Die Proteste der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) halfen nicht. Genau ein Jahr, nachdem sich Ärzte, Wissenschaftler und Apotheker auf dem Wiener Stephansplatz Überdosen homöopathischer Mittel verabreicht hatten, um deren Unwirksamkeit zu demonstrieren, eröffnet im Frühjahr in Traunstein die erste bayerische Homöo-Akademie. Ihr Ziel ist es, Homöopathie auf Hochschulniveau zu lehren, um damit Erkrankungen von Angina über Neurodermitis bis Zyanose zu heilen. „Es ist uns ein wichtiges Anliegen, die Fronten zwischen Ärzten und Heilpraktikern aufzulösen und eine Brücke zu schlagen zwischen Schulmedizin und klassischer Homöopathie“ erklärt der Präsident der verantwortlichen Steinbeis-Hochschule, Johann Löhn, auf der Akademie-Webseite.
Dazu werden Abiturienten oder Praktiker erst mal in einem dreijährigen Bachelor-Studiengang unterrichtet. Im anschließenden Master-Studiengang ist geplant, über einen Zeitraum von zwei Jahren vor allem die Forschung stärker in den Fokus zu rücken. So sollen den Absolventen Berufsfelder eröffnet werden, die bisher nur Akademikern vorbehalten waren. Kosten: 7200 Euro – pro Jahr. Initiator des neuen Studiengangs ist die Stiftung „Europäische Union der Homöopathie“, eine Lobbyvereinigung aus Ärzten, Heilpraktikern, Patienten und Förderern.
Die TU München bietet ein Akupunktur-Studium an
Doch nicht nur in Traunstein werden Naturheilverfahren gelehrt. Die Privathochschule Fresenius in Idstein bietet am Standort München einen insgesamt 28 000 Euro teuren Bachelor-Abschluss in Osteopathie an. „Er umfasst die eigenständige Befunderhebung, Interpretation anderer Befunde, die Therapieplanung und die osteopathische Behandlung“, erläutert die Vorsitzende des Verbands der Osteopathen Deutschlands, Marina Fuhrmann. Mit den richtigen Handgriffen sollen dabei Beschwerden in Muskeln, Gelenken und im Weichgewebe aufgelöst werden. Selbst an staatlichen Universitäten finden sich Angebote: So existiert an der Technischen Universität München der nach eigener Aussage einzige Masterstudiengang für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) an einer westlichen Universität. Dabei werden Mediziner mit Staatsexamen für 25 000 Euro in der chinesischen Arznei- und Akupunkturtherapie weiterqualifiziert, um damit etwa Erkältungen, Entzündungen oder Verspannungen zu lindern.
Die Vorsitzende des bayerischen Heilpraktikerverbands, Ursula Hilpert-Mühlig, hat für die enormen Kosten kein Verständnis. „Die Studiengänge wurden nur eingeführt, weil es ein Wahnsinnsgeschäft ist“, schimpft sie. Sie vermutet hinter der Akademisierung den Versuch, Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten. Allerdings steht die Heilpraktiker Akademie Bayern in Konkurrenz zu anderen Ausbildern, weil sie selber Fortbildungen anbietet – wenn auch zu günstigeren Preisen.
Andere Universitäten im Freistaat halten sich bei integrativer Medizin eher zurück. Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg bietet lediglich ein Wahlpflichtfachseminar über TCM und klassische Homöopathie an. In Würzburg wird zu diesem Thema gar nicht geforscht oder gelehrt. Gleiches gilt für die Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Ich bedauere das aber, weil jeder Student über die verschiedenen Verfahren Bescheid wissen und damit umgehen sollte“, erklärt der Studiendekan der Medizinischen Fakultät, Martin Fischer. Seiner Meinung nach sollte eine kritische wissenschaftliche Basis geschaffen werden, damit jeder Student selbst über einen Einsatz entscheiden kann. Ähnlich argumentiert Thomas Loew vom Universitätsklinikum Regensburg. „Mediziner müssen mehr über die medizinische Szene Bescheid wissen“, betont er. „Ohne dass eine dafür nötige Forschung existiert, darf man die Verfahren aber nicht pseudo-akademisieren.“ Er sieht die Ausbildung in Traunstein daher skeptisch.
Für den homöokritischen Buchautor Norbert Aust, Mitglied der GWUP, genügt die Homöo-Akademie noch nicht einmal den Vorgaben des bayerischen Hochschulgesetzes. „Die Homöopathie ist eine über den reinen Placeboeffekt hinaus unwirksame Therapie“, glaubt er. Er hält es wegen des homöopathischen Anspruchs, auch schwerste Krankheiten zu heilen, für einen grundlegenden Fehler, der Homöopathie durch die staatliche Anerkennung als Hochschule das Prädikat der Wissenschaftlichkeit zu verleihen. Ähnlich beurteilt er andere Therapieformen der Alternativmedizin.
Christoph Trapp vom Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVHE) verweist jedoch auf Umfragen, nach denen 70 Prozent der Bevölkerung Homöopathie befürworten. Zudem sei die Wirksamkeit durch viele Studien belegt, weshalb selbst Krankenhäuser wie das Münchner Klinikum rechts der Isar Homöopathie in ihr Konzept integrierten und die bayerische Landesärztekammer homöopathische Weiterbildungen für Ärzte anbiete. „Die Homöopathie erscheint Schulmedizinern nur unplausibel, weil in ihren höher potenzierten Arzneien kein Wirkstoff nachzuweisen ist“, begründet er das Misstrauen. Leider verständen es die Mitglieder der GWUP gut, lautstark ihre Thesen zu verbreiten. Allerdings befürwortet auch er weitere Forschung, „da der Wirkmechanismus weiterhin unklar ist“.
Versicherer sind bei der Beurteilung von Naturheilverfahren ebenfalls uneins. „Heilpraktiker gehören zwar nicht zu den Berufsgruppen, die ihre Behandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen dürfen“, erläutert Claudia Widmaier vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Kassen könnten die Kosten aber freiwillig übernehmen, was laut DZVHE zurzeit immerhin sieben Versicherer tun.
Das bayerische Gesundheitsministerium wiederum enthält sich einer Wertung. „Welche Therapie für einen Patienten am besten geeignet ist“, so eine Sprecherin von Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), „soll dieser zusammen mit seinem Arzt entscheiden.“ (David Lohmann)
Kommentare (3)