Leben in Bayern

Was in Gefängnissen vor sich geht, bleibt der Öffentlichkeit normalerweise verborgen. Umso wichtiger ist eigentlich die Aufgabe der Gefängnisbeiräte. (Foto: dpa/Karmann)

22.11.2024

Mehr Kummerkasten als Wächter

Jede Justizvollzugsanstalt in Bayern hat auch einen Beirat. Nach den bekannt gewordenen Zuständen im Gablinger Gefängnis fragt man sich: Was tun diese Kontrollgremien?

Der CSU-Abgeordnete Harald Schwartz ist seit elf Jahren vom Landtag gewählter Gefängnisbeirat, Horst Arnold (SPD) war es zehn Jahre lang und der Grüne Toni Schuberl fünf. So wirklich interessiert hat sich dafür in der Öffentlichkeit kaum jemand. Erst die Vorwürfe wegen Gefangenenmisshandlung gegen Bedienstete der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gablingen haben die Blicke auf den parlamentarischen Nebenjob gelenkt. Schließlich sind die bayernweit 50 JVA-Beiratsmitglieder dafür da, den geregelten und rechtskonformen Ablauf des Justizvollzugs zu überwachen. In Gablingen hat das offenbar nicht wirksam funktioniert.

Die Aufgaben und Befugnisse der Beiräte sind im Strafvollzugsgesetz nur grob umrissen. Dort heißt es allgemein, dass die Mitglieder des Beirats bei der Gestaltung des Vollzugs und der Betreuung der Gefangenen mitwirken und bei deren Resozialisierung helfen. Immerhin erlaubt ihnen das Gesetz, von der Anstaltsleitung alle den Vollzug betreffenden Informationen abzufragen. Es gewährt zudem Zugang zu allen Bereichen der Gefängnisse und Vieraugengespräche mit den Inhaftierten. „Aussprache und Schriftwechsel werden nicht überwacht“, heißt es im Gesetz, das den Beiräten vor allem die Funktion eines „Kummerkastens“ zuweist: „Die Mitglieder des Beirats können insbesondere Wünsche, Anregungen und Beanstandungen entgegennehmen.“

Fragt man erfahrene Anstaltsbeiräte, betonen diese unisono, dass die vom Gesetz benannten Befugnisse zur Bewältigung der Aufgaben ausreichen. Es hänge aber vom Engagement des oder der Einzelnen ab, wie intensiv die Betreuung und wie engmaschig die Kontrolle sei. Im Regelfall treffen sich die Beiräte – ihnen gehören neben zwei das Gremium leitenden Abgeordneten unter anderem berufene Vertreter der JVA-Standortkommunen, von sozialen Diensten und der Arbeitsagentur sowie Resozialisierungshelfer an – zweimal im Jahr zu einer Sitzung.

Nur zwei Sitzungen pro Jahr

Dort steht dann ein umfangreicher Bericht der Anstaltsleitung über das aktuelle Vollzugsgeschehen, aufgetretene Probleme oder anstehende Maßnahmen auf der Tagesordnung. Meist kommt auch die Personalvertretung zu Wort. Denn auch für die Beschäftigten der Anstalten sind die Beiräte Ansprechpartner.
Harald Schwartz, Vorsitzender des Beirats in der JVA Amberg, lädt drei bis vier Mal pro Jahr zur Gremiensitzung ein. In diesen dürfen auch Gefangene vorsprechen, die sich mit einem Anliegen an ihn gewandt haben. So hat es Schwartz etabliert. Meist kämen da kleine Alltagsprobleme zur Sprache, erzählt er.

Klagen über das Essen, fehlende Produkte im Gefängnisladen, zu kurze oder ungünstig gelegene Besuchszeiten, kleine Sonderwünsche. Manchmal würden aber auch ernstere Vorwürfe vorgetragen wie zum Beispiel eine unzureichende ärztliche Versorgung oder eine schikanös empfundene Behandlung durch das Personal. Da die JVA-Verantwortlichen an der Sitzung teilnähmen, könnten viele Probleme und Missverständnisse direkt geklärt werden – „soweit das faktisch oder rechtlich möglich ist“, schränkt Schwartz ein. Aus seiner Sicht tun die offenen Gespräche dem Klima in der Anstalt gut. „Es ist wichtig für die Leute, dass sie ein Ventil haben“, sagt Schwartz.

