Kultur

Die Rakete, mit der die Erdlinge dem drohenden Weltuntergang entfliehen wollen, funktioniert nicht. Szene aus der Oper "Defekt". (Foto: Judith Buss)

14.06.2024

Da steckt der Wurm drin

Münchener Biennale: Der Endspurt macht klar, woran es diesem Festival für neues Musiktheater mangelt

Ein Darsteller kriecht auf dem Boden. Seine Maske sieht genauso albern aus wie der hautenge, fleischfarbene Latexoverall, in dem sein Körper steck: Der Performer gleicht einem Wurm – ein solches Erdkriechgetier möchte er auch sein. Als Erzählwurm führt Malte Scholz durch ein „Happyning in 3 Teilen“, das mit rund 4 Stunden die stolze Länge eines Wagner-Abends erreicht. Indes: Die geistige Ausbeute trägt nicht einmal eine knappe halbe Stunde. Danach ist vollends klar, dass aus diesem partizipativen Ramsch gar nichts werden kann.

Wie geht’s, wie steht’s nennt sich diese Kooperation mit dem Theater Basel von Andreas Eduardo und Patrick Frank. Die Uraufführung im Foyer der alten Gasteig-Philharmonie im Rahmen der Münchener Biennale für neues Musiktheater avancierte zu einem weiteren Tiefpunkt der diesjährigen Edition. In der letzten Biennale-Ausgabe von Manos Tsangaris und Daniel Ott steckte buchstäblich der Wurm drin – dazu passt Wie geht’s, wie steht’s vortrefflich.

Warum „Happyning“? Weil einerseits das Publikum selber zum Hauptakteur wird und andererseits eine glücklich machende Wohlfühloase geschaffen werden soll. Die Regie von Georg Schütky ließ eine Art Kindergeburtstag feiern. Das Publikum sollte sich zu einem „Kollektivkörper“ einen. Die drei Teile wollten Herz, Hirn und Darm repräsentieren.

Nachdem der Erzählwurm in das Projekt eingeführt hatte, ging es in den ersten Stock des Gasteig. Dort wurde vom Ensemble Lemniscate eine Art Wohlfühl-Lounge-Musik gedudelt. Für ein kollektives Miteinander sorgten Gesellschaftsspiele, die auf Tischen bereitlagen. Sonst aber saß ein als großer Teddybär verkleideter Performer in der alten Abendkassen-Box im Gasteig. Er freute sich über Menschen, die ihn ansprachen oder mit ihm knuddelten. Wer besonders lieb zu ihm war, bekam Bonbons als Belohnung. Eine Bergsteiger-Performerin mit Flossen statt Stiefeln zitierte Reinhold Messner. Auch sonst wurden alle denkbaren Register der Idiotie gezogen.

Kurzoper auf Nostalgiewelle

Im Vergleich dazu war die letzte große Produktion der diesjährigen Biennale eine echte Wohltat. Für die Kooperation mit dem Staatstheater Kassel hat Mithatcan Öcal eine Kurzoper geboten, die die frühe Moderne hochleben lässt. Ob Richard Strauss, Franz Schreker, Alexander von Zemlinsky oder Erich Wolfgang Korngold: In Defekt reitet der gebürtige Istanbuler auf der Nostalgiewelle. Dieser Retrosound ist kunstvoll instrumentiert, aber für einen jungen Komponisten ziemlich reaktionär.

Der Titel Defekt bezieht sich auf eine Rakete, mit der eine sechsköpfige, durchwegs großartig singende Mischpoke von Erdbewohnern dem drohenden Weltuntergang entfliehen möchte. Der Grund dafür sind Klimachaos und verheerende Kriege. Aber die Rakete ist defekt.

Die Ironie im Libretto wird in der unter Mario Hartmuth fein ausgestalteten Musik gar nicht hörbar. Generell wirkten die Ebenen mehr getrennt als zu einem konzisen Narrativ vereint. Immerhin atmeten die Regie von Roscha A. Säidow und die Ausstattung von Paula Wellmann einen Hauch Ironie.

Indessen stellte sich auch hier die Frage: Was ist nur los bei der Biennale? Mit der jetzigen Ausgabe wurde vollends klar, wo es überall hapert. Die Probleme sind hausgemacht. Da ist ein Leitungsduo, das die künstlerischen Entstehungsprozesse viel zu wenig oder viel zu spät betreut und kuratiert. Mit seiner letzten Biennale hat dieses Duo gleichzeitig das Musiktheater von der Musik fast vollständig entkoppelt, um ganz auf performative, installative, partizipative Kleinteiligkeit zu setzen.

Dafür gibt es auch finanzielle Gründe. Es ist kein Geheimnis, dass das Biennale-Budget seit einer gefühlten Ewigkeit bestenfalls stagniert und nicht den stetig steigenden Produktionskosten angepasst wird. Mit einem solchen Budget lässt sich kein glanzvolles, wegweisendes Festival für neues Musiktheater machen.

Für die Kulturmetropole München ist der gegenwärtige Zustand der Biennale eine veritable Schande. Das Münchner Kulturreferat hat es geschafft, aus diesem 1988 von Hans Werner Henze begründeten Festival einen bedeutungslosen, provinziellen Ramsch-Stadel zu machen.

Ab der nächsten Ausgabe 2026 stellen Katrin Beck und Manuela Kerer das Leitungsduo. Solange sich die Biennale-Bedingungen nicht signifikant verbessern, ist die Frage der Leitung im Grunde gänzlich obsolet. (Marco Frei)

 

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