Kommunales

Balanciert nicht nur über dem Wasser: Bayerns Finanz- und Heimatminister Albert Füracker sorgt auch für das nötige Gleichgewicht zwischen Stadt und Land. (Foto: Staatsministerium der Finanzen und für Heimat)

16.08.2024

"Es ist eben eine Frage der Sichtweise"

Bayerns Finanz- und Heimatminister Albert Füracker (CSU) über gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land, Behördenverlagerung und Tourismus

Die von der bayerischen Staatsregierung angestrebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land führt regelmäßig zu Diskussionen und Streit. Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es eigentlich, um diese Gleichwertigkeit zu erreichen?

BSZ: Herr Füracker, wie steht es um die gleichwertigen Lebensverhältnisse in Bayern?
Albert Füracker: Gut! Gleichwertigkeit bedeutet ja nicht Gleichartigkeit. Am Land gibt es keine Staatsoper und keine U-Bahn. Dafür aber viel mehr Gemeinschaftsgefühl, echte Nachbarschaft, Traditionen und die Lebenshaltungs- und Wohnkosten sind deutlich niedriger. Es ist eben auch eine Frage der Sichtweise, wie man die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land bewertet. Ich selbst wohne schon mein ganzes Leben in einem kleinen Dorf und genieße es sehr.

BSZ: Wie kann man am Land den ÖPNV verbessern?
Füracker: Im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz hat man vor 25 Jahren einen Versuch gestartet und die Busse vom Takt her so fahren lassen wie in der Stadt. Das Angebot wurde von der Bevölkerung aber nicht angenommen. Es wurde damals scherzhaft von Geisterbussen gesprochen. Das trägt sich natürlich wirtschaftlich nicht. Da ist es ökonomischer und ökologischer, Sammeltaxis fahren zu lassen. Das wird mittlerweile in vielen Landkreisen Bayerns erfolgreich praktiziert und das unterstützen wir auch als Freistaat.

BSZ: Aber in vielen Gemeinden ist der Supermarkt und damit die Nahversorgung an den Ortsrand gezogen. Wie kommen gerade die älteren Menschen dorthin?
Füracker: In ländlichen Regionen sind viele Menschen, auch im höheren Alter, sicher mit dem eigenen Auto mobil oder man hilft sich untereinander. Aber Sie haben natürlich recht: Wir müssen schauen, dass die Ortszentren auch belebt und attraktiv bleiben. Gleichzeitig gibt es im Bereich der Nahversorgung ja gute innovative Konzepte, zum Beispiel die digitalen Kleinsupermärkte. Die haben sogar rund um die Uhr, 7 Tage die Woche geöffnet. Verkaufsautomaten können daher mindestens ein guter Nebenerwerb für die traditionellen Bäckereien oder Metzger sein – insbesondere, wenn es wie so oft am Personal mangelt. Und Dorfläden gibt es ja auch schon länger. Man sieht also: Die Nahversorgung auf dem Land funktioniert, wenn auch vielleicht ein wenig anders strukturiert als in der Stadt.

Zugereiste haben mal Zahn- oder Kopfweh - aber niemals Heimweh

BSZ: Wie bewerten Sie Lebensqualität in Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern?
Füracker: Im praktischen Erleben, also wenn ich im direkten Austausch mit den Menschen stehe, sagen mir 104 Prozent, dass sie in Bayern zufrieden sind. Niemand will woanders leben als bei uns im Freistaat. Und von den Menschen, die zu uns kommen, hat vielleicht mal einer Zahn- oder Kopfweh – aber niemals Heimweh.

BSZ: Wie viel Zuzug verträgt Bayern noch?
Füracker: In und um München, Nürnberg, Augsburg, Ingolstadt und die anderen Großstädte wird es sicher eng. Aber in der Nordoberpfalz, in Nordostoberfranken oder in Westmittelfranken ist durchaus noch Platz. Und diese Regionen boomen! Mit der Behördenverlagerung haben auch wir als Staatsregierung deutliche Zeichen gesetzt, dass in ländlichen Regionen die Zukunft ist. Wir wollen, dass die Menschen in ihrer Heimat leben und arbeiten können. Bei unseren Verlagerungen setzen wir voll auf Freiwilligkeit – niemand muss gegen seinen Willen umziehen. Dadurch dauert es zwar vielleicht etwas länger, aber wir haben hoch zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

BSZ: Und wie sieht es mit der Wirtschaft aus?
Füracker: Unser Behördenverlagerungskonzept sollte sich auch die Wirtschaft genau anschauen und kopieren – es braucht keine 089 als Vorwahl, um erfolgreich zu sein! Im ländlichen Raum machen auch Unternehmen sehr gute Geschäfte. Tirschenreuth gehört zu den steuerstärksten Landkreisen Bayerns und sieben der zehn steuerstärksten Kommunen der Oberpfalz liegen in den Landkreisen Neustadt an der Waldnaab und Tirschenreuth. Allein schon Siemens Healthineers in Kemnath zeigt, dass auch ein Weltkonzern im ländlichen Raum prosperieren kann. Und was noch hinzukommt: In ländlichen Regionen sind die Flächen noch bezahlbar.

