BSZ: Frau Stolz, auch Ihre politischen Gegner loben Ihr Engagement. Doch Fleiß und Talent allein waren bei den Freien Wählern für Frauen bislang nicht unbedingt der Garant für eine politischen Karriere. Gewinnen Frauen in der von Männern dominierten Partei nun an Einfluss?
Anna Stolz: In unserer Partei zählt die Kompetenz. Mir ist es aber natürlich ein großes Anliegen, mehr Frauen in die Politik zu bringen. Es würde mich freuen, wenn ich für die eine oder andere junge Frau vielleicht sogar ein Vorbild sein kann. Ich will zeigen, dass man etwas bewegen und gestalten kann und dass es Spaß macht, in die Politik zu gehen. Genauso möchte ich aber auch mehr Männer motivieren, in Berufen zu arbeiten, die bislang von Frauen dominiert werden – wie etwa dem des Grundschullehrers.
BSZ: Kommen wir zu Ihrem neuen Job. Bei Google kommt Ihr Ministerium nur auf 1,2 Sterne von 5 Sternen. Selbst Finanzämter schneiden besser ab. Ihre Erklärung?
Stolz: Natürlich ist es mir ein großes Anliegen, dass unsere Schülerinnen und Schüler gerne zur Schule gehen und sich dort wohlfühlen. Ein Schlüssel wird sein, dass wir über Bildung und die damit zusammenhängenden Zukunftsfragen offen und kontrovers diskutieren. Alle Akteure der Schulfamilie müssen eng eingebunden werden – und das auf Augenhöhe. Dafür will ich ein neues Format etablieren, sogenannte Zukunftswerkstätten, in denen ich vor Ort mit den Menschen über Herausforderungen und Chancen spreche und zugleich auch für mehr Verständnis für die Schulen werbe.
BSZ: Stichwort Herausforderungen. Ihr Vorgänger hat Ihnen zahlreiche Baustellen hinterlassen: Lehrkräftemangel, Ärger bei der Digitalisierung sowie Probleme bei Integration und Inklusion. Was packen Sie zuerst an?
Stolz: Mein oberstes Ziel ist es, Kinder stark zu machen. Jedes Kind ist anders, jedes Kind ist besonders. Ich möchte jedes Mädchen und jeden Jungen in ihren oder seinen unterschiedlichen Talenten individuell fördern, damit sie die Schule als selbstbewusste junge Persönlichkeiten verlassen. Dazu braucht es starke Lehrkräfte und das in ausreichender Zahl. Das Thema Personalversorgung steht deshalb ganz oben auf meiner Agenda.
BSZ: Sie wollen bis 2028 gut 6000 zusätzliche Lehrkräfte- und 3000 weitere Stellen schaffen. Wo sollen die herkommen?
Stolz: Die Personalversorgung wird eines der ganz entscheidenden Themen der nächsten Jahre sein. Wir haben bereits jetzt zu wenig Lehrkräfte, zudem nehmen die Aufgaben und Herausforderungen stetig zu. Die von Ihnen genannten 9000 Stellen sind im Koalitionsvertrag verankert, und wir wollen diese Stellen zügig schaffen. Auf der Suche nach den dafür nötigen Personen helfen die Maßnahmen aus der letzten Legislaturperiode, die nun wirken. Ein Beispiel hierfür ist die Schaffung von vielen zusätzlichen Studienplätzen für das Lehramt, etwa durch fünf neue Lehrstühle für das Lehramt Sonderpädagogik, die wir eingerichtet haben.
BSZ: Genügt das?
Stolz: Zudem wollen wir den Lehramtsberuf noch attraktiver gestalten: Bei der Bezahlung der Grund- und Mittelschullehrkräfte setzen wir nun endlich die höhere Bezahlung nach A13 um. Außerdem wollen wir die Pädagogen von Verwaltungsaufgaben entlasten, damit sie mehr Zeit für das einzelne Kind haben. Deshalb werden wir mehr Verwaltungsfachangestellte und Schulassistenten einstellen. Wir entbürokratisieren und digitalisieren. Und das vielleicht Wichtigste: Mit einer großen Kampagne wollen wir noch mehr junge Menschen für eine Lehramtslaufbahn gewinnen. Es muss wieder klar werden: Lehrer oder Lehrerin ist ein großartiger und wunderschöner Beruf.
BSZ: Prognosen gehen davon aus, dass anders als an manchen anderen Schulzweigen sich der Lehrkräftemangel in Mittelschulen in den kommenden Jahren verschärft. Sind weiterführende Schulen wichtiger als der Rest der Schulfamilie?