Ähnlich sieht das sein Bayreuther Kollege Franc Dierl (CSU). Er ist erst seit einem Jahr im Amt, besucht die JVA Bayreuth aber regelmäßig, auch über die offiziellen Gremiensitzungen hinaus. Nach dem Bekanntwerden der Gablinger Vorwürfe habe er sich zum Beispiel sofort die besonders gesicherten Hafträume zeigen und deren Überwachung erläutern lassen. Als „Kummerkasten“ werde er rege in Anspruch genommen, berichtet Dierl. Es gehöre dabei zu seinem Verständnis als Anstaltsbeirat, den Meldungen und Beschwerden auch im Einzelfall nachzugehen. So suche er das Gespräch mit der Anstaltsleitung, fordere Akteneinsicht und leuchte nach Möglichkeit die Hintergründe aus. Denn längst nicht alle Wünsche und Beschwerden der Gefangenen seien bei genauem Hinsehen berechtigt, mitunter sei auch Rache oder Denunziation im Spiel. Es brauche, fasst Dierl seine Erfahrungen zusammen, eine in jede Richtung offene Kommunikation.

Opposition ist außen vor

Etwas kritischer auf das Beiratswesen blickt die Opposition. Zumal diese in der aktuellen Legislaturperiode außen vor ist. Denn die beiden pro JVA vom Landtag entsandten Beiräte werden traditionell von den beiden größten Fraktionen gestellt. Aktuell sind das CSU und Freie Wähler, also die beiden Regierungsparteien. „Die momentane Besetzung ist ein wunder Punkt“, urteilt SPD-Mann Arnold. Grüne und SPD wollen deshalb eine Initiative starten, die auch der Opposition den Zugang zu den Beiräten sichert. Nur in den beiden größten bayerischen JVAs in München und Nürnberg kontrolliert derzeit neben CSU- und FW-Abgeordneten mit Rene Dierkes (AfD) als Mitglied der größten Oppositionsfraktion ein Vertreter der parlamentarischen Minderheit.

Arnold findet auch, dass die JVA-Beiräte von der Staatsregierung bislang stiefmütterlich behandelt wurden. Als früherer Staatsanwalt und Richter habe er 2008 Vorkenntnisse über den Strafvollzug in das Ehrenamt an der JVA Nürnberg mitgebracht. Den meisten JVA-Beiräten aus dem Landtag fehle dieses Wissen aber. Das schwäche ihre Position gegenüber den Anstaltsleitungen und erschwere eine fundierte Kontrolltätigkeit. Es wäre nach Ansicht Arnolds Aufgabe des Justizministeriums, neu gewählte Beiräte entsprechend einzuweisen und über ihre Rechte zu informieren. Doch dort liefen die Beiräte „nebenher“. Ein Indiz dafür: Gibt man in die Suchmaske auf der Homepage des Justizministeriums „Anstaltsbeirat“ ein, erhält man genau einen Treffer: eine Pressemitteilung aus dem Jahr 2018 zum Spatenstich für einen neuen Sicherheitszaun um die JVA Aschaffenburg, in der der Begriff in einer Nebenbemerkung vorkommt.

Dabei hält Arnold die JVA-Beiräte für wichtige Gremien, die eigentlich eine Art Frühwarnsystem für Fehlentwicklungen und Rechtsverstöße im Strafvollzug sein sollten. So sieht das auch der Grüne Toni Schuberl. Dass die Opposition mit ihrer Grundskepsis gegenüber regierungsamtlichen und behördlichen Verlautbarungen derzeit praktisch außen vor sei, mache die Kontrolle nicht besser. Ungeachtet dessen fordert Schuberl regelmäßige und standardisierte Berichtspflichten der Anstaltsleitungen an die JVA-Beiräte über Parameter wie Suizide, Todesfälle, Erkrankungen, aber auch Freigänge und Hafterleichterungen. So ließen sich Entwicklungen ablesen, die Beiräte könnten bei statistischen Auffälligkeiten nachhaken.

Schuberl bemängelt zudem, dass mancherorts Gefangene nicht oder nur unzureichend auf die Möglichkeit hingewiesen würden, sich an die Beiräte frei, diskret und ungefiltert wenden zu können. Häufig fehlten die Kontaktdaten an allgemein zugänglichen Pinnwänden oder sie seien veraltet. Als hilfreich empfände Schuberl auch regelmäßige Beiratssprechstunden.

Oft fehlen Kontaktdaten

Missstände, wie sie mutmaßlich in Gablingen anzutreffen waren, sind Schwartz, Dierl, Arnold und Schuberl während ihrer Beiratstätigkeit bislang nicht untergekommen. Aber Themen wie physische und psychische Gewalt in den JVAs sind auch ihnen nicht fremd. Die Belastung der Bediensteten, aber auch so manches Einzelschicksal von Gefangenen lasse einen nicht kalt, hört man. „Der Job geht nicht spurlos an einem vorbei“, bekennt Dierl, der nebenbei auch noch Beirat im Maßregelvollzug der Psychiatrie ist. (Jürgen Umlauft)
 

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