Kommunales

Der Fachkräftemangel stellt auch den Bereich der Kindertagesbetreuung vor große Herausforderungen. (Foto: dpa/Jens Kalaene)

22.08.2024

Erzieherinnen in Not

Die psychische Belastung des Personals in Kindertagesstätten nimmt seit Jahren zu – auch in Bayern

Das Personal von Kindertagesstätten ist weit häufiger krank als andere Angestellte. Eine Ursache dafür sind die schlechten Arbeitsbedingungen. Der Freistaat versucht gegenzusteuern.

Marie S. (Name geändert) hat ihren Beruf mit Herzblut ausgeübt. Rund vier Jahrzehnte hat die heute 66-jährige Erzieherin in einer Münchner Krippe und zuletzt in einem Hort gearbeitet. „Im Vergleich zu früher ist die Arbeitsbelastung in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden“, sagt die Oberbayerin, die seit zwei Jahren im Ruhestand ist. Vor allem der Verwaltungsaufwand habe zugenommen. „Da müssen Pläne über die Beschäftigungen der Kinder oder Entwicklungsprotokolle geschrieben werden – und das macht man dann in seiner Mittagspause“, so Marie S. im Gespräch mit der BSZ.

Zudem seien manche Kinder und vor allem die Eltern „schwieriger geworden“. Nicht jeder kommt mit dem hohen Stresslevel in Kitas und Horten dauerhaft zurecht. Einmal habe sie es erlebt, dass eine Kollegin wegen des Arbeitsdrucks und aufgrund der privaten Situation sogar für längere Zeit krank geworden sei.

Burnout ist keine Seltenheit

Krankheiten aufgrund von Stress, bis hin zu Burnout – bei Erzieher*innen offenbar keine Seltenheit. Das belegt nun auch eine Analyse der Bertelsmann Stiftung. Kita-Personal fällt der Erhebung zufolge bundesweit deutlich häufiger wegen Krankheit aus als andere Berufstätige – auch in Bayern. So waren Beschäftigte in der Kinderbetreuung 2023 im Freistaat im Schnitt an rund 24 Tagen arbeitsunfähig – alle Berufsgruppen zusammen durchschnittlich an knapp 18 Tagen. Das teilten die Bertelsmann Stiftung und das Fachkräfte-Forum, in dem Fach- und Leitungskräfte der Branche organisiert sind, in dieser Woche mit.

Deutschlandweit fielen die Fehlzeiten der Stiftung zufolge sogar noch deutlich höher aus: Hier kommt Kita-Personal auf knapp 30 Fehltage im Jahr – im Vergleich zu 20 Tagen bei allen Berufsgruppen. Die Stiftung, die auch das Fachkräfte-Forum berät, stützt sich bei ihrer Auswertung im Wesentlichen auf Daten der DAK-Krankenkasse, bei der 12,2 Prozent der Beschäftigten in der Kinderbetreuung versichert seien. Auch der Stiftung vorliegende Zahlen anderer Krankenkassen bestätigen den Trend. Zudem seien Ausfallzeiten von Erzieher*innen mit einem Plus von 26 Prozent bei den Krankheitstagen zwischen 2021 und 2023 stark angestiegen – vor allem auch aufgrund psychischer Belastungen.

Viele Atemwegsinfekte

Wie die Stiftung wiederum unter Verweis auf Zahlen der Techniker Krankenkasse berichtet, waren Atemwegsinfekte der häufigste Grund für eine Krankschreibung, gefolgt von psychischen Erkrankungen. Um die Ausfallzeiten, die durch Krankheit, Urlaub und Fortbildungen anfallen, aufzufangen, bräuchte es laut Stiftung bundesweit knapp 97 000 vollzeitbeschäftigte Fachkräfte zusätzlich. Kostenpunkt: 5,8 Milliarden Euro jährlich.

