Im „Neuen Geschichtsboden“ in Vatersdorf bei Buch am Erlbach im Landkreis Landshut ist bis zum 6. Juni die Ausstellung „Bayern. Gebaute Moderne“ zu sehen. Diese Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt der Architekturhistorikerin Kaija Voss, dem Fotografen Jean Molitor sowie der Kuratorin und Museumsleiterin Stefanje Weinmayr und findet in Kooperation mit dem Landshuter Verein „architektur und kunst“ statt. In den großzügigen Fotografien Molitors breitet sich im Ausstellungsraum sehr schnell der Sog des Charmes von Gebäuden aus, die sich an der Schnittstelle zwischen Architektur sowie Leben bewegen und einen Baustil ins Zentrum stellen, der so nicht unbedingt allen bekannt ist, die Bayerische Postbauschule, die zwischen den beiden Weltkriegen stilprägend war.
Die Postbauschule war im Kern eine Art Trostpflaster. „Es gab nach dem Ersten Weltkrieg den Poststaatsvertrag, der regelte, dass der Postvertrieb aus Landeshand in Reichshand überging. Das hat den Bayern nicht gepasst“, sagt Voss. Deshalb hat es als eine Art Ersatz eine eigene Bauabteilung in München gegeben: die Abteilung VI. „Das war keine reguläre Schule“, so Voss, „aber daraus entwickelte sich schnell eine sehr stilbildende, inspirierende Einrichtung.“ In dieser sogenannten Postbauschule sammelten sich unter der Leitung von Robert Vorhoelzer und Robert Poeverlein junge bayerische Architekten, die über 350 Bauten in Bayern realisierten. Ein großes Netzwerk ergab sich, über 175 Architekten waren beteiligt, die diesen modernen Stil dann für andere Bauten mitnahmen. Zu den Protagonisten gehörten unter anderem Thomas Wechs, Hanna Löv, Hans Schnetzer und Gustav Gsaenger.
Die Kreativität erstreckte sich auf mehrere Ebenen: Die Abteilung VI soll ganz clever darin gewesen sein, sich Bauten über die kommunalen Gremien hinweg von Berlin aus genehmigen zu lassen. Es ging um Wohn-, Verwaltungs- und Logistikbauten. Von 1928 bis 1931 baute Georg Kohl das Telegrafenamt in Nürnberg, ungefähr zeitgleich entstand die Coburger Hauptpost von Robert Simm, Mitte der 1920er-Jahre errichteten Vorhoelzer und Walter Schmidt das Münchner Paketzustellamt, 1930 bis 1933 planten und bauten dann Vorhoelzer und Hans Schnetzer die Post am Harras. Wie sich hier die geometrischen Formen kreuzen und liebevoll begegnen, wie durch Glas und Licht Offenheit erzeugt wird, wie ein Rondell in den Raum hineinleckt, ist in der Tat famos.
Die Postbauschule steht also im Zentrum der ruhigen, kontemplativen Fotoausstellung in Vatersdorf, auch das Bauhaus kommt vor mit Walter Gropius’ Rosenthal-Glaswerk in Amberg und dessen Porzellanfabrik in Selb. Dazu zeigt sich auf einem Tisch der Ausstellung, der bewusst viele analoge Informationen zum Mitnehmen bereithält, dass Gropius für Rosenthal auch einen – wenn auch nicht verwirklichten – Schweinestall geplant hat: die Offenheit des Großen für Kleines.
Grundsätzlich hat die Ausstellung vier Bereiche. Es geht um den Weg in die Moderne und die Idee der Reform des Bauens, um den Wohnbau und Wohnmodelle, um besagte Bayerische Postbauschule und um die Nachkriegsmoderne.
Wohnungsbau ist Architektur für den Alltag – begrüßt wird man demzufolge in der Ausstellung von einem großflächigen Foto mit dem Augsburger Lessinghof. Dieser Wohnbau „erzeugt Nähe und Netzwerke“, sagt Voss. „In der Ausstellung können wir zeigen, wie viel Wert da gelegt wurde auf lebenswerte Wohnanlagen und Wohnhöfe, die Umgebung mitgedacht wurde. Neuhausen, Neu-Ramersdorf in München und der Lessinghof in Augsburg sind da Beispiele.“
Aber nicht nur Wohn- und Postbauten spielen eine Rolle. Zu sehen gibt es auch Kirchen, Sozialeinrichtungen und Verwaltungsbauten wie den „Himbeerpalast“ von Siemens in Erlangen, das Bürogebäude von Witt in Weiden und das Karl-Bröger-Haus der Sozialdemokraten in Nürnberg, das sich allen Bahnreisenden unweigerlich vors Angesicht schiebt. Und selbst so kleine, feine Selbstdarsteller wie jene elegante (ehemalige) Tankstelle an der Tölzer Straße in Benediktbeuern aus dem Jahr 1955 sind mit dabei.
Die Abteilung VI wurde 1934 abgeschafft. Die Zeit des Nationalsozialismus bedeutete auch das Ende vom Bauhaus. Viele sind emigriert, sagt Voss. Aber: „Dieser Geist war noch da, der hat überlebt.“ Das beweist nicht nur besagte Tankstelle, sondern auch allerlei andere beeindruckende Beispiele für modernes Bauen in der Nachkriegszeit, wie sie Molitor permanent auf der Reise durch den Freistaat dokumentiert hat, wie etwa die lichttrunkene Aula der Akademie der Bildenden Künste von Sepp Ruf (1954) und das Maxwehr in Landshut mit seinen großen Glasbausteinwänden, der großen geschlossene Form des Halbrunds, dem flachen Dach, dem kastigen, modernen Baukörper. Traditionen aus der Postbauschulenzeit, die der Architekt Franz Hart beim Bau des Flusswehrs 1955 wieder aufnahm.
Dass derlei Dokumentationen durchaus sinnvoll sind, beweist der Umstand, dass den Gebäuden der Moderne in Bayern nicht überall mit Gnade begegnet wird. In der Ausstellung sind zwei Häuser zu sehen, die unlängst abgerissen wurden. Das war das Verstärkeramt und das Ferienheim von Emil Freymuth, beides in Kochel. Dieses Ferienheim für Arbeiter, Beamte und Angestellte aus dem Jahr 1930 hat sich auf sanfte Art an die Landschaft angeschmiegt. Mit seinem Halbrund und den gastfreundlichen, den Beschauer regelrecht herbeiwinkenden geflügelten Fenstern begann die Erholung eigentlich schon mit dem Ankommen und Anschauen. „Ich hatte sehr gekämpft um die Gebäude“, sagt Voss. „Da sind wir dann froh, dass wir wenigstens die Bilder haben. Der Schutz dieser Gebäude ist manchmal ein Wettlauf mit der Zeit.“ (Christian Muggenthaler)
Die Ausstellung „Bayern. Gebaute Moderne“ in Vatersdorf geht noch bis zum 6. Juni 2022.
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung (info@geschichtsboden.de).
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