Man stelle sich vor, jeder Student müsste sich beim Einschreiben oder Rückmelden vor der Studentenkanzlei in eine Schlange einreihen, die Hand auf das Matrikelbuch legen und schwören – erst dann darf er sich als ordentlich immatrikuliert an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München verstehen.
Nein, heute ist dieser Akt ein recht profaner, schnöder: Statt eines Eides gilt die korrekte und rechtzeitige Überweisung des Studienbeitrags. Ein Matrikelbuch ist inzwischen Studierenden ohnehin das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln. Das Einschreiben ist ein digitaler Verwaltungsvorgang. Stutzig wird mancher aber vielleicht doch, wenn er seine Unterlagen bekommt und das Uni-Siegel genauer anschaut: Wie passt die unter einem gotischen Baldachin thronende Muttergottes mit dem Jesuskind auf dem Schoß zum Corporate Design einer hochmodernen Exzellenz-Hochschule?
Festlegung in der Stifterurkunde
Es ist quasi ein Fingerzeig zu den Anfängen der LMU: Dieses Motiv begleitet die Hochschule seit ihrer Gründung 1472 in Ingolstadt. In der Stiftungsurkunde (das Original ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt) hatte Herzog Ludwig IX. von Bayern-Landshut der Lehranstalt weitreichende Rechte zugebilligt, unter anderem das Recht zu Siegeln. Bis ins Detail hat er das Aussehen des Siegels festgelegt: „... unser Frawen Pild in der Mitt under dem Tabernackel sitzen, und ain Kind an dem rechten Arm auf der Schoss und zu der selben Handt und Seyten ain Schilt, und darinn die Wecklein die Ptaltz und Bairland bedewttend.“ Das galt für das große Siegel, der Herzog hat auch Variationen der anderen Siegel (nebst deren Gebrauch) beschrieben.
Vom Corporate Design verstand man auch damals einiges: Gleich beim Aufschlagen des allersten Matrikelbuchs sieht man Maria und Jesuskind eben just auf einem gotischen Thron sitzen, ihnen zur Seite knien der Herzog (diese Darstellung gilt übrigens als einziges authentisches Porträt des Wittelsbachers) und der erste Rektor der Universität, Christoph Mendel von Steinfels.
Natürlich hatte sich der Herzog erst vom Papst die Genehmigung zur Gründung einer „Hohen Schul“ einholen müssen, aber dieser hat vermutlich nicht das Patronat „verordnet“. Vielmehr diente als ikonografisches Vorbild die „Ingolstädter Gnad“: Ein damals äußerst populäres und überaus kostbares, wohl am Pariser Hof goldgeschmiedetes Andachtsbild im Münster „Zur Schönen Unserer Lieben Frau“, das auch offizielle Universitätskirche wurde. Kirche und Andachtsbild waren eine Stiftung von Ludwig VII. gewesen, dem vorletzten Wittelsbacher aus der Linie Bayern-Ingolstadt. Uni-Gründer Ludwig IX. stammte dagegen aus der Linie Bayern-Landshut – unterstrich er mit der Adaption des Marien-Motivs einmal mehr Tradition und Legitimation seines Erbes und die Vormachtstellung gegenüber dem Verwandten Albrecht III. von Bayern-München? Das Andachtsbild aus dem Ingolstädter Münster wurde 1801 als „überflüssiges“ Kirchensilber eingeschmolzen.
Gestrenger Montgelas: Keine Extra-Wurst für die Uni!
Zu dieser Zeit verschwand die Muttergottes auch aus den Uni-Siegeln. In diesem Fall war es aber nicht des wertvollen Materials wegen, auch nicht, weil die Universität 1800 nach Landshut übersiedelt war: Vielmehr setzte sich Montgelas durch: Im Sinne einer gesamtstaatlichen Corporate Identity durfte sich die Uni keine Extra-Wurst mehr erlauben und musste auch das Staatswappen führen. König Ludwig I. pfiff wenige Jahre später seinen umtriebigen Staatsreformer zurück – und die Universität reparierte ihre zersägten Typare
Gut 200 Stempel aus der Geschichte der Hochschule sind erhalten. Sie werden heute als Insignien im Archiv der LMU wohl gehütet – neben anderen herausragenden Schatzstücken. Dazu gehören zum Beispiel zwei Zepter, die Rektorenkette, eine Hellebarde, eine Studentenfahne – und eben das allererste Matrikelbuch der Universität.
Von welcher Künstlerhand das Stifterblatt stammt, weiß man nicht. Unbekannt ist ebenso, wer das Schwurblatt und all die vielen anderen Miniaturen in dem Buch gemalt hat. Jeder neue Rektor hat sich nämlich ein eigenes Bild mit persönlichem Wappen und Heiligen oder wichtigen Univestiätsszenen (etwa der Rektoratswahl) bestellt. Und da Rektoren ursprünglich pro Semester, dann für ein Jahr gewählt waren, kann man sich die Fülle an Illustrationen vorstellen, die die jeweiligen Amtszeiten voneinander trennen. Die kunsthistorische Forschung könnte da noch einen Schatz heben.
Gleich unter dem Stifterblatt begannen die „Candidaten“, also Studenten, ihre Unterschriften zu leisten. „Student Nr. 1“ war Theodericus Mair, der Sohn vom Kanzler des Herzogs und damals schon Propst in Ilmmünster. Das Studium an der „Hohen Schul“ war quasi eine Fortbildung, die akademische Ausbildung war juristische Voraussetzung (und „Skill“ im Konkurrenzkampf) für die weitere Karriere. Für Mair lohnte sich das Studium in Ingolstadt: Er wurde später noch mit vielen einträglichen Pfründen bedacht. (
Karin Dütsch)
Abbildungen:Das Stifterblatt im ersten Matrikelbuch der Ludwig-Maximilians-Universtiät München zeigt die Muttergottes mit Jesuskind auf dem Schoß unter einem gotischen Baldachin. Ihr zu Seiten knien Herzog Ludwig IX. (links) und der erste Rektor der Hochschule, Christoph Mendel von Steinfels. Noch nicht erforscht ist, welcher Künstler die Miniatur gemalt hat, auch von wem das Schwurblatt (unten) mit der Kreuzigungsszene stammt, ist bislang unbekannt. Dieses zeigt in der Mitte über dem Schwurtext (der Beginn des Johannesevangeliums) deutliche Benutzungsspuren: Dort legten die Studenten ihre Hand ab zum Schwur. Im 19. Jahrhundert übernahm dieses Ritual ein Student stellvertretend für seine Kommilitonen, 1967 war damit Schluss. (Fotos: Universitätsarchiv der LMU)
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