Bayern ist ein wichtiger Standort für die zivile Raumfahrtindustrie. Das hat es wohl seinem ehemaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (1915 bis 1988) zu verdanken. Denn der legte 1967 den Grundstein einer Satellitenempfangsstation und eines Raumfahrtkontrollzentrums der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt bei Weilheim und bei Oberpfaffenhofen. In seiner letzten, sehr langen Rede, die er 1988 in Augsburg anlässlich der Eröffnung einer Produktionsstätte für Stahlgehäuse für Motoren der Trägerrakete Ariane 5 hielt, formulierte er drei Ziele einer damals künftigen europäischen Weltraumpolitik: Autonomie, Partnerschaftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit Europas in Wissenschaft und Technik. Die Ziele sind mittlerweile in der aktuellen europäischen Weltraumpolitik in Gesetze gegossen, aber das wettbewerbliche Umfeld ist rauer geworden, an das sich die europäische Weltraumpolitik anpassen muss. Die Digitalisierung sprengt traditionelle Industrie- und Geschäftsmodelle des Sektors, sodass Kosten für Weltraumzugang und -nutzung sinken. Und öffentliche EU-Gelder stehen wegen des Austritts Großbritanniens und neuen Ausgaben für die Migrations- und Flüchtlingspolitik, die Terrorbekämpfung etc. weniger zur Verfügung. Das ist ein Grund, warum die EU-Kommission im Oktober 2016 eine neue Weltraumstrategie für Europa entworfen hatte.
Weltraumpolitik im Sinne von Franz Josef Strauß Europaebene weiterführen
Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, seit 2009 CSU-Abgeordnete im EU-Parlament, führt die Weltraumpolitik im Sinne ihres Vaters auf europäischer Ebene weiter. Sie ist Vorsitzende einer fraktionsübergreifenden, 46-köpfigen Gruppe von EU-Parlamentariern, der „Intergroup Sky and Space“, die sich nicht nur für die europäische Raumfahrt, aber auch für die europäische Luftfahrt einsetzt. Mit ihrer Unterstützung wurde ein gemeinsames Pilot-Projekt zwischen der EU-Kommission und dem europäischen Unternehmensverband Eurospace ins Leben gerufen. Mit dem Projekt sollen neue Ansätze gefunden werden, wie sich die Raumfahrtindustrie in Form von Public-Private- Partnerships (öffentlich-private Zusammenarbeit) an den Kosten der EU-Raumforschungsprogramme beteiligen kann und wie Unternehmen aus nicht weltraumbezogenen Bereichen involviert werden können. Das Projekt wurde auf einer Konferenz in der bayerischen Landesvertretung bei der EU in Brüssel unterzeichnet.
„Wir wollen mehr Public-Private-Partnership“, sagte die polnische EU-Binnenmarkt-Kommissarin Elzbieta Bienkowska auf der Konferenz. Allein im Jahre 2016 seien 1,5 Milliarden aus der EU-Kasse in die Raumfahrt geflossen. „Wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie effizient und kohärent die Mittel eingesetzt werden.“ Man müsse sich auf unternehmerische Geschäftsmodelle fokussieren.
Weltraumaktivitäten seien zunehmend offen für private Investitionen in den Bereichen Satellitenkommunikation, Erdbeobachtung und sogar Startgeräte (also Raketen), heißt es in der 16-seitigen Mitteilung der EU-Kommission zur künftigen europäischen Weltstrategie ab 2020. Der Weltraum sei heute Teil einer globalen Wertschöpfungskette, die zunehmend Unternehmen aus nicht weltraumbezogenen Bereichen anziehe, zum Beispiel IKT-Unternehmer und -Nutzer aus den Sektoren wie Energie und Transport. Das wird in Expertenkreisen „New Space“ genannt. Die alten traditionellen Grenzen des Raumfahrtsektors würden nicht mehr gelten. „New Space“ eröffne neue Möglichkeiten, innovative Produkte, Dienste und Prozesse zugunsten der Industrie aller Mitgliedstaaten zu entwickeln, schaffe neue Kapazitäten und bringe innerhalb und außerhalb des Weltraumsektors einen Mehrwert.
„Wir haben das Geld, aber keine Vision“, sagte der portugiesische EU-Forschungskommissar Carlos Moedas. Die Forschung habe den Draht zu den Bürgern und Politikern verloren. Für die Stärkung der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit müssten im nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen Gelder zur Verfügung gestellt werden. Da geht es dann um den EU-Haushalt für die Jahre nach 2020. Moedas erwähnte die erste Mondlandung von Menschen auf dem Mond im Jahre 1969, die auf Druck des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy (1917 bis 1963) zustande kam und die damals weltweit hohe Aufmerksamkeit in den Medien gewann. „Wir brauchen für die Raumfahrt eine Mission“, so EU-Forschungskommissar Moedas.
Niemand muss mehr zum Mond fliegen
Heute muss allerdings niemand mehr zum Mond fliegen, um die Erde zu beobachten. US-Präsident Donald Trump hat indes eine Vision und will sich lieber den Mars anschauen, als sich mit der Erde zu beschäftigen. Die europäische Raumfahrt indes will nicht an dem Wettlauf zu anderen Himmelskörpern teilnehmen und hat sich darauf besonnen, was das wichtigste kosmische Ziel ist: die Erde.