Das ehemalige Grenzland zu Tschechien entwickeln

BSZ: Was unternimmt die Staatsregierung noch, um den ländlichen Raum zu stärken?
Füracker: Mit unserer Heimatstrategie stärken wir ganz gezielt den ländlichen Raum und die Regionen, die demografisch und wirtschaftlich stärker gefordert sind. Zum Beispiel entwickeln und fördern wir ganz bewusst das ehemalige Grenzland zu Tschechien. Was einst durch Zäune getrennt war, liegt heute in der Mitte Europas und birgt großes Potenzial. Unsere Kommunen haben wir mit unseren Stabilisierungshilfen mit über einer Milliarde Euro unterstützt, um alte Schulden zu tilgen. Wir dezentralisieren die Hochschullandschaft und siedeln zum Beispiel Technologiecampi bewusst in ländlichen Regionen an. Aber wir fördern auch Berufsschulen – denn ohne deren Absolventinnen und Absolventen gibt es niemanden mehr, der Hochschulen bauen kann. Unsere Glasfaserstrategie, in die wir als Freistaat freiwillig über 2,5 Milliarden Euro investiert haben, ist Basis für die digitale Zukunft in ganz Bayern. 80 Prozent aller Haushalte in Bayern haben zeitnah eine Gigabit-Anbindung – die Bauprojekte dafür laufen bereits. Durch unsere Förderung werden in Bayern inzwischen über 100 000 Kilometer Glasfaser verlegt. Somit ist auch auf dem Land digitales Arbeiten vollumfänglich möglich. Allerdings ärgert mich etwas dabei.

BSZ: Und das wäre?
Füracker: Jeder will Glasfaser und Gigabit-Anbindung für sein Zuhause – das verstehe ich auch. Allerdings ist es leider so, dass die neuen superschnellen Glasfaseranschlüsse gemäß Bundesnetzagentur nur von rund 25 Prozent der Menschen auch gebucht werden. Das betrifft Unternehmen wie Privatleute gleichermaßen.

BSZ: Kann man da etwas tun?
Füracker: Außer mit den Vorzügen von schnellstem Internet zu werben, geht da nichts. Das Problem ist, dass die Telekommunikationsunternehmen nur dann ausbauen, wenn sie auch merken, dass die Bandbreiten gebucht werden. Sonst ist es einfach nicht wirtschaftlich. Sie sehen: Unsere Strukturpolitik zur Stärkung des ländlichen Raumes ist sehr vielschichtig. Aber wir machen ja noch mehr.

BSZ: Was zum Beispiel?
Füracker: Die Dinge über die wir eben gesprochen haben, waren ja eher im Bereich „harte Strukturpolitik“. Aber Heimatpolitik hat auch eine andere Seite: Wir stärken die Traditionen, die Ehrenamtskultur und das Engagement der Menschen mit Anerkennung. Wir haben hier verschiedene Preise ins Leben gerufen, um die jeweiligen Themenfelder ein wenig auf die Bühne zu holen und zu zeigen, was da alles Großartiges von den Menschen in unserem Land getan wird: Den Heimatpreis, den Dialektpreis, den Demografiepreis oder den Zukunftsdialog. Beim Zukunftsdialog, der im Frühjahr 2022 gestartet ist, wollten wir gemeinsam mit den Menschen das Bayern von morgen entwickeln. Wo wollen wir hin? Was ist uns wichtig? In zahlreichen Veranstaltungen in jedem Regierungsbezirk haben über 8000 Menschen mitgemacht, teils auch online. Diese rege Teilnahme wünschen wir uns jetzt auch beim Nachfolger, dem Heimatdialog, der gerade gestartet ist. Mit diesem Instrument können wir die Wünsche der Menschen erfragen und entsprechend politisch reagieren.

Tourismus ist besonders auf dem Land ein extremer Wirtschaftsfaktor

BSZ: Wie wichtig ist Tourismus für die Heimat?
Füracker: Enorm wichtig! Wir sind Tourismusland Nummer eins in Deutschland. Tourismus ist ein extremer Wirtschaftsfaktor – besonders auf dem Land! Aber wir haben auch viel zu bieten: Man denke nur an unsere Schlösser. Das sind Kulturgüter ersten Ranges, die wir pflegen und erhalten. Ein Leuchtturm in diesem Bereich ist sicher Schloss Neuschwanstein, das wir jetzt umfassend renoviert haben. Aber auch in Würzburg investieren wir massiv in die Festung. Bayerns Identität, unsere Art zu leben, das was wir ausstrahlen ist international berühmt und beliebt. Wenn man im Ausland gefragt wird, woher man kommt und sagt aus Deutschland, dann wird das so hingenommen. Sagt man aber, dass man aus Bayern kommt, findet man ein Lächeln im Gesicht seines Gesprächspartners.

BSZ: Damit Einheimische und Touristen gut vorwärts kommen, müssten doch die Bahnstrecken besser ausgebaut werden.
Füracker: Richtig. Bei der Bahn läuft es leider sehr holprig. Und der hier zuständige Bund setzt völlig falsche Schwerpunkte. Mit dem Deutschlandticket will er alle zum Bahnfahren animieren. Aber das System Bahn, seine Infrastruktur, ist völlig überlastet. Es ist wie in dem alten Witz: „Einer fragt den anderen, wann kommt denn dein Zug? Antwortet der andere: Sicher bald, die Gleise sind ja schon da.“ In Wirklichkeit ist das natürlich sehr traurig und wir geben auch international ein schlechtes Bild ab – was man leider bei der EM wieder gesehen hat. Fans, die mit der Bahn nicht zu den Spielen gekommen sind, und so weiter. Der Bund muss hier dringend umdenken: Erst Infrastruktur ausbauen, dann die Nutzung ankurbeln. Nur wir als Freistaat müssen jährlich das Deutschlandticket mit rund 640 Millionen Euro mitfinanzieren. Würden wir diese Summe fünf Jahre lang in die Schieneninfrastruktur investieren, sähe es da deutlich besser aus.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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