Stolz: Auf keinen Fall. Wir brauchen alle Schularten! Wir benötigen in Bayern Akademiker genauso wie Handwerker oder Erzieherinnen. Wir brauchen Master und Meister. Ich bin aus tiefer Überzeugung eine große Fürsprecherin der Mittelschule. Sie ist unsere Talentschmiede für das Handwerk und soziale Berufe und verdient viel mehr gesellschaftliche Wertschätzung. Deshalb wollen wir sie weiter stärken. Ein wichtiger Baustein hierfür ist die gleiche Bezahlung bei der Einstiegsbesoldung, die noch in dieser Legislaturperiode kommt.
BSZ: Bislang ist der bayerische Sonderweg der Inklusion für viele Kinder eine Sackgasse. Die meisten Buben und Mädchen mit Beeinträchtigung besuchen Förderschulen. Gut drei von vier verlassen diese ohne anerkannten Abschluss.
Stolz: Inklusion liegt mir sehr am Herzen. Jedes Kind ist besonders und bedarf einer anderen Förderung. Deshalb orientiere ich mich hier immer und ausschließlich am Wohl des einzelnen Kindes. Für das eine Kind ist die Förderschule die bessere Schule, für das andere die Regelschule. An den Förderschulen wird eine ganz tolle Arbeit geleistet. Wir wollen aber auch die Inklusion an den Regelschulen weiter ausbauen. Dafür braucht es mehr Ressourcen, weshalb wir weitere Stellen an den Regelschulen schaffen werden. Auch in der Lehrkräfteausbildung muss Inklusion stärker verankert werden und auch die inklusiven Regionen werden wir weiter ausbauen. Mein Ziel ist es, dass irgendwann ganz Bayern eine inklusive Region ist.
BSZ: Einer Studie zufolge hat fast jedes vierte autistische Kind schon einmal länger als einen Monat in der Schule gefehlt. Fehlen Schulbegleiter*innen, müssen sie, auch, weil an Regelschulen Sonderpädagog*innen fehlen, zu Hause bleiben. Wann ändert sich das?
Stolz: Ein ganz wichtiger Baustein wird sicherlich die Einrichtung von fünf zusätzlichen Lehrstühlen für Sonderpädagogik an drei Standorten sein. Naturgemäß nimmt es etwas Zeit in Anspruch, bis die Ausbildung beendet ist und die Kräfte an den Schulen ankommen. Das werden wir eng beobachten und unsere Anstrengungen in diesem Bereich noch weiter verstärken.
BSZ: Nicht nur beeinträchtigte Kinder kommen mitunter in unserem Schulsystem unter die Räder. Ausländische Kinder verlassen die Schule im Freistaat bis zu fünfmal häufiger ohne Abschluss.
Stolz: Mein Ziel ist es, alle Kinder gleich und bestmöglich nach ihren individuellen Talenten zu fördern. Dazu gehört auch eine möglichst frühzeitige Förderung. Alle Kinder müssen ihren Platz in der Gesellschaft finden. Dafür haben wir zahlreiche Maßnahmen, etwa in der beruflichen Bildung, geschaffen. So erhalten Jugendliche in Bayern, die nicht gleich einen Ausbildungsplatz bekommen, gezielte und individuelle Förderung, um besser auf den Arbeitsmarkt gelangen zu können.
BSZ: Viele Neueinstellungen verpuffen angesichts der immensen Zahl an Flüchtlingskindern insbesondere aus der Ukraine. Fühlen Sie sich vom Bund im Stich gelassen?
Stolz: Es ist unsere humanitäre Pflicht, Menschen zu helfen, die aufgrund eines Krieges zu uns kommen. Ich bin der Schulfamilie sehr dankbar, dass sie innerhalb kürzester Zeit 33 000 Kindern und Jugendlichen, die Schreckliches durchmachen mussten, eine schulische Heimat geben konnte. Das war sicherlich auch ein Kraftakt. Wir werden nun überlegen, wie wir in den nächsten Jahren fortfahren werden. Mein Ziel ist es, die Aufgaben auf viele Schultern zu verteilen und auch weiterhin alle Schularten miteinzubeziehen.
BSZ: Würden Sie, wenn Sie Kinder hätten, diese auf eine staatliche oder eine private Schule schicken?
Stolz: Sowohl private als auch staatliche Schulen gehören in Bayern fest zur Bildungslandschaft. Ich würde mein Kind auf die Schule schicken, auf der es am besten gefördert wird. Das hängt von den jeweiligen Talenten des Kindes ab, weshalb ich diese Frage nicht pauschal beantworten kann. Aber für jedes Kind findet sich in Bayern ein passendes Angebot. (Interview: Tobias Lill)
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