Die fehlende Akzeptanz für die Raumfahrt in der Politik und bei den Bürgern sieht die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier auch: „Die Raumfahrt ist im Augenblick nicht im Fokus der Politik“, sagte sie im Gespräch mit der Staatszeitung. Alle würden über andere Themen, wie die Finanzkrise, reden. Viele Bürger seien sich nicht bewusst, wie sehr Satelliten Bestandteil ihres täglichen Lebens geworden seien. Zum Beispiel bei der Nutzung von Mobiltelefonen und Fahrzeugnavigationssystemen. Ihre Einsatzmöglichkeiten seien vielfältig. Mit ihrer Hilfe könne man die Luftverschmutzung vor Ort messen, die Landwirte könnten die Daten nutzen für den Einsatz von Düngemitteln, ganz abgesehen von den Vorhersagemöglichkeiten von Wetterkatastrophen. Und dank Galileo, dem Navigationsprogramm, das seit 2016 operativ sei, könne der neue Handystandard 5G 2020 komplett genutzt werden. Die parlamentarische Gruppe „Intergroup Sky and Space“, die sie leitet, suche nach Lösungen, damit künftig genug finanzielle Mittel für das das Satellitennavigationsprogramm Galileo und das Erdbeobachtungsprogramm Kopernikus zur Verfügung stünden. Denn wenn auch alle geplanten Satelliten 2020 wie eine Perlenkette im Orbit um die Erde kreisen, müssten sie in sieben oder acht Jahren durch neue ersetzt werden.
Newcomer aus dem Ausland wagen sich in die bisher geschützte Branche
Jean-Loic Galle, der Präsident des europäischen Verbands der Raumfahrtunternehmen Eurospace und Chef des französischen Raumfahrtunternehmens Tales Alenia Space, warnte vor Konkurrenz aus dem Ausland, denn immer mehr Newcomer aus dem Ausland wagen sich in die bisher geschützte Branche: „Wenn wir nicht innovieren, verschwinden wir. Deshalb brauchen wir die gemeinsame Technologieinitiative, die wir heute unterzeichnet haben“, so der Franzose. Dem 1961 in Paris gegründeten Verband gehören 42 Großunternehmen an, darunter die Airbus Defence and Space in Taufkirchen bei München, die MT Aerospace in Augsburg, die Airbus Safran Launchers ebenfalls in Taufkirchen und die IABG (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH) in Ottobrunn.
Aber die europäische Weltraumpolitik ist teuer. Die EU weist heute den zweitgrößten Haushalt der Welt für die Raumfahrt auf, mit Programmen und Einrichtungen in verschiedenen Ländern. Seit 2014 bis 2020 investiert die EU über zwölf Milliarden Euro in Raumfahrtaktivitäten. Mit 18 Satelliten derzeit in der Umlaufbahn und über 30 geplanten in den nächsten zehn bis 15 Jahren ist die EU der größte institutionelle Investor in Startdiensten. Aber schon fangen Unternehmen wie Amazon an, eigene Satelliten ins All zu schicken. Denn die werden immer kleiner und kostengünstiger.
Galileo ist längst viele Milliarden Euro teurer als ursprünglich veranschlagt
Da ist die Frage berechtigt, ob, koste was es wolle, weiterhin so viele EU-Steuergelder in die Raumfahrt gestopft werden sollen. Galileo ist längst viele Milliarden Euro teurer als ursprünglich veranschlagt. Dass es sich eines Tages einmal, wie geplant, selbst finanzieren kann, ist zu bezweifeln. Die Raumfahrtindustrie, die von den öffentlichen Aufträgen profitiert, weigerte sich bisher, sich an den Betriebskosten zu beteiligen. Ein 2003 von der EU und der Europäischen Weltraumorganisation ESA gegründetes Joint Undertaking (GJU) sollte einen Konzessionär für die Betriebsphase von Galileo in einem offenen, mehrstufigen Ausschreibungsverfahren für die Dauer von 20 Jahren auswählen. Doch ihr Ziel, ein Konzessionskonsortium für Galileo auszuwählen, gelang ihr nicht.
Das mag auch an der komplizierten Struktur der europäischen Weltraumpolitik und den Interessenkonflikten gelegen haben. Denn eine direkte Verbindung zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Weltraumorganisation ESA besteht nicht, die ESA ist nicht die Raumfahrtbehörde der EU. Die ESA ist eine völlig eigenständige Organisation, finanziert von 20 EU-Staaten plus Norwegen und der Schweiz. Ein Grund, warum nicht alle EU-Länder bereit sind, EU-Gelder für die Weltraumprogramme zu opfern.
„Die EU-Mitgliedstaaten wollen die Forschungsfördermittel im nächsten Rahmenforschungsprogramm um 500 Milliarden Euro kürzen“, sagte EU-Forschungskommissar Carlos Moedas auf der Veranstaltung in der bayerischen EU-Vertretung. „Aber ich habe das EU-Parlament auf meiner Seite.“ Da mag er recht haben: „Ich bin mir sicher, dass die Forschungsausgaben nicht gekürzt werden“, sagte die CSU-Europaabgeordnete Hohlmeier der Staatszeitung. Und die hat immerhin 45 EU-Abgeordnete aus elf Ländern und sieben Fraktionen auf ihrer Seite.
(Rainer Lütkehus)
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