Politik

Zeugnisse: Nicht für alle Schüler ein Grund zur Freude. Immer öfter glauben Eltern, dass an schlechten Noten die Lehrer Schuld haben. (Foto: dpa)

11.08.2017

"Schwierige Schüler haben meist schwierige Eltern"

Schulrechtsexperte Thomas Böhm über die wachsende Unsicherheit von Lehrkräften im Umgang mit Schülern sowie erlaubte und grenzwertige Verbote im Schulalltag

Überkritische Eltern, schwierige Schüler: Immer häufiger klagen Lehrerinnen und Lehrer darüber, dass sie nicht wissen, wie sie sich in problematischen Situationen verhalten sollen. Denn zunehmend ziehen Eltern wegen angeblicher Lehrer-Schikanen vor Gericht. Der Schulrechtsexperte Thomas Böhm hat dazu jetzt ein Buch veröffentlicht. Titel: „Nein, du gehst jetzt nicht aufs Klo. Was Lehrer dürfen.“ Die Staatszeitung sprach mit Böhm. Er ist Dozent für Schulrecht und Rechtskunde am Institut für Lehrerfortbildung in Essen-Werden.  

BSZ:
 Herr Böhm, was ist so kompliziert daran, die Rechte von Lehrern und Schülern einzuschätzen? Dafür gibt’s doch Vorschriften und Regeln.
Thomas Böhm: Das stimmt. Aber häufig haben wir es mit unbestimmten Rechtsbegriffen zu tun, mit „Kann“-Formulierungen. Deshalb ist es so, dass Lehrer viel Spielraum haben bei ihren Entscheidungen. Im konkreten Fall beruht aber vieles auf der Rechtsprechung, also darauf, wie Gerichte bestimmte Sachverhalte beurteilt haben. Das aber haben die einzelnen Schulen und Lehrer verständlicherweise nicht immer so genau vor Augen.

BSZ: Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern? Darf ein Lehrer Schüler tatsächlich daran hindern, auf die Toilette zu gehen?
Böhm: Natürlich. Der Schüler ist grundsätzlich verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen. Er muss also fragen, ob er rausgehen darf, und der Lehrer kann das erlauben, aber er muss es nicht erlauben. BSZ: Und welcher vernünftige Lehrer würde das verbieten?
Böhm: Es kommt darauf an, ob Schüler notorisch nach Wegen suchen, dem Unterricht zu entkommen. Das gibt es ja, dass einzelne Schüler in jeder Stunde oder sogar mehrmals während einer Stunde raus aufs Klo wollen. Wenn ein Lehrer dann sagt, nein, du bleibst jetzt da, wäre es sicher so, dass ihm im Fall einer Klage jedes Gericht Recht geben würde. Anders dagegen wäre es, wenn ein Schüler das erste Mal fragt, es ihm dann verboten wird und das Kind deswegen vielleicht sogar in die Hose macht. Dieses Verbot käme einer Schikane gleich und wäre nicht verhältnismäßig. Übrigens scheint diese Frage ein großes Thema an den Schulen zu sein; bei Fortbildungsveranstaltungen werde ich ganz oft von Lehrern danach gefragt.

"Natürlich darf man Schülern das Handy wegnehmen,
notfalls auch übers Wochenende"

BSZ: Worüber herrscht sonst noch Unklarheit bei Lehrern oder Eltern?
Böhm: Zum Beispiel glauben viele Menschen, Lehrer dürften Schüler nicht anfassen. Das stimmt so aber nicht. Es kommt einfach auf die Situation an und darauf, welchen Zweck der Lehrer verfolgt. Zum Beispiel kann es bei einem Schulausflug eine gefährliche Situation am Bahnsteig geben, wenn der Zug einfährt und Schüler nicht darauf reagieren, wenn der Lehrer sagt, bleibt jetzt zurück. Dann darf er die Schüler natürlich packen und zurückziehen. Oder: Wenn Schüler aus dem Klassenzimmer oder aus der Schule rauslaufen und nicht darauf hören, wenn der Lehrer sagt, komm zurück. Dann darf man die packen und ins Klassenzimmer zurückbefördern. BSZ: Dürfen Lehrer einem Schüler das Handy wegnehmen?
Böhm: Klar. Störende Gegenstände darf man wegnehmen. Die Frage ist aber: Wie lange darf der Lehrer das Handy behalten? Unstrittig ist: bis zum Ende des Unterrichtstages. Aber das Verwaltungsgericht Berlin hat auch bereits geurteilt, dass ein Lehrer das Handy mal übers Wochenende behalten darf. Nämlich dann, wenn ein Schüler schon häufiger damit den Unterricht gestört hat und es nichts genützt hat, das Gerät nur für einen Tag einzukassieren. BSZ: Darf der Lehrer ins Handy reinschauen?
Böhm: Nein. Wenn er den Verdacht auf strafbare Inhalte hat, muss er die Eltern einschalten oder die Polizei.

