Unser Bayern

Hochkaratige Kunst im "Kabinett" der Sammlung.

16.12.2011

Kunst dient der Friedenssicherung

Das Grafik Museum Schreiner lockt Künstler und Besucher aus aller Welt nach Bad Steben


Vorbei scheint die Zeit eines Mäzenatentums, das schenkt, ohne gleichzeitig zu fordern. Sammler erwarten heute materielle oder ideelle Gegenleistung, wenn sie ihre Schätze zur Verfügung stellen. Mitunter steht die mäzenatische Geste in einem asymmetrischen Verhältnis zur Leistung, die sie tatsächlich erbringen. Denn nach wie vor muss die Öffentlichkeit all jene Aufgaben eines Museums finanzieren, die unerlässlich sind und doch nach außen hin wenig Attraktivität schaffen, wie Konservierung, Aufarbeitung und Vermittlung. Die Musealisierung einer Sammlung als zeitlich befristete Leihgabe an ein renommiertes Haus erscheint zudem manchem als probates Mittel, den finanziellen Wert der Kollektion dauerhaft zu erhöhen. Doch je mehr die Ankaufetats der Museen schrumpfen, desto mehr geraten die Institutionen in die Abhängigkeit solcher Sammler und ihrer Allüren. Im äußerten Fall baut man ihnen aus öffentlichen Mitteln ein eigenes Museum, das ihrem privaten Geschmack ein Denkmal setzt. Früher war nicht alles besser. Immerhin gab es noch keine Sponsoren sondern nur Mäzene. Diese Sammler trugen im Stillen Kunstwerke zusammen, um sie später umsichtig und diskret – auch im Bewusstsein gesellschaftlicher Verantwortuntg – einer öffentlichen Institution zur Verfügung zu stellen. Einzelne Vertreter dieses Schlags gibt es noch. Da sind zum Beispiel Stefanie und Wolfgang Schreiner. Seit 1991 lebt das Berliner Ehepaar im Frankenwald. Das Grafik Museum Stiftung Schreiner in Bad Steben gründet auf ihrem Sammlerfleiß und sozialen Engagement. Bad Steben, ein alter Bergbauort, Staatsbad seit 1832 und seit 2001 einer der neun bayerischen Spielbankstandorte, stand nach dem Zweiten Weltkrieg für Jahrzehnte mit dem Rücken zur Zonengrenze und war nicht gerade eine Topadresse Reisender. Das sollte sich mit der Gründung des Grafik Museums im Jahr 1994 ändern: Plötzlich reisten Minister, Botschafter, selbst der Kulturattaché der Volksrepublik China und der bulgarische Ministerpräsident an. Überdies schauen Künstler aus allen möglichen Ländern – Japan, Kanada, Kuba, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Bulgarien – seither im Kurort vorbei, um ihre Arbeiten in dem Museum auszustellen, das sich vom belächelten Kompromiss ohne eigenes Haus und Etat zur renommierten Adresse gemausert hat. Es begann damit, dass Wolfgang Schreiner in den 1970er Jahren Manager in einem Schokoladenimperium von Peter Ludwig mit dem Zuständigkeitsbereich Osteuropa war. Gemeinsam bereisten sie viele Länder. An der Seite des studierten Kunsthistorikers, Sammlers und Mäzen Peter Ludwig war dabei das Thema Kunst ständig präsent – jede Geschäftsreise wurde auch zur Grand Tour durch Ateliers, Museen und Galerien. Während Peter Ludwig Malerei und Bildhauerei sammelte, entwickelte Wolfgang Schreiner seine Liebe zur Grafik. Da ihn Geschäftsreisen hauptsächlich in kommunistische Länder führten, begann er vor allem dort zu sammeln: Zunächst konzentrierte er sich auf die zeitgenössische Grafik der DDR, dann weckten Länder Osteuropas sein Interesse, vor allem Bulgarien. Den beiden Geschäftsleuten öffneten sich im Ostblock Spielräume, die für andere in der Zeit des Kalten Krieges nicht existierten. Sie nutzten diese Möglichkeiten auch zum Austausch von Kunst zwischen den