Ein zentraler Grund für die hohen Krankenstände im pädagogischen Bereich ist der massive Personalmangel in vielen Einrichtungen. Wie schlimm es um die Betreuung der Kleinen im Freistaat bestellt ist, zeigte bereits eine andere Umfrage im Mai: Demnach haben 94 Prozent der Befragten nach eigener Wahrnehmung im vergangenen Jahr mit zu wenig Personal gearbeitet. Fast ein Fünftel gab bei der DKLK-Studie 2023 an, dass ein Großteil des Jahres noch nicht einmal eine Minimalbesetzung vorhanden war. Neun von zehn Leitungen einer bayerischen Kinderkrippe gab an, dass das Verhältnis von Fachkräften zu Kindern unter der offiziellen Empfehlung liege.

Auch das Fachkräfte-Forum nennt die Personalsituation in den Kitas dramatisch. Es fehle vielerorts an geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern sowie an einer angemessenen Finanzierung qualifizierter Vertretungskräfte. Die hohen Krankenstände müssten durch die Teams ausgeglichen werden, die Fachkräfte könnten sich nicht mehr fortbilden und seien psychisch immer stärker belastet oder verließen das Berufsfeld gleich ganz. Das Fachkräfte-Forum fordert eine gesetzlich verankerte und bundesweit standardisierte Finanzierung für Vertretungen durch qualifiziertes Personal für alle Ausfallzeiten. Bisher fehle eine verlässliche Regelung in vielen Bundesländern.

Elke Hahn, Geschäftsführerin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sagt der BSZ: „Wir wundern uns nicht über die Ergebnisse.“ Seit Jahren sei der Personalschlüssel schlecht. „Die Staatsregierung muss in den Kita-Bereich und die Sozialpädagogik investieren, um den Missstand zu beheben.“

Das bayerische Sozialministerium betont auf Anfrage, dass die Werte der Bertelsmann-Studie im Freistaat besser seien als im Bundesdurchschnitt. „Die Differenz zwischen allen Berufsgruppen und der Berufsgruppe Kita bleibt in Bayern mit rund sechs Arbeitsunfähigkeitstagen seit 2020 weitgehend konstant. Im Vergleich zum Vorjahr 2022, das bundesweit einen Höchststand aufwies, ist die Zahl der AU-Tage wieder klar zurückgegangen.“ Allerdings sei unabhängig von der Bertelsmann-Studie klar, „dass der aktuelle bundesweite und branchenübergreifende Fachkräftemangel auch den Bereich der Kindertagesbetreuung vor große Herausforderungen stellt“.

Die Gewinnung neuer Fachkräfte und die langfristige Bindung des Personals sei allerdings „vor allem Aufgaben der Arbeitgeber beziehungsweise Träger und der für die Kinderbetreuung zuständigen Kommunen“, heißt es seitens des Sozialministeriums. Die Staatsregierung unterstütze die Kommunen und freien Träger mit zahlreichen Maßnahmen wie einer eigenen Fachkräfteoffensive.

Mehr Fachkräfte

Die Zahl der Beschäftigten in den Kitas stieg nach Angaben des Ministeriums zwischen 2011 und 2023 von rund 64 000 um 86 Prozent auf über 118 000. Auch die Zahl der Fachkräfte nahm laut Ministerium von rund 34 500 Fachkräften im Jahr 2011 auf über 61 000 im vergangenen Jahr zu. „Der massive Zuwachs an Fachkräften zeigt, dass der Ausbau bei hoher Qualität erfolgt“, so eine Sprecherin. Die Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung habe „in dieser Legislaturperiode hohe Priorität“. Aus dem Ministerium heißt es: „Neben einer Verdoppelung der sogenannten Teamkräfte wie Hauswirtschafts- und Verwaltungskräfte zur Entlastung des pädagogischen Stammpersonals wurde im Koalitionsvertrag eine Weiterentwicklung der Kita-Finanzierung vereinbart.“

GEW-Frau Hahn sieht neben dem Land auch Bund und Kommunen in der Pflicht: Erziehr*innen müssten dringend besser bezahlt werden. Und auch für Marie S. ist klar: „Erzieher werden, wenn man ihre lange Ausbildungszeit und die Verantwortung sieht, unterbezahlt.“ Doch die Oberbayerin sagt auch: „Die Arbeit mit den Kindern gibt einem viel. Ich würde den Beruf wieder ergreifen.“
(Tobias Lill)

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