Für CSU-Chef Horst Seehofer steht bereits fest: In Deutschland soll es künftig bundesweite Volksentscheide geben. "Ich bin dafür", betonte er in den vergangenen Wochen, wenn er auf das Thema angesprochen wurde. Die direkte politische Beteiligung der Bürger über Volksbefragungen, Volksentscheide und Bürgerbegehren sei Kern seiner Politik. Er wolle möglichst viel "Koalition mit den Menschen". Auch das Votum für den EU-Austritt Großbritanniens änderte da nichts. Seehofer: "Man kann eine solche Grundfrage - Teilhabe der Bevölkerung an den politischen Prozessen - nicht davon abhängig machen, ob eine Wahl oder eine Umfrage gerade mal positiv oder negativ ausgeht."
Nach den vielen Wochen der Worte will Seehofers CSU das Thema nun konkreter angehen: Per Mitgliederbefragung will die Partei in Bayern ab Dienstag klären, ob sie sich künftig in der Bundesregierung für mehr direkte Demokratie einsetzen soll. Mit einem Ergebnis wird für den 4. November gerechnet.
Soll sich die CSU für Volksentscheide auf Bundesebene einsetzen?, heißt die Frage. Stimmt die Mehrheit der Mitglieder mit Ja, soll die Forderung ins neue Grundsatzprogramm der CSU aufgenommen werden, das der Parteitag beschließen soll.
In der CDU ist man dagegen - und fühlt sich vom Brexit-Votum bestätigt
Es gibt aber auch Bedenken - unter anderem in der Bundestags-Landesgruppe. Vor allem aber überwiegen in der CDU erhebliche Vorbehalte gegen bundesweite Volksentscheide. Die CDU-Führung hält die gängige Regelung auf Ebene der Bundesländer für absolut ausreichend. Schon während der Koalitionsverhandlungen 2013 hatte die CDU entsprechenden Überlegungen von CSU und SPD eine Absage erteilt. Anders als Seehofer sehen sich viele führende Christdemokraten in ihrem Nein auch vom Brexit-Votum bestätigt. Die repräsentative Demokratie wie in Deutschland mit dem Bundestag habe sich "wahrhaftig bewährt", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) Anfang Juli.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verteidigte den Vorstoß Seehofers. "Wir rütteln nicht am Grundsatz der repräsentativen Demokratie", betonte er. Aber bei manchen Entscheidungen wolle das Volk auch direkt beteiligt werden. "Dieses Urbedürfnis der Menschen hat mit der modernen Kommunikation weiter an Bedeutung gewonnen."
Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) schloss für die Zukunft auch Volksentscheide über Themen wie die Flüchtlingspolitik nicht aus. "Bei so viel Polarisierung im Land könnte das möglicherweise auch zu einer Befriedung führen", argumentierte Söder.
"Wir gehen da unseren Weg und versuchen bei der CDU dafür zu werben", sagte Seehofer vor wenigen Wochen bei der Herbstklausur der CSU-Landtagsfraktion in Kloster Banz. "Ich bin ein großer Anhänger für Volksentscheide, ich möchte, dass wir unsere Mitglieder befragen und der Vorstand folgt dem."
Deutliche Kritik kam von den Freien Wählern (FW). "Der angebliche Einsatz der CSU für mehr Bürgerbeteiligung ist Augenwischerei, weil sie genau weiß, dass es auf Bundesebene dafür keine Mehrheit gibt", erklärte Hubert Aiwanger, Vorsitzender der FW-Landtagsfraktion. "Deshalb kann die CSU wie bisher auch künftig an der Seite der Lobbyisten systematisch am Volk vorbeiregieren. Von Eurorettung bis Atomlaufzeitverlängerung, von Stromtrassen bis TTIP."
Und SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher, der die Zeit reif hält für die Stärkung der direkten Demokratie auf Bundesebene, wundert sich: "In den letzten Jahren hat die CSU im Bayerischen Landtag immer wieder SPD-Anträge für Volksentscheide und mehr Möglichkeiten zur direkten Demokratie auf Bundesebene abgelehnt." (
dpa/BSZ)
Hintergrund: Direkte Demokratie in Deutschland
Volksinitiativen, Bürgerbegehren und Volksentscheide sind Mittel einer direkten Demokratie. Während in Ländern wie der Schweiz das Volk häufig auch bei nationalen politischen Fragen direkt entscheiden kann, sieht das Grundgesetz in Deutschland keine bundesweiten Volksentscheide vor. Eine Ausnahme nennt das Grundgesetz in Artikel 29 für eine Neugliederung des Bundesgebietes, jedoch nur für die "betroffenen Länder", aus deren Gebieten ein neues oder neu umgrenztes Land entstehen soll. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen der gescheiterten Weimarer Republik legten die Väter und Mütter des Grundgesetzes das neue politische System bewusst als repräsentative Demokratie an.
In den Bundesländern sind die Instrumente direkter Demokratie dagegen auf Landes- und kommunaler Ebene vorgesehen. Per Volksentscheid, dem das Volksbegehren vorausgeht, können die wahlberechtigten Bürger verlangen, ein Landesgesetz oder die Landesverfassung zu ändern oder ein neues Gesetz einzuführen. In einer Reihe von Ländern gibt es zudem die Volksinitiative, auch Bürgerantrag oder Einwohnerantrag genannt. Damit wird der Landtag aufgefordert, sich mit einem bestimmten Thema zu befassen.
Die Regelungen sind jedoch von Land zu Land unterschiedlich. So variiert die Zahl der benötigten Unterstützerunterschriften für ein Volksbegehren ebenso wie die erforderliche Mindestbeteiligung von Stimmberechtigten für den Volksentscheid. (dpa)
Kommentare (2)