Verfeindeten. Hilfreich war Schreiners Verhandlungsgeschick. Er nennt es bescheiden seine „positive Penetranz". Peter Ludwig schrieb über seinen Freund: „Hindernisse waren für ihn da, um beiseite geräumt zu werden. Ohne seine unablässige Findigkeit hätte es den gewaltigen Bereich mittel- und osteuropäischer Kunst der Sammlung Ludwig, der in fast zwei Jahrzehnten aufgebaut wurde, nicht geben können. Keine kommunistische Bürokratie war halsstarrig genug, um nicht von Schreiner zur Kooperation gebracht zu werden und wenn es unten hakte, ging er rigoros nach oben." Und weiter: „Kunst gab er den Rang von Friedenssicherung. Mit Schreiners Hilfe und nur mit seiner Hilfe war es möglich, Ausstellungen westlicher Kunst aus unserer Sammlung in vielen Museen Mittel- und Osteuropas zu zeigen und später Bildkunst aus dem kommunistischen Machtbereich zu erwerben und vielerorts in unserem Land und bei unseren westlichen Nachbarn vorzustellen. Kulturpolitik ist für Schreiner ein Anliegen: Kunst gedeiht nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil des Lebens und damit der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Politik." In diesem Sinn verstand Wolfgang Schreiner seine Sammlung nie nur als Privatangelegenheit. „Kunst zu sammeln", sagt er, „ist etwas Schönes; noch schöner aber ist es, das Gesammelte zu zeigen." Deshalb stellte er von Anfang an Leihgaben uneigennützig zur Verfügung und stieß selbst Projekte an. Während des Festivals „Hofer Herbst" im Jahr 1982 zeigte er grafischen Arbeiten von 48 Künstlern der DDR. Im Grenzland war das für die Besucher eine überraschende Erfahrung: der Blick in eine ferne Welt vor der Haustür, die offenbar so fremd gar nicht war, wie die Begegnung mit der Kunst zeigte. Das ist der Kern jeder Kunsterfahrung: Wir können uns durch sie mehr vorstellen als vorher. Im Sommer 1984 waren es „Künstler aus der Sowjetunion", deren grafische Arbeiten er den Kurgästen vorstellte. Gleichzeitig vermittelte er Ausstellungen mit Westkunst in die DDR. Dass besonders Kunst Brücken zwischen Menschen, Ländern und Ideologien zu bauen vermag, davon ist auch Stefanie Schreiner überzeugt. Da sie im Kunsthandel tätig war und ebenfalls Grafik sammelte (DDR, Osteuropa), wurde die private Verbindung zum Fundament einer einzigartigen Sammlung und eines beeindruckenden Engagements. Trotz ihrer Sammelleidenschaft verloren sie die Lebensumstände der Menschen in der kommunistischen Welt und die politischen Verhältnisse nie aus den Augen. Als im Jahr 1993 Fidel Castro die Ehepaare Ludwig und Schreiner in Havanna empfing, improvisierten staatliche Stellen für die Gäste eigens eine Präsentation von Arbeiten handverlesener Künstler. Obwohl die Deutschen das Arrangement durchschauten, begegneten sie den Künstlern unvoreingenommen. Statt die vorgelegten Arbeiten unter dem Dogma der Moderne und westlicher Arroganz abzukanzeln, ließen sie sich auf die spezifischen Ausdrucksformen des Landes mit seiner eigenen Kunstgeschichte ein. Für sie zählen nur künstlerische Qualität, handwerkliches Können und Ausdruckskraft. In Kuba erwarben Schreiners ein Konvolut zeitgenössischer Grafik, um es zunächst 1995 in Bamberg und anschließend in Bad Steben auszustellen. Dass sie bei ihren Ankäufen auch nicht der typisch westlichen Einteilung von Kunst kommunistischer Länder in regimetreue Staatskünstler und Dissidenten folgten, brachte ihnen nicht nur Anerkennung ein. In der Zeit des Kalten Krieges galt solche Unvoreingenommenheit als verdächtig – und das Sammelgebiet ohnehin als obsolet. