„Ich will von jedem eine Ohrfeige, der mich rauchen sieht“: Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass der Grüne Andreas Krahl die Kolleg*innen im Landtag um schlagkräftige Unterstützung bei der Nikotin-Entwöhnung gebeten hat. Eine Watschn bekam der 31-Jährige, der schon öfter versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören, zum Glück noch nicht. Krahl ist überzeugt: „Diesmal klappt es.“
Dass Rauchen schädlich ist, weiß jeder. Krahl aber hatte die Folgen früher oft selbst vor Augen. Etwa dann, wenn jemand mit vorgeschädigter Lunge beatmet werden musste. Vor seinem Landtagseinzug 2018 arbeitete er als Pfleger auf einer Intensivstation für Brand- und Rückenmarkverletzte in der Unfallklinik Murnau. Ein harter Job, in dem er Menschen zum Beispiel erklären musste, dass sie nie mehr laufen werden.
Und doch sagt Krahl: „Das ist mein Traumberuf.“ Als Intensivpfleger trage er dazu bei, dass jemand nach einem Unfall wieder Halt bekommt und ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Diese Art des Helfens gibt es nur im Pflegeberuf, glaubt Krahl. Er gesteht: „Manchmal vermisse ich meine Intensivstation schon.“
Das heißt aber nicht, dass er den Wechsel in die Politik bereut. Es war vor allem die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, die Krahl politisch aktiv werden ließ. Erst im Berufsverband für Pflegeberufe, ab 2013 dann bei den Grünen. „Man kann jammern“, sagt er, „oder man versucht Dinge aktiv zu verändern.“
Im Landtag sitzt Krahl im Gesundheitsausschuss, er ist pflegepolitischer Sprecher und Sprecher für Senior*innenpolitik der Grünen. In der Fraktion schätzt man sein praktisches Wissen und sein großes Engagement. Krahl hat aber auch keine Scheu anzuecken. Zum Beispiel mit der Forderung, dass der exponentielle Anstieg der Infektionen mit dem Coronavirus mit härteren Maßnahmen durchbrochen werden müsse. „Dafür bin ich zum Teil gesteinigt worden“, erzählt Krahl.
Krahl setzt sich für seine Themen im Landtag sehr emotional ein. Das findet auch Anerkennung in den Regierungsfraktionen. Und doch stößt er als Oppositionspolitiker mit seinen Ideen dort naturgemäß auf Ablehnung. „Das ist ermüdend“, bekennt er.
In den Ferien hilft Krahl beim Impfen und in Kliniken aus
Woran es laut Krahl in der Pflege vor allem hapert: „an der Wertschätzung“. Immer noch. „Zu Beginn der Pandemie hat eine echte Aufbruchstimmung geherrscht“, sagt er. In den Osterferien 2020 half er auf einer Intensivstation in Weilheim aus, schulte dort vor allem Personal in der Beatmung. Die Bevölkerung stand damals oft klatschend auf Balkonen. Und die Staatsregierung spendierte einen Pflegebonus samt kostenloser Brotzeit. Als Krahl in der parlamentsfreien Zeit rund um Weihnachten wieder in einer Klinik half, diesmal in Garmisch, war jeder Beatmungsplatz belegt und das Personal am Limit. „Brotzeit aber gab’s keine mehr und der 500-Euro-Bonus war ausgegeben“, sagt Krahl. „Die Aufbruchstimmung war einer kompletten Resignation gewichen.“
Der schlechte Verdienst sei ein Aspekt der fehlenden Wertschätzung, meint Krahl. Es fehle aber auch die berufliche und politische Lobby. „Es kann doch nicht sein, dass die größte Berufsgruppe mit über 150 000 Beschäftigten in unserem Gesundheitssystem so gut wie keine Mitsprachemöglichkeiten hat“, kritisiert Krahl. Überfällig sei deshalb die Schaffung einer Pflegekammer in Bayern. Ebenso die Einrichtung einer Fakultät für Pflegewissenschaften im Freistaat.
