Politik

Ob in der Kletterhalle oder im Tierpark: Kinder mit Handicap wollen so wenig Einschränkungen in ihrer Freizeit haben wie möglich. (Foto: dpa/Arnold)

09.06.2023

Inklusion auch in der Freizeit

Kinder mit Handicap brauchen in vielen Situationen helfende Hände – ein Projekt der Würzburger Lebenshilfe bietet seit 2016 Unterstützung an

Auf einem Areal von 14 Hektar können sich Jungen und Mädchen im Tierpark Sommerhausen derzeit täglich nach Herzenslust vergnügen. Besonders beliebt sind die Ferienprogramme. Das nächste Programm startet am 31. Juli unter dem Motto „Mit dem Tierpark um die Welt“. Kinder mit einem Handicap sind ausdrücklich eingeladen, mitzumachen. Benötigen sie Unterstützung, wird die gestellt. Und zwar über Assistentinnen und Assistenten aus dem Projekt mit dem Titel „FINK – Freizeit INKlusiv“ der Würzburger Lebenshilfe.

Die Lebenshilfe, so schreibt der bayerische Landesverband auf seiner Homepage, möchte, dass alle Menschen selbst wählen können, wo und mit wem sie wohnen, arbeiten oder die Freizeit verbringen. Noch ist man von diesem Ideal weit entfernt. Kinder mit einem Handicap verbringen ihre Freizeit sehr häufig mit jungen Leuten, die ebenfalls eine Beeinträchtigung haben. Oder sie nehmen Angebote wahr, die ausdrücklich als inklusiv ausgeschrieben sind.

Das allerdings ist keine echte Inklusion. Diese wäre dann erreicht, wenn es dieses Label überhaupt nicht bräuchte. Durch FINK soll das Miteinander von Kindern mit und ohne Behinderung in der Freizeit selbstverständlicher werden.

Nichtbehinderte Kinder können sich einfach so quietschvergnügt ins Freizeitabenteuer stürzen. Kinder, die im Rollstuhl sitzen, die über eine Sonde ernährt werden, die blind sind, an ausgeprägtem ADHS oder Autismus leiden, können das nicht. Sie sind darauf angewiesen, dass ihnen ein Erwachsener zur Seite steht. Solche Erwachsene werden ihnen seit Oktober 2016 durch FINK vermittelt.

Seit Kurzem ist Marisa Tappe-Löhr als Koordinatorin für das Projekt verantwortlich. Sie sucht Eltern auf, die wünschen, dass ihr behindertes Kind an einem regulären Freizeitangebot teilnimmt. Bei diesen Besuchen versucht sie zu eruieren, wie viel Assistenz das Kind konkret benötigt. Eltern können jederzeit testen, ob das Angebot für ihr Kind geeignet ist. Familien, die sich einmal auf die Sache einließen, kommen meist wieder.

„2022 konnten wir an 217 Tagen Kindern mit Beeinträchtigung zu tollen Ferienerlebnissen verhelfen“, berichtet Marisa Tappe-Löhr. In den nun zu Ende gehenden Pfingstferien wurden 15 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 6 und 16 Jahren unterstützt. In den Sommerferien werden es wohl deutlich mehr sein. Die Assistenz wird von Ehrenamtlichen, meist Studierenden, geleistet, die dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten. Selbstverständlich werden sie auf ihren Einsatz sehr gut vorbereitet.

Einschätzen können, welche Hilfe benötigt wird

Gerade bei Kindern, denen man ihr Handicap nicht ansieht, können während einer Freizeit unvermutete Schwierigkeiten auftreten. „Ein Kind mit ADHS zum Beispiel kann plötzlich austicken und einen Wutanfall bekommen“, schildert Marisa Tappe-Löhr. Einzuschätzen, wie viel Unterstützung ein behindertes Kind braucht, um imstande zu sein, mit anderen seine Freizeit zu verbringen, ist gar nicht so leicht. Nicht jedes Kind benötigt eine eigene Inklusionskraft. Manchmal genügt eine Assistentin für zwei Kinder. Für die Kindergruppe, die etwa in Sommerhausen an den Freizeitangeboten teilnimmt, ist es gut, wenn möglichst wenig erwachsene Assistenzkräfte beim Spielen „stören“.

Obwohl das Projekt FINK viele Herausforderungen birgt, ist es inzwischen zahlreiche Male gelungen, behinderten Kindern ein unbeschwertes Freizeitvergnügen in einer Gruppe „ganz normaler“ Gleichaltriger zu bescheren. „Abbrüche gab es fast noch nicht“, freut sich Marisa Tappe-Löhr. Damit die von der Lebenshilfe vermittelte Assistenz kostenlos genutzt werden kann, müssen die betreffenden Kinder und Jugendlichen allerdings einen Pflegegrad haben.

Den wiederum bekommt man nicht nur im Falle einer Querschnittslähmung oder spastischen Bewegungsstörung. „Es wird zunehmend leichter, auch bei ADHS einen Pflegegrad zu erhalten“, so die Sozialarbeiterin. Weil Inklusion ein weites und komplexes Aufgabenfeld ist, braucht es viele, die mit am gleichen Strang ziehen.

So baut auch die Würzburger Lebenshilfe ihr Netz an Kooperationspartnern sukzessive aus. Der Tierpark Sommerhausen, die Würzburger Kinder- und Jugendfarm sowie der Aktivspielplatz Steinlein in Würzburg gehören aktuell zu den wichtigsten und bewährtesten Netzwerkpartnern. Dass sie mit FINK kooperieren, ist von außen daran zu sehen, dass sie den FINK-Stempel tragen. Mehr und mehr Vereine, Klubs und Organisationen in der Region, die ihre Freizeitangebote für Kinder mit Beeinträchtigung öffnen, bekommen diesen Stempel.

Bouldern – trotz Handicaps kein Problem

Jede komplexe Arbeit braucht ihre Zeit. Und so ist auch die Lebenshilfe mit FINK noch längst nicht am Endpunkt ihrer Entwicklung angelangt. Kinder mit einer Beeinträchtigung sollen künftig nicht nur an Ferienfreizeiten teilnehmen können. Es soll für sie in Würzburg auch selbstverständlicher werden, einem Fußballklub beizutreten oder in einen Musikverein zu gehen.

„Man kann bei uns individuelle Anfragen nach Assistenz stellen“, sagt Marisa Tappe-Löhr. Inzwischen gibt es auch erste Netzwerkpartner für regelmäßige Freizeitaktivitäten. So lädt die Jugend des Deutschen Alpenvereins in Würzburg alle Kinder ohne Ausnahme zum Klettern und Bouldern ein. Bei Bedarf mit Unterstützung. Sämtliche etablierten Freizeitangebote sind einer Druckschrift in leichter Sprache zu entnehmen, die in einer Online-Version auch über die Homepage von FINK abrufbar ist.

In dem Heft stößt man zum Beispiel auf die Würzburger Pfadfinder. Die laden beeinträchtigte Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 20 Jahren ein, mit nichtbehinderten Pfadfindern Abenteuer zu erleben, zu basteln und zu zelten. (Pat Christ)
 

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