"Am häufigsten ziehen Eltern wegen Schulverweisen
und Sitzenbleiben vor Gericht"

BSZ: Was ist mit Kleidung? Gelegentlich liest man von Schülerinnen, die wieder heimgeschickt werden, weil der Rock zu kurz oder das Top zu knapp ist.
Böhm: Grundsätzlich darf die Schule nicht über die Kleidung bestimmen. Aber auch hier gilt: Es kommt drauf an. Schüler dürfen zum Beispiel keine Neonazisymbole auf ihrer Kleidung haben. Was das bauchfreie Top angeht: Das ist schon schwieriger, und es ist ein häufiges Problem. Oft sind Bekleidungsfragen aber schulintern geregelt. Die Schulleitung stellt auf der Grundlage des Erziehungsauftrages Regeln für eine angemessene Kleidung auf. Vieles lässt sich dann im Gespräch lösen. BSZ: Oder auch nicht. Immer öfter hört man, dass Eltern Schulen beziehungsweise Lehrer verklagen. 
Böhm: Das stimmt. Es ist eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz, dass staatliche Autoritäten nicht mehr so ernstgenommen werden. Schauen Sie nur, wie schwer es Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter teilweise haben, wenn sie ihre Arbeit machen wollen. Die müssen sich häufig beschimpfen lassen, werden teilweise sogar tätlich angegriffen. BSZ: In welchen Fällen ziehen Eltern am häufigsten vor Gericht?
Böhm: Im Fall von Ordnungsmaßnahmen wie zum Beispiel Schulverweisen. Oder auch wenn es ums Vorrücken geht, wenn also ein Schüler das Klassenziel nicht erreicht hat. Da wird dann eine bestimmte Note rausgesucht und versucht, nachzuweisen, dass die nicht gerechtfertigt war, etwa, weil falsch korrigiert wurde. BSZ: Wie aussichtsreich sind derlei Klagen?
Böhm: Es gab Fälle, in denen Gerichte den Eltern Recht gegeben haben. Generell lässt sich aber feststellen, dass die Gerichte bundesweit relativ schulfreundlich urteilen. BSZ: Lehrer behaupten oft, das Schlimmste an der Schule seien die Eltern ...
Böhm: Das ist schon so. Hinter problematischen Schülern stehen meist problematische Eltern, die gegen die Schule arbeiten wollen. Lehrer brauchen aber die Unterstützung der Eltern. Es gibt auch viele Eltern, die einfach nicht einsehen wollen, dass ihre Kinder nicht geeignet sind für eine höhere Schule. Wenn dann die Noten nicht passen, heißt es, die Lehrer seien schuld, weil sie schlechten Unterricht machen. Und dann gibt es leider auch viele Eltern, die denken, ich gebe mein Kind in der Schule ab, und die macht dann alles, ich muss mich um nichts mehr kümmern. So funktioniert das natürlich nicht. Auch hier gilt: Lehrer brauchen die Unterstützung der Eltern.
(Interview: Waltraud Taschner)

Kommentare (1)

  1. otto regensbacher am 17.08.2017
    Man sollte nicht mit juristischen Begriffen agieren, wenn der Durchblick fehlt.
    "Kann-Formulierungen" sind Begriffe des Ermessens und haben mit unbestimmten Rechtsbegriffen nichts zu tun.

    Unbestimmte Rechtsbegriffe sind beispielsweise: "glaubhaft", "bei Zuverlässigkeit".
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