Kultur

Cao Feis Fotokunst – hier "Matryoshka Verse 06" von 2022 – erscheint wie die Fortschreibung des historischen Surrealismus. (Foto: Cao Fei/Sprüth Magers and Vitamin Creative Space)

28.06.2024

Spektakuläre Optiken

Cao Fei im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses: Unterhaltungsschrott bewusst zu vergänglichen Einwegikonen überhöht

Wo ist eigentlich Mr. Spock aus dem Raumschiff Enterprise, wenn man ihn mal braucht? Vielleicht könnte er uns erklären, ob das jetzt das Multiversum ist oder das Metaversum – und was genau der Unterschied zwischen beiden wäre. Oder sind wir hier versehentlich statt in den Kunstbau des Münchner Lenbachhauses einfach in ein Computerspiel geraten und irren nun als Avatare herum? Warum aber fühlen sich dann die hölzernen Hackschnitzel, die am Boden aufgeschüttet sind, beim Drübergehen so handfest analog an? Andererseits: Deuten die verdächtig gekrümmten Meridianlinien an der Wand etwa darauf hin, dass wir in eine Falte der gekrümmten Raumzeit geplumpst sind, von der die Astrophysiker so gern fabulieren?

Wie im Freizeitpark

Die Antwort auf all diese Fragen lautet ausnahmsweise nicht „42“ (wie in dem Film Per Anhalter durch die Galaxis), sondern: „Man weiß es nicht.“ Denn die buchstäblich abgespacte Ausstellungskirmes Meta-mentary, mit der das Lenbachhaus die chinesische Starkünstlerin Cao Fei (1978 geboren) präsentiert, könnte auch ein ostasiatischer Freizeitpark sein.
Da liegen Schläger bereit, mit denen Besucher*innen Federball spielen dürfen, ein riesiges Himmelbett lädt zum Hinlegen ein (leider unbequem), sodass man auf dem Baldachin über sich einen computergenerierten Film verfolgen kann – bis einem rasch schwindlig wird. Hochglanzfotos und Videos, teils noch vom Cyberpunk inspiriert, zeigen Kriegerinnen, die vor Wolkenkratzerkulissen auf Zebras reiten, rätselhafte Mischwesen mit Oktopusarmen, schwebende Pandas und Ufo-Quallen, Astronautinnen im Führerstand abgewrackter Dieselloks auf dem Abstellgleis oder aufgeblasene Matroschka-Luftballons in der Weite mongolischer Graslandschaften.

Zudem hängen überall Werbebanner, und eine trotz ihrer Lautstärke einlullende Klingklang-Musik erfüllt den Raum. Kurzum: Nach zehn Minuten ist man so überfordert von der Fülle bunter, banaler oder auch spektakulärer Sinneseindrücke, dass man den Wunsch verspürt, in ein Schweigekloster einzutreten.

Das Seltsame bei all dem: Der Hype der Virtual-Reality-Welt à la „Second Life“, aus der sich Cao Feis Ästhetik überwiegend speist, liegt fast zwei Jahrzehnte zurück. Gar so neu und sensationell ist es also zumindest jenseits der Museumsmauern nicht mehr, was die gefeierte Chinesin inszeniert. Und was den distinguierten Freund*innen der Hochkultur revolutionär postdigital vorkommen mag, ist für die Kids wohl schon miefiger Kram von vorgestern.

Trotzdem sind viele Arbeiten der Künstlerin dann jenseits ihrer bonbonsüßen Fassade im Detail sehr faszinierend, weil sie sich als zeitgemäße Fortschreibung des guten alten Surrealismus entpuppen: Cao Fei kombiniert die Science-Fiction- und Fantasy-Motive der digitalen Unterhaltungswelt mit Bildelementen aus unserem vertrauten Alltag. Aber gerade die Verbindung des für sich jeweils Bekannten erzeugt nicht nur einen distanzierenden Verfremdungseffekt, sondern auch jenes wehmütige Befremden, das den Reiz von Cao Feis Phantasieszenerien ausmacht. Mit dieser Wirkung erinnern sie entfernt an die Gemälde Neo Rauchs, obwohl die Chinesin sich ganz anderer Techniken bedient. Aber auch ihre Arbeiten entwickeln jenen süffigen, unwiderstehlichen Rätselsog, der ein gewisses Suchtpotenzial hat.

Denn gerade darin besteht bei Cao Fei, trotz enger Verwandtschaft, der Unterschied zum klassischen Surrealismus: Sie orientiert sich demonstrativ an den konfektionierten Bildmustern, die von der Kulturindustrie quasi als Fließbandware produziert werden und längst das „Opium des Volkes“ sind, als das die Religion in unseren säkularen Zeiten nicht mehr funktioniert. Dass die Chinesin diesen Unterhaltungsschrott bewusst zu vergänglichen Einwegikonen überhöht, daraus erwächst, hinter den lärmigen Oberflächen, jene verstörend stille Melancholie, durch die ihre besten Werke so erstaunlich anrührend wirken. (Alexander Altmann)

Information: Bis 8. September. Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, 80333 München. www.lenbachhaus.de

 

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