Politik

Die Justizvollzugsanstalt Gablingen bei Augsburg ist in Verruf geraten – und Justizminister Eisenreich in Bedrängnis. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

15.11.2024

Bayerisch Guantanamo

JVA-Gablingen: Warum hat das Ministerium so lange zugewartet?

Die zentrale Frage lautet: Wie kann es sein, dass trotz gravierender Vorwürfe in der JVA Gablingen ein Jahr lang alles einfach so weiterlief? Man stelle sich vor, es hätte in einem Kindergarten Gerüchte über Misshandlungen gegeben, in einem Pflegeheim oder einer Flüchtlingsunterkunft. Wahrscheinlich wäre innerhalb kürzester Zeit ermittelt worden. Im Fall Gablingen hat es ein Jahr gedauert, bis das Justizministerium Konsequenzen zog – nachdem die Vorwürfe in die Öffentlichkeit gelangt waren. Der Landtagsabgeordnete Anton Rittel (Freie Wähler), stellvertretender Vorsitzender des Anstaltsbeirats der JVA Gablingen, fordert deshalb den Rücktritt von Justizminister Georg Eisenreich (CSU).

Darum geht es: Im Oktober 2023 wandte sich eine in der JVA beschäftigte Ärztin an das Justizministerium – mit Vorwürfen, die selbst Minister Eisenreich „gravierend“ nennt. Laut Medienberichten sollen in der JVA Häftlinge geschlagen worden sein; psychisch kranke Inhaftierte, die in besonderen Schutzräumen untergebracht waren, hätten dort angeblich weder Kleidung noch Decken erhalten und zudem länger als zulässig in den Räumen bleiben müssen. Wie es heißt, mussten sie dort in Ermangelung von Matratzen unbekleidet auf dem kalten Boden schlafen. Die Ärztin hat inzwischen gekündigt.

Onlinepetition initiiert

Weil sie die Zustände in der JVA für untragbar hielt, initiierte sie im März 2024 eine Onlinepetition. Sie forderte, die Anstaltsleitung müsse abgesetzt werden. „Weil ich als Ärztin in Gablingen Folter erlebt habe.“ Tatsächlich ausgetauscht wurde die Anstaltsleitung samt Stellvertreterin aber erst vor Kurzem. Nachdem die beklagten Missstände von Medien aufgegriffen worden waren. Inzwischen ist die geschasste JVA-Vizechefin in die Offensive gegangen und ließ über ihre Anwälte wissen, sie sei ein „Bauernopfer“. Denn die beklagten Missstände hätten schon lange bestanden und seien neben anderen auch der JVA-Leiterin bekannt gewesen.

Justizminister Eisenreich räumte im Landtag ein, sein Haus habe die Dimension der Vorfälle „wohl unterschätzt“. Bei der Kontrolle von Gablingen hätte „noch mehr passieren müssen“. Nun ja: Es hätte gereicht, wenn überhaupt etwas passiert wäre – mehr zumindest, als nur Sachverhalte zu „prüfen“. Anlässe gab es zuhauf. Anstaltsbeirat Rittel ist wütend, weil er von den massiven Vorwürfen erst aus der Presse und nicht vom Ministerium erfahren habe.

Von den Beschwerden der psychisch Kranken in den besonders gesicherten Hafträumen habe er nichts gewusst, sagt Rittel der Staatszeitung. Er sei jedoch wegen anderer Geschehnisse mit der stellvertretenden Anstaltsleiterin aneinandergeraten. Rittel erzählt, dass ihn ein Häftling schriftlich kontaktiert habe, weil er angeblich von einem Wärter geschlagen wurde. Daraufhin, so Rittel, habe er um ein Gespräch mit der Leitung gebeten. Das verlief ungewöhnlich. Die Vizeleiterin habe ihn angeherrscht, ob er als Landtagsabgeordneter nichts Besseres zu tun habe als in der JVA Gespräche zu führen, erinnert er sich. Er empfand die Frau als „alles andere als zuvorkommend“ und „autoritär“.

Vieraugengespräch mit Inhaftierten? Verdächtig!

Ihn befremdete zudem, dass er nie die Möglichkeit gehabt habe, mit dem betroffenen Gefangenen persönlich zu sprechen. Laut Rittel wurde dieser nämlich in eine andere JVA außerhalb Bayerns verlegt.

Als Rittel von der Leitung ein Video verlangte, das die angeblichen Schläge dokumentiert, habe man ihm mitgeteilt, das Video sei gelöscht worden. „Weil die stellvertretende Anstaltsleiterin es nicht für relevant hielt“, zürnt der FW-Politiker. Sein Vertrauen ins Führungspersonal der JVA wurde nicht größer, als ihm ein Vieraugengespräch mit einem anderen Häftling verwehrt wurde – es sei die Bedingung gestellt worden, dass ein Anwalt der JVA bei dem Treffen dabei sein müsse. Rittel fand das „sehr ungewöhnlich“, beschwerte sich beim Ministerium und bekam recht. Das Vieraugengespräch ist für den heutigen Freitag anberaumt. Die Liste der geschilderten Seltsamkeiten ließe sich fortsetzen.

Alles in allem erinnern die Vorwürfe eher an Zustände in Russland oder Guantanamo – wo Gefangene wenig bis keine Rechte haben, die Gefängnisaufsicht hingegen weitgehende Narrenfreiheit besitzt.

Anton Rittel ist derzeit der einzige Politiker in Bayern, der den Rücktritt des Justizministers will. Dass ein Minister vom eigenen Koalitionspartner, nicht aber von der Opposition zum Rückzug gedrängt wird, ist bemerkenswert. Wahr ist auch: Es sind in Bayern schon Regierungsmitglieder wegen weniger zurückgetreten. Der frühere Justizminister Alfred Sauter (CSU) musste 1999 gehen, weil die staatliche Landeswohnungsgesellschaft LWS 300 Millionen Mark mit ostdeutschen Immobilien verzockt hatte; Sauter fungierte als LWS-Aufsichtsratschef. Die einstige Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) gab 2005 wegen Vorwürfen auf, sie habe von der Münchner Wahlfälschungsaffäre gewusst; bewiesen wurde das allerdings nie. Menschen waren in keinem der Fälle zu Schaden gekommen.
(Waltraud Taschner)

 

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