„Lügenpresse“, „Staatsfunk“, „Zwangsgebühren“: Immer mehr Menschen sprechen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Existenzberechtigung ab. BR-Intendant Ulrich Wilhelm, Vorsitzender der ARD, macht dieser „öffentliche Liebesentzug“ zu schaffen. Sein Rezept dagegen: immer wieder zu betonen, wie wichtig die ARD für die Gesellschaft ist. Die Gäste im Landtag kann er damit überzeugen. Doch reicht das für einen Weg aus der Krise?
Neu ist das Phänomen nicht. Kritik an Medien und Journalisten gab es schon immer. „Zu einer freiheitlichen Demokratie gehört das geradezu dazu“, betont Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung beim Akademiegespräch im Landtag, einer regelmäßigen gemeinsamen Veranstaltung zu aktuellen Themen. Neu aber seien Qualität und Schärfe der Kritik. „Und der Vertrauensverlust in die Medien“, so Münch. Vor allem auch in die Öffentlich-Rechtlichen. Der Titel der Veranstaltung im Maximilianeum: Medien in der Krise – welche Zukunft hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk? Die sinngemäße Antwort von Hauptgast Ulrich Wilhelm, Vorsitzender der ARD und Intendant des
Bayerischen Rundfunks (BR): Das komme ganz auf seine finanzielle Ausstattung an. Unterstützung bekommt er von Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die in ihrer Begrüßung betont: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf nicht unter dem Druck der Quote stehen.“ Eine angemessene Finanzierung sei also notwendig.
Aktuell zahlt jeder Haushalt einen Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro. Geht es nach Wilhelm, soll er 2021 erhöht werden, um gravierende Einschnitte im Programm zu vermeiden. Das löst nicht nur Unmut bei AfD-nahen „Lügenpresse“-Schreiern aus. Um die aktuelle Debatte über weitere Einsparpotenziale oder mehr Reformbereitschaft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht es an dem Abend im Landtag aber erstaunlicherweise nur am Rande. Stattdessen bekommt Wilhelm viel Raum und Zeit, um die große Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Gesellschaft herauszustellen. Gerade in Zeiten, in denen im Internet das permanente Selbstgespräch der Gleichgesinnten laufe, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier es mal ausdrückte, sei es wichtig, Themen im Diskurs zu klären, so Wilhelm. „Mit Rede und Gegenrede.“ Das Ideal einer Demokratie sei eine verlässliche Mehrheit an informierten mündigen Bürgern. Was es dazu in großen Gesellschaften braucht: „eine Gesamtöffentlichkeit“, sagt Wilhelm. „Die erreichen aber nur sehr wenige Medien.“ Nur mit Teilöffentlichkeiten einzelner Gruppen der Bevölkerung lasse sich Demokratie nicht organisieren, glaubt Wilhelm.
Die Gesamtöffentlichkeit herstellen, das schaffe der öffentlich-rechtliche Rundfunk. „Die ARD erreicht mit ihren Angeboten im Fernsehen, Hörfunk und Internet 94 Prozent der Menschen in Deutschland ab 14 Jahren jede Woche“, zitiert Wilhelm die ARD-Akzeptanzstudie 2018. Täglich komme sie auf rund 80 Prozent. Für den BR gelte das in gleicher Weise. „Die Gesamtheit aller Printtitel liegt unter diesem Wert.“ Was Wilhelm besonders freut: Auch Menschen, die der Demokratie skeptisch gegenüberstehen, würden die ARD nutzen. Wilhelm: „So viel zum Thema, wie überflüssig der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist.“
Kommt immer wieder: Der Vorwurf der Klüngelei mit der Politik
Diemut Roether, verantwortliche Redakteurin von epd medien, ficht die Existenzberechtigung der Öffentlich-Rechtlichen nicht an. In der Gesprächsrunde mit Münch und Wilhelm beklagt sie aber eine fehlende Vision, was er heute leisten soll. Sie verweist auf die leidenschaftlich geführte Debatte in der Schweiz im Vorfeld der Abstimmung über die Abschaffung der Rundfunkgebühren. „Was fehlt uns, wenn es den Schweizer Rundfunk nicht mehr gibt?“ war das Thema. Am Ende votierten die Bürger gegen seine Abschaffung.
Wilhelms Antwort mit Blick auf Deutschland: „Der regionale Inhalt“ – ob in der Politik, Kultur oder im Sport. Darin unterscheide man sich von Netflix und Co. „Vieles von dem, was wir machen, würde ersatzlos wegfallen, wenn wir es nicht mehr machen“, betont er. Das Problem laut Wilhelm: Für die ARD als Institution hätten die Menschen wenig übrig. Mit den Inhalten aber identifizierten sie sich. „Wenn wir eine beliebte Sendung kürzen, verlegen oder gar einstellen, wird das zum Massenthema.“
Die Gäste im Landtag sind auf Wilhelms Seite. Aus dem Publikum kommt die Forderung nach mehr Selbstbewusstsein gegenüber Kritikern des gebührenfinanzierten Systems. Die Journalistin Roether indes wünscht sich einen Dialog der Sender mit Zuschauern und Nutzern. Über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen müsse in der Gesellschaft debattiert werden, nicht in den Rundfunkräten, fordert sie. Denn ein Problem der Öffentlich-Rechtlichen sei schließlich auch der Vorwurf der Klüngelei mit der Politik. Wilhelm etwa sei ja selber einmal Sprecher der bayerischen Staatsregierung gewesen. Der wehrt sich. „Wichtig ist die persönliche Einstellung. Ein Intendant, der die Unabhängigkeit nicht schützen will, ist fehl am Platz – genau wie ein Umweltminister, der die Umwelt nicht schützen will.“ Ein Problem bei Wechseln zwischen Politik, Verwaltung oder Wirtschaft sieht er nicht, im Gegenteil. „Das tut gut, denn es bringt Erfahrung.“
Aber dass ein Mehr an Dialog nötig ist, räumt auch Wilhelm ein. „Wir laden nun häufiger Publikum ein, das bei uns einen Einblick bekommt“, erklärt Wilhelm. „Die Reaktionen der Menschen darauf werden ungefiltert gesendet.“ Das Motto: reden im eigenen Programm über sich selbst – und natürlich über die eigene große Bedeutung.
(
Angelika Kahl)
Foto (dpa): Seit 1. Januar 2018 ist BR-Intendant Ulrich Wilhelm Vorsitzender der ARD.
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