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs saßen selbsternannte Staatskunstkritiker zu Gericht und stellten Künstler aus dem Osten erst einmal unter Generalverdacht. Westdeutsche Künstler überboten sich in bösartiger Polemik. Bei den vordergründig ästhetisch geführten Debatten ging es in Wahrheit um handfeste finanzielle Interessen: Angesichts der hervorragenden Ausbildung der Ostkünstler fürchtete man Umsatzeinbußen. Fettblöcke und gepresster Autoschrott mussten mit altmeisterlich durchgearbeiteter Kunst konkurrieren. Ein Höhepunkt der Kampagne war die Absage der Ausstellung „Willi Sitte. Werke und Dokumente" im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg durch den Verwaltungsrat im Dezember 2000. Statt der überfälligen kunst- und kulturhistorischen Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten Vertreter der DDR-Malerei beugte man sich damals politischem Druck. Unter anderen hatte der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) gefordert, das Werk Sittes dürfe „nicht unkommentiert" gezeigt werden. Zehn Jahre davor kam dem Museum eine Offerte der Sammler aus Bad Steben noch sehr gelegen: Als Schreiners ihre Sammlung von DDR-Grafik mit dem Ende des Staats 1990 abschlossen, war sie auf mehr als 1800 Blätter angewachsen, darunter viele Arbeiten von Willi Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Volker Stelzmann, Werner Tübke. Weil sich in Oberfranken keine Institution dafür interessierte – selbst die Cranach-Stadt Kronach hatte abgelehnt –, überließen sie die künstlerisch wie historisch einzigartige Sammlung dem Museum als Dauerleihgabe. Das bedauerte wiederum der damalige Finanzminister Georg von Waldenfels (CSU). Der gebürtige Hofer hätte die Sammlung gern in der ehemaligen Grenzregion gesehen, wo es von attraktiven Kunstmuseen nicht gerade wimmelt. Die Idee zum Grafik Museum Stiftung Schreiner in Bad Steben war geboren. Zur Gründung schenkten Schreiners 250 Grafiken osteuropäischer Künstler dem Freistaat, der im Gegenzug die Leseräume und den Vortragssaal im Kurhaus für die museale Nutzung zur Verfügung stellte. Die doppelte Funktion des öffentlichen Gebäudes bringt die Kunst den Besuchern nah ohne andächtig museale Attitüden. Tatsächlich beschäftigen sich auch jene Kurgäste mit den Kunstwerken, die sonst nie ein Museum betreten. Insofern passt das Konzept hervorragend zu den Intentionen der Stifter. Trotz der simplen Raumlösung konnte lange Jahre keine tragfähige Finanzierung gefunden werden. Also übernahm das Ehepaar ehrenamtlich die Leitung, kümmerte sich um Konzeption, Organisation und Durchführung aller Ausstellungen. Politiker schauten gerne vorbei, lobten die Pflege des europäischen Gedankens – und waren auch schon wieder weg. Das fachlich zuständige Ministerium für Kunst und Kultur zeigte kein Interesse, weil das Museum dem Finanzministerium untersteht. Als Kurt Faltlhauser (CSU) Waldenfels ablöste, verabschiedete sich das Finanzministerium aus der Verantwortung und kündigte mit der Gründung der Bayerischen Staatsbad Bad Steben GmbH im Jahr 1999 den Vertrag für den bestellten Museumsleiter. Auch davon ließ sich das Ehepaar nicht entmutigen. Ein Förderverein wurde gegründet, der seither die Ausstellungsprojekte unterstützt. (Rudolf Maria Bergmann) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Dezember-Ausgabe von Unser Bayern.

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