Wirtschaft

Geschäftsleiter Wolfgang Haaf steuert mittels Tablet die Kläranlage. Früher kam die Schaltwand zum Einsatz. (Foto: Schweinfurth)

22.01.2016

Pupsende Bakterien machen Strom

Klärwerk des Zweckverbands zur Abwasserbeseitigung im Raum Ochsenfurt gewinnt Ökostrom aus Abwasser

Einen besonderen Beitrag zur Energiewende leistet im unterfränkischen Winterhausen (Landkreis Würzburg) das Klärwerk des Zweckverbands zur Abwasserbeseitigung im Raum Ochsenfurt (AVO). Die Anlage produziert mehr Strom als sie selbst benötigt. 2,6 Gigawattstunden pro Jahr erzeugen die Blockheizkraftwerke und Solarmodule, die zur Kläranlage gehören. Doch die Anlage selbst braucht für den Wasserreinigungsprozess nur 1,6 Gigawattstunden. „Rund eine Gigawattstunde speisen wir ins öffentliche Stromnetz ein“, erklärt Wolfgang Haaf, Geschäftsleiter des AVO, der Staatszeitung. Damit können etwa 350 Familien im Jahr mit Strom versorgt werden.

Möglich wurde dies durch eine intelligente Steuerung der Modernisierung der Kläranlage, die aus dem Jahr 1986 stammt. Bei einer Werksführung verdeutlichte Haaf, der seit über 30 Jahren für die Anlage verantwortlich ist und im Laufe des Jahres in den Ruhestand geht, dass durch kontinuierliche Modernisierungsmaßnahmen das Klärwerk immer auf der Höhe der Zeit geblieben ist.

Eine besondere Herausforderung

Haaf weiß, dass die Modernisierung von Kläranlagen eine besondere Herausforderung ist. Denn längere Stillstände sind meist nicht möglich. Rein bauliche oder klärtechnische Erneuerungsmaßnahmen bedürfen präziser Planung und Partner mit viel Erfahrung. „Diesen Partner haben wir seit Jahrzehnten mit der Firma Siemens“, betont Haaf. Und Franz-Josef Sauer, Abwicklungsmanager im Kundenservice bei Siemens in Würzburg, unterstreicht: „Wir wollen mit unseren Kunden gemeinsam die beste und wirtschaftlichste Lösung entwickeln und realisieren.“ Das ist ganz besonders wichtig, da Investitionen der öffentlichen Hand eine möglichst lange Lebensdauer ohne weitere Verbesserungsbeiträge haben sollten. Haaf verdeutlicht dies anhand des Haushalts des AVO: „Der Verband hat ein Haushaltsvolumen von drei bis fünf Millionen Euro im Jahr. Wir waren stets bestrebt, einen Teil davon in die Modernisierung der Maschinen und Elektrotechnik zu investieren.“ Das ist gelungen: Winterhausen gilt in seiner Klasse als Musteranlage, die mittlerweile eine Energieabdeckung von 130 bis 190 Prozent erreicht. „Wir haben in den letzten Jahren konsequent den Wandel vom Klärwerk zum Klärkraftwerk vollzogen“, so Haaf.

Klärgas spielt zentrale Rolle

Eine zentrale Rolle hierbei spielt das Klärgas, das in den beiden Faultürmen entsteht. Es wird als Biogas zur Befeuerung der Blockheizkraftwerke (BHKWs) eingesetzt. Diese BHKWs wiederum liefern den Strom für sämtliche Klärprozesse. Außerdem verwendet man in der Kläranlage in Winterhausen das Biogas auch noch, um die Gebäude zu beheizen. Die Solarmodule auf den Dächern sorgen für die solarthermische Klärschlammtrocknung. Allein durch den höheren Trocknungsgrad des Klärschlamms kann Haaf mit seinem Team jährlich 100 000 Euro einsparen. Weitere Bausteine für den wirtschaftlichen Betrieb der Anlage sind eine umsichtige Kanalnetzsteuerung und ein echtes Energiemanagement. Das Einzugsgebiet des AVO erstreckt sich über mehr als 200 Quadratkilometer. Die Schnittstelle zwischen den einzelnen Ortsnetzen und dem AVO bilden die Mischwasserbehandlungsanlagen. Knapp zwei Dutzend Regenüberlaufbecken, neun Stauraumkanäle, vier Pumpstationen und rund 50 Kilometer Kanalnetz werden mittels Fernwirktechnik zentral vom Klärwerk aus gesteuert und überwacht. Dank Regenwassersensoren, Überwachung der CBS-Werte (Chemischer Sauerstoffbedarf) und Füllstandsmessern, der Daten per Fernleitung oder GPRS übertragen werden, kann man das anfallende Regenwasser optimal der Anlage zuführen.

Gleichmäßig den Schmutz verteilen

„Optimal heißt bei uns möglichst gleichmäßig hinsichtlich Menge und Schmutzfracht“, so Haaf. Diese gleichmäßige Fahrweise, gepaart mit den Prozess- und Archivwerten, die vom Bedien- und Überwachungssystem Simatic WinCC von Siemens zur Verfügung gestellt werden, plus die Erfahrung der Klärmeister ermöglichen eine effiziente Abwasserbehandlung – auch hinsichtlich der Energie. Die Anlage in Winterhausen hat mit dem international tätigen Molkereiproduktehersteller Danone im benachbarten Gosmannsdorf einen Sondereinleiter mit stark biomassehaltigen Abwässern, der spezielle Berücksichtigung erfährt. „Das Abwasser wird dort in einen stark belasteten Anteil und in normal verschmutztes Abwasser aufgeteilt. Auf den Sonderabwassertank haben wir Fernzugriff und können diesen nach Bedarf entleeren. Diese Lösung haben wir mit Hilfe von Siemens umsetzen können“, so Haaf. Das ist wichtig, denn die Abwässer des Joghurtherstellers machen etwa 50 Prozent der Belastung der Kläranlage aus.

Dank der strategisch ausgebauten eigenen Stromerzeugung und diverser, präzise geplanter Modernisierungs- und Optimierungsmaßnahmen, die eine jährliche Gesamteinsparungen von rund 200.000 Euro erzielen, hat sich die Kläranlage in Winterhausen zu einer Musteranlage für effiziente Abwasseraufbereitung entwickelt. Auch die Stadt Wien will jetzt diesen Weg gehen. Die Hauptkläranlage Wien wird mit Siemens zum Ökokraftwerk. Ab 2020 soll die Anlage in Simmering durch die Nutzung von Klärgas die zur Abwasserreinigung benötigte Energie selbst erzeugen. Das Auftragsvolumen für die Leit-, Mess-, Analyse- und Schaltanlagentechnik sowie Niederspannungs- und Mittelspannungsschaltanlagen inklusive der Montage und Inbetriebnahme der Systeme beläuft sich für Siemens auf rund 24 Millionen Euro. Der Stadt Wien sollen durch diese Maßnahme jährlich rund 40.000 Tonnen CO2 erspart werden.
(Ralph Schweinfurth)

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