Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie haben eine 28-jährige Tochter, bislang unbescholten, gesund, mit abgeschlossenem Hochschulstudium, verheiratet. Im Lehramtsreferendariat wird sie schwanger und bringt einen prächtigen Stammhalter zur Welt. Familienglück pur!
Doch sechs Wochen nach der Geburt schlägt die Krankheit zu: Binnen Tagen ist sie völlig wesensverändert, wähnt sich verfolgt, ist hoch misstrauisch, angstvoll, halluziniert optisch und akustisch, verkennt Situationen und greift schließlich mit einer Axt den Ehemann an. Der ruft in seiner Not die Polizei und den Notarzt. Diagnose: Wochenbettpsychose. Mit Verbringung unter Zwang wird Ihre Tochter in die nächstgelegene psychiatrische Klinik gebracht und am Tag darauf erfolgt die dortige richterliche Unterbringung.
Bei einem Ihrer Besuche werden Sie verdächtigt, illegale psychosefördernde Drogen mitgebracht zu haben. Die Tochter wird durchsucht, weitere Besuche werden nun videoüberwacht. Sie sind empört, aber machtlos. Fünf Wochen nach der Aufnahme hat sich die Situation entspannt, die Symptome sind erfolgreich behandelt, die Entlassung befürwortet und die Weiterbehandlung ist geklärt.
Klinik muss Entlassung an die Polizei melden
Aber: Die Klinik ist verpflichtet die Entlassung der Polizeidienststelle zu melden. Zudem werden die persönlichen Daten der Tochter, inkl. Diagnose, Aufnahmegrund und -befund, an eine landesweit operierende Zentralstelle weitergeben, dort fünf Jahre gespeichert und stehen dem Zugriff diverser staatlicher Organe zur Verfügung.
Alles rechtens? Ja, gemäß dem aktuellen Entwurf des neuen bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes schon. Psychiatrische Fachwelt, Bayerischer Bezirketag, Datenschützer, Betroffenenverbände etc. sind entsetzt, die Stellungnahmen sind geharnischt und die von Vielen geleistete Vorarbeit für das Gesetz ist konterkariert. Die sich offenbarende Haltung gegenüber schwer psychisch Kranken ist fachlich nicht hinnehmbar und steht Fundamenten ärztlich-psychiatrischen Denkens und Handelns diametral entgegen.
Was ist die Hauptkritik? Seit Jahren sind die Charakteristika der Patienten, die in psychiatrischen Kliniken untergebracht werden, bekannt: Es handelt sich um schwer erkrankte und zum gegebenen Zeitpunkt nicht selbstbestimmungsfähige Personen, die bereits erhebliche soziale Benachteiligungen erlitten haben und in punkto autonome Wahrnehmung eigener Rechte eine hoch schützenswerte Klientel darstellen. Und es handelt sich nicht, wie vom Gesetzesentwurf suggeriert, um künftige Straftäter oder in Maßregelvollzugseinrichtungen strafrechtlich untergebrachte Patienten.
Zudem zeigen Studien, dass unter diesen Bedingungen durchgeführte Behandlungen effektiv sind, insbesondere je klarer und umfassender das zugrunde liegende Gesetz Patienteninteressen wahrt. Per se ist eine solche Unterbringung für diese Patienten Belastung genug – und betrifft zehn Prozent der Patienten einer psychiatrischen Klinik.
Deren Durchführung nun mit einer Strafvollzugspraxis zu überziehen und persönlichste Daten des Patienten in einem Register zu speichern, führt zu einer massiven Grundrechtseinschränkung. Medizinethische Prinzipien sind aufs Gröbste verletzt.
Kriminalisierung der Patienten verhindern
Einer Kriminalisierung, Entrechtung und lang anhaltenden strukturellen Stigmatisierung dieser Patienten muss ganz entschieden entgegengetreten werden. Künftig werden, so der Entwurf Bestand hat, Patienten nicht nur über ihre Erkrankung und Behandlung aufgeklärt, sondern auch über Sammlung, Weitergabe und Verwendung gespeicherter Daten.
Dies insbesondere Patienten mit psychotischen Symptomen wie etwa Verfolgungswahn oder durch technische Apparate verursachte Ich-Grenzstörung zu vermitteln, ist natürlich ärztliche Aufgabe – aber das Werben um Behandlungsakzeptanz wird deutlich erschwert und im Falle der wiederhergestellten Selbstbestimmungsfähigkeit werden Patienten ermutigt, einer Weitergabe und Speicherung ihrer Daten zu widersprechen. Behandlung auf Augenhöhe, partizipative Entscheidungsfindung, Trialog, Strategien zur Compliance-Förderung: All dies hat in die psychiatrische Klinikbehandlung Einzug gehalten und ist gerade in Krisensituationen wie der Unterbringung ein auch von höchster Rechtsprechung gefordertes hohes Gut.
Im Entwurf dargelegte patientenbezogene Restriktionen sowie den Psychiatern zugewiesene überholt geglaubte kustodiale Funktionen werden dieses Gut nachhaltig beschädigen. Der Unterbringungsteil des Entwurfs kann nur als Diskreditierung des Bemühens diversester Fachgesellschaften, Organisationen und Behandler um Entstigmatisierung und soziale Inklusion von psychisch Kranken gewertet werden.
Ein besseres Bild der Psychiatrie in der öffentlichen Wahrnehmung wird aus diesem Entwurf nicht resultieren. Vielmehr werden sich Psychiater als außerhalb des sonstigen Medizinkontextes Stehende, als Erfüllungsgehilfen staatlicher Willkür etc. apostrophieren lassen müssen - und das Selbstverständnis als Patientenanwalt und Anbieter moderner Medizin wird auf eine harte Probe gestellt. Bleibt nur die Forderung nach grundlegender Überarbeitung des aktuellen Entwurfs unter Berücksichtigung diverser Stellungnahmen!
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