Seit November studiert Krahl selbst Pflegewissenschaften – berufsbegleitend an einer privaten Fachhochschule mit Sitz in Erfurt. „Wenn ich für eine Akademisierung in der Pflege kämpfe, will ich mir das auch von innen anschauen“, erklärt er und schiebt lachend nach: „Das Studium finanziere ich mit der Kohle, die ich jetzt nicht mehr fürs Rauchen ausgebe.“
Bankkaufmann-Lehre nach dem Abi - das war aber für nichts ihn
Studieren wollte Krahl eigentlich nie. Als Sohn eines Landwirts wuchs er im niederbayerischen Freyung auf. Er war der Erste in seiner Familie mit Abitur. „Da musst du natürlich was Ordentliches lernen“, sagt er. Also machte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann, die ihn nach München führte. Knapp ein Dreivierteljahr arbeitete er danach als Privatkundenberater, dann hängte er den Job an den Nagel. „Dass das überhaupt nicht meins war, habe ich schon nach dem ersten Lehrjahr gewusst“, sagt Krahl. Durchziehen wollte er die Ausbildung trotzdem. Krahl erklärt, er sei kein Mann für halbe Sachen.
Die Leidenschaft für den pflegerischen Bereich entdeckte er als Rettungsassistent. Krahl arbeitete neben der Lehre fürs Bayerische Rote Kreuz (BRK). Er folgte seinem Herzen und lernte Krankenpfleger in München. 2015 wechselte er nach Murnau, weil er als Bergsportler und Naturbursche raus aus der Stadt wollte. Fürs BRK engagiert sich Krahl bis heute, er ist Rettungssanitäter und Gruppenführer im Katatstrophenschutz. In den Osterferien half er jeden Tag beim Impfen.
Politik, Ehrenamt, Studium, Freundin – man sollte meinen, für Hobbys bleibt da nicht mehr viel Zeit. Weit gefehlt. Krahl ist leidenschaftlicher Imker. Bei seinen Bienen findet er Ruhe und Entspannung. Mit dem Verkauf seines Honigs unterstützt er ein Projekt von Pflegekräften, das Familien mit behinderten Kindern einen Urlaub am Chiemsee ermöglicht.
Wie viel Arbeit ein Landtagsmandat macht, hatte Krahl aber doch unterschätzt. „Ich hätte gedacht, dass ich zwei, drei Stunden mehr Freizeit in der Woche hätte“, gesteht er. Vor allem für den Sport blieb wenig übrig. Mit deutlichen Folgen. Zwölf Kilo nahm Krahl im Landtag zu. Die sind jetzt wieder runter. „In der Pandemie habe ich zurück zum Sport gefunden“, erzählt er. „Auch weil die Fahrt nach München oft wegfällt.“ Sein Ziel: im Oktober beim Münchner Marathon mitzulaufen.
Vor seinem Einzug in den Landtag hatte Krahl seinen Freunden eingeschärft, es ihm zu sagen, sollte er sich mit dem Mandat verändern. Das Äußerliche meinte er damit nicht. Krahls Vorsatz, in den fünf Jahren der Legislatur keinen Anzug zu tragen, ist ohnehin nicht gefährdet. „Es ist ein Geschenk, dass ich als kleiner Krankenpfleger mit einem Minister am Tisch sitzen darf“, sagt Krahl. „Mir ist aber wichtig, dass ich der Mensch bleibe, der ich vorher war.“ Sollte das nicht mehr der Fall sein, werde er den Politikjob aufgeben, kündigt Krahl an. Das Gute sei ja, dass er im Gegensatz zu anderen nicht auf die Politik angewiesen sei. „Für mich geht der Weg definitiv zurück ans Patientenbett, sollte meine Polit-Karriere enden“, sagt Krahl. „Und das wäre für mich absolut kein Downgrading.“
(Angelika Kahl)
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