Wirtschaft

Die 16 000 Kilo schwere und 11 Meter hohe Orgelskulptur in der Klosterkirche in Alpirsbach wurde mittels Luftkissen 15 Meter weit geschoben. (Foto: Katrin Glauner)

14.01.2011

Tonnenschweres federleicht bewegen

Nürnberger Spezialunternehmen manövriert extreme Lasten mittels Luftkissen

Der Weg des Herrn ist oft unergründlich, doch der seiner Orgel fundamentiert, völlig plan und exakt 15 Meter lang. Das ist die Strecke, die die 16 000 Kilo schwere und 11 Meter hohe Orgelskulptur in der Klosterkirche in Alpirsbach im Landkreis Freudenstadt in Baden-Württemberg auf ihren Konzertplatz geschoben und gedreht wird. Auf einem Luftkissen der Nürnberger Spezialfirma DeLu GmbH: federleicht, mit Pfarrers Hand und deshalb, damit ihre Töne leichthin schweben. Die Orgelmobilität ist eine der besseren Akustik geschuldete Maßnahme und ein einzigartiges Projekt. Üblicherweise bewegt das Unternehmen DeLu in aller Welt jedoch technische Lasten: etwa Flugzeugrümpfe, Lokomotiven, Militärgerät, Weltallteleskope, Trafos.

Tragfähigkeit von
bis zu 40 Tonnen


Was die Hochleistung bei der Bewegung eines sagenhafte 4000 Tonnen schweren Schmelzofens ausmacht, ist wie so oft das, was am wenigsten sichtbar ist: Ein solcher Kessel – um ihn als Beispiel für die Firmenhistorie heranzuziehen – liegt auf einem flexiblen, computergesteuerten Gleittransportschlitten. Untendrunter: wagenradgroße Luftkissen. Jedes mit einer Tragfähigkeit von bis zu 40 Tonnen. Mit einem Abstand von nur wenigen Hundertstel Millimetern zum Erdboden und einem Reibungskoeffizienten von 0,001 gleitet der Riesenkessel erschütterungsfrei über den Fabrikhallenboden in Shanghai. Sein Verschieben, ist das Ungetüm erst einmal in Bewegung, dauert nur 30 Minuten –, und das chinesische Industrieunternehmen sparte sich (nach DeLu-Angaben) 90 Tage à 800 000 Euro herkömmliche Umbau- und Produktionsausfallkosten. Ein Kinderspiel ist das allerdings nicht: Fluidkissen, der ihnen verbundene Transporter- und Fahrbühnenbau, Antriebsaggregate, die Fußbodenvoraussetzungen, Explosionsschutz und die Bremssicherheits-Standards sehen für den Laien leicht aus, sind aber im Zusammenspiel Ingenieurs-Kunst.
Wer sich mit dieser Wissenschaft auskennt, mehr noch: sie mit begründete, ist der preisgekrönte Ingenieur Hartwig Michels (69). Der einstige Forschungsabteilungs-Leiter aus Temeschburg folgte seinem Vater  Josef Michels in seiner Begeisterung für Technik. Hartwig Michels ist heute Hauptgeschäftsführer der DeLu Luftkissen Transportgerätetechnik GmbH. Er hält derzeit rund 60 Patente und geschützte Gebrauchsmuster, durfte seiner Zeit schon damals als „weit voraus“ gelten. Der promovierte Vater zweier Töchter fasst die Leistung, zum Beispiel jene in Shanghai, zusammen: „Das Beeindruckende an Luftkissen ist eine im wahrsten Sinne nahezu reibungslose Kinetik, die mit anderen innerbetrieblichen Transporttechniken nicht zu erreichen ist. Wer ein Mal bestaunt hat, wie man einen solchen Stahlkoloss, wie den in Shanghai, in nur 30 Minuten von der Stelle bewegt, weiß, was ich meine. Da kriegt man Gänsehaut.“
Bis es so weit war, galt es die autonome Fluidkissen-, also auch die adäquate Auftriebs- und Steuerungstechnik aus den Kinderschuhen zu heben: Der gelernte Eisendreher und Schlosser kam mit seiner Familie aus dem Banat auf abenteuerlichen Wegen durch den damaligen Eisernen Vorhang nach Österreich, später nach Nürnberg. Dort begann er – die zweite Generation der Ingenieurs-Familie – zunächst an so genannten Metallluft- und später Multifluidkissen zu forschen; er veröffentlichte angesehene Facharbeiten. Kurz: Michels (51 Prozent Firmenanteil) entwickelte sich binnen Jahren zum gefragten Fachmann für revolutionäre Luftkissentransporter und gründete 1983 mit seinem Geschäftspartner und früheren Schulfreund Knut Klingler (49 Prozent) die DeLu GmbH. Es gibt nach eigenen Angaben weltweit nur zwei Unternehmen, die sich mit der Firma messen können; von diesen unterscheide sich sein Unternehmen dadurch, sagt Michels, „dass nur wir die Fluidtransportmittel so eng und kompakt, also wendig und günstig konstruieren können.“
So liefert DeLu heute über 80 verschiedene Luftkissentypen und -größen im Lastbereich von 0,2 bis zu 80 Tonnen. Seit mehr als 30 Jahren – und mit geleitet heute von der dritten Familiengeneration – befassen sich die 50 Mitarbeiter mit Forschung, Entwicklung, Lösungen und dem Bau von Fluidkissen aller Art (die übrigens aus gummierten Polyethylen-Stoffen bestehen und per Handarbeit hergestellt werden). Sie entwickeln Steuerungs- und Antriebsmöglichkeiten, innovative Produkte und Gesamtlösungen für schwierige Aufgaben aller technischen Branchen. Das spare, rechnet der Geschäftsführer vor, Transportaufwand, senke den Lager- und Flächenbedarf und steigere die Produktivität. Fließbänder für die Frachten seien nicht mehr nötig, auch keine Krane.

Die Hälfte des Umsatzes wird in Asien erzielt


Zu den meist einmaligen Sonderanfertigungen für Fabriken, Flughäfen, Lager oder Montage-stätten zählen zum Beispiel Flurfördersysteme, fahrerlose Transportsysteme für mehr als 1000 Tonnen Last. Aber auch Hebezeuge, Gabelstapler, Arbeitsbühnen, Montagevorrichtungen, Drehscheiben, Coilhandhabungsgeräte und Werkzeugwechselsysteme. „Viele der von DeLu weltweit – in letzter Zeit vermehrt in China und Indien – ausgestatteten Werke gelten als die flexibelsten“, ist Michels stolz. DeLu floriert, erzielt derzeit rund die Hälfte des Umsatzes in Asien – und überholte rund 30 andere Firmen, die in den 50er bis 70er Jahren mit Luftkissentechnik ein Geschäft machen wollten.
Der Lohn: Heute kann das Nürnberger Unternehmen internationale Kunden u.a. aus Energiewirtschaft, Luft-, Bahn-, Bus-, Schiff-, Container- und Fahrzeugbau als Referenz nennen. Kaum ein tonnenschwerer Gegenstand, der nicht verschoben werden könnte. Kaum ein bekannter Unternehmensname, der hier nicht auftaucht – auch der einer Kirche in Alpirsbach. Deren wertvolle Orgel auf einem Luftfilm nanometergeprüft 15 Meter weit dahin gleitet. Auf dass auch die Musik für alle vernehmbar durch den Konzertraum schwebe.
(Thomas Lappe)
www.delu-gmbh.de

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