Kommunales

Sonja Liebig (links) und Waltraud Stubenhofer vom Würzburger Krisendienst begleiten Menschen, die sich in einer schweren Krise befinde. (Foto: Christ)

22.06.2018

Psychiatrische Krisendienste werden ausgebaut

Bei dem Projekt kooperieren die Bezirke mit bereits vorhandenen kommunalen Angeboten

Seelisch Kranke haben derzeit Grund, kurz aufzuatmen: Das neue bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz wurde nach massiven Protesten von Ärzten und Patienten vom Landtag noch mal entschärft. Gleichzeitig schreitet der Ausbau der psychiatrischen Krisendienste voran.

Eine schwere Krankheit, massive Probleme in der Beziehung oder der plötzliche Verlust des Arbeitsplatzes – all das kann in eine schwere Krise stürzen. Krisendienste helfen. Noch allerdings gibt es nicht überall in Bayern solche Anlaufstellen. Das soll sich mit dem neuen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKGH) ändern. Geplant, ist, dass Menschen in seelischer Not dann in allen Regierungsbezirken des Freistaats Spezialisten finden, mit denen sie über ihre Probleme reden können.

Der Adressatenkreis von Krisendiensten ist breit gefächert, er reicht von Menschen, die an einer Schizophrenie leiden, über Männer und Frauen mit Depressionen bis hin zu Menschen mit chronischer Unruhe. Wie groß die Nachfrage dieser Patienten nach Hilfe durch einen Krisendienst ist, zeigt die Einrichtung in Nürnberg. „Rund 3000 Menschen wenden sich etwa 8.00 Mal im Jahr an uns“, berichtet Ralph Bohnert, Leiter des vor 20 Jahren gegründeten Krisendienstes Mittelfranken.

Weitere Eskalationen unbedingt vermeiden


Die Mitarbeiter versuchen, erste Auswege zu entwickeln und weitere Eskalationen unbedingt zu vermeiden. Erscheint es notwendig, werden die psychisch Kranken zu Hause besucht. Das geschieht rund 200 Mal im Jahr, so Bohnert: „Und zwar immer dann, wenn sich die Situation am besten unmittelbar im Lebensumfeld der Betroffenen einschätzen und bewältigen lässt.“ Manche Menschen seien aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Verfassung auch gar nicht mehr in der Lage, ihre Wohnung zu verlassen. Auch ist bei familiären Auseinandersetzungen eine Deeskalation vor Ort erforderlich.

Vor allem aber, wenn Suizidgedanken auftauchen, braucht es laut Bohnert das direkte Gespräch. Um die hohe Nachfrage nach Hilfe abzudecken, sind fünf Hauptamtliche und 55 Nebenamtliche in der Nürnberger Leitstelle des Krisendienstes sowie in mobilen Einsatzteams engagiert. Durch die Vorgaben des PsychKHG würden sich nach aktuellem Stand die Einsatzzeiten und das Personal verdoppeln. „Dafür benötigen wir aber einen finanziellen Ausgleich“, so Bohnert. Die Arbeit selbst würde sich inhaltlich nicht ändern.

Betroffene aus Oberbayern finden seit 2007 beim Krisendienst Psychiatrie in München Hilfe. Der wurde in letzter Zeit stufenweise ausgebaut. 2016 wurden Stadt und Landkreis München sowie die umliegenden Landkreise, etwa Dachau und Fürstenfeldbruck, angeschlossen. 2017 kamen schrittweise die übrigen Regionen Oberbayerns dazu. Das Krisennetzwerk steht nun 4,5 Millionen Bürgern zur Verfügung. Seit März können sich auch Kinder und Jugendliche in psychischen Notlagen sowie deren Eltern an den Krisendienst wenden.

Ausgelegt auf 20 000 Anrufer pro Jahr


Das Krisenhilfenetzwerk in Oberbayern ist auf rund 20 000 Anrufe pro Jahr ausgelegt. Diese Zahl wurde laut Michael Welschehold, Ärztlicher Leiter der Leitstelle des Krisendienstes, im vergangenen Jahr leicht überschritten. Insgesamt riefen 20 111 Menschen an. Damit klingelte das Telefon an jedem Werktag im Durchschnitt mehr als 80 Mal. 22 Psychologen, Sozialpädagogen und psychiatrische Fachpflegekräfte engagieren sich in der Einrichtung. Beim Anschluss einer neuen Region wurde das Personal aufgestockt. Das Team rechnet damit, dass der Krisendienst durch das PsychKHG noch bekannter wird und es dadurch zu noch mehr Kontakten kommt.

Dass Menschen in seelischen Krisen künftig gesetzlich verbrieft überall in Bayern Hilfe erhalten, wird vom Bayerischen Bezirketag begrüßt. „Auch die künftige Finanzierung der Leitstellen durch den Freistaat ist positiv“, so Constanze Mauermayer, Pressesprecherin des Bezirks Oberfranken. Sie werde den Bezirk Oberbayern entlasten, da der den Krisendienst derzeit mit 7,4 Millionen Euro jährlich alleine finanziert. In diesem Betrag seien derzeit die Kosten für die Leitstelle sowie das regionale Netzwerk in 20 Landkreisen und drei kreisfreien Städten enthalten.

Sind Menschen in einer sehr schweren psychischen Krise mit der Gefahr von Selbst- oder Fremdgefährdung, können sie in einer psychiatrischen Klinik vorläufig untergebracht werden. Dies kann durch die Polizei oder die Kreisverwaltungsbehörde geschehen. „Der Bayerische Bezirketag fordert dringend, dass der Krisendienst auf Basis des neuen PsychKHG nach Möglichkeit hinzugezogen wird“, so Mauermayer. Die Zusammenarbeit der Polizei mit dem Krisendienst müsse gesetzlicher Auftrag werden: „Und sollte nicht mehr nur vom Willen der jeweiligen Vertreter der Polizei abhängen.“

Der Standort der künftigen Leitstelle ist noch unklar


Menschen aus dem südlichen Unterfranken können sich an den Würzburger Krisendienst wenden. Fast 450 Klienten werden laut Einrichtungsleiterin Waltraud Stubenhofer derzeit pro Jahr im Tagdienst und weitere fast 800 im Nachtdienst aufgefangen und durch die Krise begleitet. Getragen wird die vor 28 Jahren gegründete Einrichtung von der Arbeitsgemeinschaft Ökumenische Telefonseelsorge und Krisendienst Würzburg/Main-Rhön.

Die bayernweite Einführung einer flächendeckenden Krisenhilfe rund um die Uhr sieht Stubehofer als sehr sinnvoll an. Wie die Idee in Unterfranken umgesetzt wird, sei noch ungewiss. Im Augenblick ist der Würzburger Krisendienst lediglich für Menschen aus Stadt und Kreis Würzburg, Main-Spessart und Kitzingen zuständig.

Wie die Hilfe künftig in Unterfranken organisiert werden soll, dazu gebe es noch keine klare Aussage vom Bezirk, bedauert Stubenhofer. Noch sei also völlig offen, wo die künftige Leitstelle in Unterfranken angesiedelt sein wird. Auch ist noch nicht klar, welche Rolle der Würzburger Krisendienst dabei spielen wird und ob die bisherige Arbeit der Einrichtung so weiterlaufen kann. Ein Stück weit hängen die kranken Menschen also in der Luft. (Pat Christ)

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