Freihandelsabkommens. Letzten Endes aber denke ich, haben wir uns im Wahlkampf zu zerstritten gezeigt. Vor allem der Rücktritt von Vorstandsmitgliedern war schädlich, denn viele Leute haben danach nicht mehr darauf vertraut, dass wir uns auf die politische Arbeit in den Parlamenten konzentrieren können. Eine große Aufgabe für uns sehe ich deshalb darin, Parteistrukturen aufzubauen, mit den wir auch zwischen Parteitagen, Richtungsstreitigkeiten beilegen können. Zum Beispiel mit einer ständigen Mitgliederversammlung im Netz. (Interview: Angelika Kahl)
Lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der Bayerischen Staatszeitung vom 6. Juni 2014 einen Hintergrundbericht über die Abgeordneten der kleinen Parteien, die es ins EU-Parlament geschafft haben.
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