Kultur

Die Liebe zwischen Pelléas (Samuel Hasselhorn) und Mélisande (Chloë Morgan) bleibt unerfüllt und endet tragisch – zumindest für Mélisande. Pelléas macht sich in dieser Operninterpretation letztlich aus dem Staub. (Foto: Bettina Stoess)

14.06.2024

Missbraucht bis zum Tod

Debussys Oper „Pelléas und Mélisande“ am Staatstheater Nürnberg entwickelt sich wie ein Hitchcock-Krimi

Wie eine Beute schleppt der alte König Arkel das Baby davon – die Mutter verblutet elend im Burggraben: Die Nürnberger Oper setzt mit diesem Ende eine ansehnliche Aufführungsgeschichte der Oper Pelléas und Mélisande fort. Schon unter der ehemaligen Musikchefin Joana Mallwitz sollte Claude Debussys Epochenwerk der modernen Musikdramatik ein Höhepunkt der aktuellen Interpretationsgeschichte werden. Corona kam dazwischen – jetzt holte Opernchef und Staatsintendant Jens-Daniel Herzog nach, welche Aspekte er szenisch und mit dem ehemaligen Mallwitz-Assistenten Björn Hues-tege in dem Drama zwischen den Brüdern Golaud und Pelléas um die schöne, blonde Mélisande und ihr Kind entdeckt hat.

Überraschendes Ende

Und da wurde in einer kühlen Bühnengegenwart aus einer trivialen Eifersuchtsgeschichte ein Hitchcock-Krimi mit den Mitteln des „suspense“ und einem überraschenden Ende: Mélisande ist im Königreich und in der streng-hierarchisch geordneten Familie Arkel nur das Mittel zum Zweck mit einem Kind, das die Familie fortsetzt und dem alten Arkel die Nähe verschafft, nach der er sich sehnt.

Schauplatz ist eine Art Kubus als Schloss oder Villa, umgeben von geheimnisvollen Wasseradern und Grotten, von denen Rohre und Leitungen überall durch die Räume des Bühnenbilds von Mathis Neidhardt verlaufen.

Jens-Daniel Herzog geht mit der Vorlage von Maurice Maeterlinck, die Debussy textgetreu und ganz der französischen Sprachmelodie entsprechend umgesetzt hatte, mit erstaunlicher Stringenz um, erlaubt sich aber Abweichungen, wenn Pelléas am Ende nicht getötet wird, sondern sich mit seinem Rucksack vom Acker macht: Er ist kein sich verzehrender, liebender Tristan, sondern ein demütiger Befehlsempfänger Arkels, der ihn als Ehebrecher aus dem Schloss haben will.

Parallel zu den Festspielen von Aix-en-Provence in Südfrankreich und demnächst bei den Münchner Opernfestspielen ist die Nürnberger Inszenierung diskussionswürdig, und das schon von Herzogs geheimnisvoll-romantischem Beginn an mit Wänden, Gestängen, Verstecken, Nebelschwaden vor den hohen Mauern der Burg. Zwischen all dem findet Golaud die scheue Mélisande in einem wassergrün schimmernden Zwischenreich von Traum und Realität (überzeugende Lichtregie von Fabio Antoci). In dem bewegt sich diese Mélisande wie ein Tippi-Hedren-Typ aus Alfred Hitchcocks Psychodramen (Die Vögel, Marnie), immer in pinkfarbenem Kostüm und immer das Werkzeug in den sinistren Plänen des mit mächtigem Bass dröhnenden Königs Arkel: Taras Konoshchenko führt mit starrer Konsequenz seine Pläne durch, der Witwer Golaud ist bei Sangmin Lee bemitleidenswert und zugleich (auch sängerisch) von brutaler Rücksichtslosigkeit.

Mit Samuel Hasselhorn als Pelléas entscheidet sich die Aufführung für einen Lover wie frisch von der Segelpartie und für die Besetzung mit einem Bariton in der von Debussy gewünschten vokalen Zwischenlage. Die Mélisande von Chloë Morgan bleibt immer die geheimnisvolle Fremde mit schillernd changierendem Sopran, konsequent ein Missbrauchsopfer bis zum blutigen Ende.

Dirigent Björn Huestege koloriert mit der Staatsphilharmonie in aller wünschenswerten Debussy-Subtilität und impressionistischen Farbigkeit, mit deutlicher Nähe zu Wagners Tristan. Er verleiht der Inszenierung bis in die Schlussszenen hinein den dramatischen Input, der das szenische Konzept erst am Ende wirklich verständlich macht. (Uwe Mitsching)

 

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