Landtag

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit“ haben Mitarbeiter*innen des Instituts für Zeitgeschichte Politik und Personal in bayerischen Spitzenbehörden nach 1945 untersucht. (Foto: dpa/Matthias Balk)

11.10.2024

Ein sehr anpassungsfähiger Beamtenapparat

Es ist ein in Deutschland einmaliges Projekt: 2013 beschloss der Landtag einstimmig, die NS-Vergangenheit der Staatsministerien und -behörden untersuchen zu lassen. Zehn Jahre später hat das damit beauftragte Institut für Zeitgeschichte (IfZ) die Recherchen abgeschlossen

Das umfangreiche Forschungsprojekt, das auf eine Anfrage des inzwischen verstorbenen Grünen-Abgeordneten Sepp Dürr zurückgeht, trägt den Titel „Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit. Politik, Personal, Prägungen in Bayern 1945–1975“. Mehrere wissenschaftliche Werke dazu sind bereits erschienen oder sind bereits im Druck, andere befinden sich in der Vorbereitung. Die Forschung, die auch auf viele neue Quellen zurückgriff, gewährt einige Antworten auf die Frage, wie Bayerns Behörden und Ministerien nach 1945 mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit umgegangen sind.

Eine der interessantesten Erkenntnisse: Die Ministerialbeamt*innen waren äußerst anpassungsfähig an das jeweilige politische System. Wohl nur so konnte die NS-Diktatur so schnell so erfolgreich sein, das Gleiche gilt aber auch für die Demokratieentwicklung nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes 1945.

Bernhard Gotto, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IfZ, der im Wissenschaftsausschuss des Landtags über das Projekt berichtete, erwähnte als Beispiele Beamte, die sich auch nicht nur formal schuldig am Unrecht des Nationalsozialismus gemacht hatten. „Wir haben viele Akteure gefunden, die aus heutiger Sicht nicht mehr tragbar waren.“ Tatsächlich seien sie aber auch sehr förderlich für die Demokratieentwicklung im Nachkriegsbayern gewesen.

Deutlich weniger galten als formal belastet

Interessant ist auch, dass in Bayerns Ministerien im Vergleich zu den Bundesministerien ein deutlich geringerer Prozentsatz des Beamtenapparats als belastet galt, weil eine Mitgliedschaft in der NSDAP oder ihr angegliederter Organisationen nachgewiesen werden konnte. Während es im Bund mehr als die Hälfte waren, waren es etwa in der Staatskanzlei unter 20 Prozent.

Das allerdings, betonten Gotto und Magnus Brechtken, der stellvertretende Direktor des IfZ, habe nicht an einer größeren Distanz der bayerischen Beamt*innen zur NS-Diktatur gelegen, sondern an der anfangs rigoroseren Entnazifizierung. Diese setzte in Bayern – unter Aufsicht der US-Militärbehörden – direkt nach dem Krieg ein, während sich die Bundesbehörden ja erst mit Gründung der Bundesrepublik 1949 neu formierten. 

Doch auch die unbelasteten Beamt*innen waren zunächst keine Demokratiefans. Sie waren größtenteils noch geprägt von der Monarchie in Bayern und einem Obrigkeitsdenken. Autoritäre Denkmuster und Rollenbilder waren vorherrschend – und das Bestreben, unbedingt Bayern als politische Einheit zu erhalten. Hinzu kommt, dass bei vielen der zunächst wegen ihrer NS-Vergangenheit Entlassenen nicht Reue, sondern angegriffene Ehre das vorherrschende Gefühl war. Schließlich sahen sie sich als stolze, unkündbare Staatsdienende. Diese Enttäuschung, so die Forscher, habe für Jahrzehnte auch den Blick auf die eigene Verantwortlichkeit verstellt. Doch nach dem sogenannten Entnazifizierungsschlussgesetz in den 50er-Jahren durften die meisten von ihnen wieder arbeiten – und machten das auch gut.

Aus Sicht der Forscher halfen dabei auch die föderalen Strukturen der Bundesrepublik. In länderübergreifenden Gremien lernten die Ministerialbeamten, über Bayern hinauszudenken und Kompromisse zu schließen. „Das waren zutiefst demokratische Aushandlungsprozesse“, sagte Gotto. Ob sich die Beamt*innen nun aus Überzeugung oder strategischem Denken darauf einließen, darauf komme es letztendlich gar nicht an. 

Die Abgeordneten bedankten sich im Ausschuss bei den beiden Forschern für die geleistete Arbeit des Instituts. Einige von ihnen betonten aber, dass es nicht reiche, wenn die Erkenntnisse in irgendwelchen Bibliotheken und Archiven abrufbar sind oder in der Fachwelt diskutiert werden. Sie forderten eine weitere Verbreitung, die auch die breite Öffentlichkeit erreicht. Der Ausschussvorsitzende Michael Piazolo (Freie Wähler) erklärte, er werde die Anregung an das Landtagspräsidium weitergeben.

Mitten in der Diskussion war es zuvor zu einem Eklat gekommen, der nur wenig mit dem Thema zu tun hatte: Julian Preidl (Freie Wähler) warf den AfD-Abgeordneten vor, am Tag vorher nicht wie alle anderen geklatscht zu haben, nachdem Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) im Plenum den wachsenden Antisemitismus verurteilt hatte. Ulrich Singer (AfD) verwies auf den seiner Fraktion eigentlich zustehenden Vizepräsidentenposten, den die Landtagsmehrheit ihr aber versage. Zudem sei die AfD bei vielen Initiativen im Landtag außen vor. Wenn sich da etwas ändere, „dann werden wir auch klatschen“. (Thorsten Stark)
 

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